Coronavirus

Auf verlorenem Posten?

Von der Coronakrise und ihren Folgen sind Kinder und Jugendliche stark betroffen. Droht eine „lost generation“? familiii hat sich bei Experten umgehört und will wissen: Was tun, um die Krise zu meistern?

Schulschließungen, Distance Learning, erschwerte Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, wenig soziale Kontakte. Kein Zweifel, Kinder und Jugendliche haben es zurzeit schwer. Sehr schwer. Das zeigt allein die wachsende Zahl junger Menschen, die an Depressionen, Essstörungen oder Angstzuständen leiden. Gar noch nicht absehbar ist, was für ökonomische und psychische Auswirkungen die Coronakrise in Zukunft haben wird. Droht eine „lost generation“, eine verlorene Generation, so wie es viele befürchten? Oder ist alles gar nicht so schlimm? Frei nach dem Motto: Schlimmer geht immer – aus der Kriegsgeneration ist schließlich auch etwas geworden. Für Bernhard Kittel, Wirtschaftssoziologe an der Universität Wien, liegt die Antwort irgendwo dazwischen. „Es ist sicherlich nicht falsch zu sagen, dass diese Generation ein großes Problem hat“, sagt Kittel. Die Daten des von ihm geleiteten Austrian Corona Panels zeigen beispielsweise, dass immer mehr Jugendliche unter Einsamkeit leiden, je länger die Lockdowns anhalten. „Laut aktuellen Daten geben siebzig Prozent an, das Gefühl von Einsamkeit zu kennen“, sagt Kittel. Das sei durchaus besorgniserregend.

Schwierigkeiten meistern

Mit Sorge sieht Kittel auch die Bildungslücken, die sich durch die Schulschließungen aufgetan haben. „Durch unzureichenden Unterricht ist hier viel Lernfortschritt verloren gegangen. Das führt dazu, dass Ungleichheiten zwischen Schülern, die es vorher schon gab, noch größer werden. Es reicht da sicherlich nicht, zu sagen: Holt das alleine wieder auf!“ Es brauche hier zielgerichtete Angebote für Schüler. Für Jugendliche, die in der derzeitigen Situation erstmals in den Arbeitsmarkt einsteigen, könnten sich langfristige Nachteile ergeben. „Wir wissen, dass die erste Arbeitsstelle zentral für den weiteren Karriereweg ist.“ Das bedeutet: Jugendliche, die unterhalb ihrer Qualifikation zu arbeiten beginnen, weil sie nichts anderes finden, schleppen den Einkommensverlust, der sich dadurch ergibt, voraussichtlich ein Leben lang mit. Initiativen, die Jugendlichen beim Einstieg auf den Arbeitsmarkt unterstützen, seien deshalb besonders notwendig. Trotz all dieser Probleme hält Kittel die Rede von einer „lost generation“ für überzogen. „Ein Jahr ist zu kurz, um von einer verlorenen Generation zu sprechen. Ich nehme vielmehr wahr, dass es eine Generationist, die lernt, Schwierigkeiten zu meistern.“ Jugendliche, die beispielsweise einen Coronatest machen und sich danach treffen, handeln in Kittels Augen kreativ und zeigen sich verantwortungsbewusst. „Natürlich ist das nicht gesetzeskonform, aber es zeigt, dass Wege gefunden werden, mit der Situation umzugehen.“

 

„Mehr Menschen müssen davon sprechen, wie man positiv aus einer Krise kommen kann.“
Elisabeth Merl
Ärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie

Erschwerter Ablösungsprozess

Ganz ähnlich sieht das Elisabeth Merl. Als Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie nimmt auch sie einen Anstieg an psychischen Erkrankungen wahr. „Kinder sind zwar auch betroffen, am meisten trifft es aber die Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahren“, sagt Merl. „Jugendliche brauchen in dieser Phase der eigenen Identitätsfindung das soziale Gegenüber der Gleichaltrigengruppe, was dazu führt, dass sie sich verstärkt nach außen und damit ‚von den Eltern wegorientieren‘. In diesem Alter stellen die Jugendlichen ihre eigenen Eltern in Frage“, erklärt die Therapeutin. Es sei blockierend für die Entwicklung, wenn dieser Prozess der Ablösung und Identitätsfindung aufgrund von Corona nicht möglich ist. Das könne zu Krisen und psychischer Belastung führen, die Jugendlichen würden in ihrer Entwicklung sozusagen steckenbleiben. Diese Probleme müsse man sehr ernst nehmen. Von einer „verlorenen Generation“ zu sprechen hält Merl allerdings für fehl am Platz, sogar für kontraproduktiv. „Das ist zu katastrophisierend, zu pessimistisch. Viel eher sollten wir uns fragen, wie wir eine „lost generation“ verhindern können, wie wir – und das soll keine Floskel sein – die Krise als Chance sehen können.“

Schulschließungen verschärfen die Ungleichheiten zwischen Schülern.

Krisen als Resilienztraining

Für Elisabeth Merl spielt Resilienz, also die Fähigkeit Krisen zu meistern, angesichts von Corona eine wichtige Rolle. Vielen Kindern und Jugendlichen mangle es an Bewältigungsstrategien, sodass sie Corona und seine Folgen schwer verunsichere. Da müsse man ansetzen, findet die Therapeutin. „Es braucht auch in den Medien viel mehr positive Statements zu resilienzbildenden Faktoren. Mehr Menschen müssen davon sprechen, wie man positiv aus einer Krise kommen kann.“ Allein das Wissen, dass Krisen notwendig sind, um das Leben zu meistern, könne helfen. „Menschen brauchen die Erfahrung, dass sie mit Stress umgehen können. Das stärkt ihr Selbstvertrauen und erhöht damit ihre Resilienz. Krisen sind somit das beste Resilienztraining. Aus Studien weiß man, dass man psychisch gesünder ist, wenn man negative Erlebnisse gemeistert hat.“ Es gehe letztlich auch darum, Kindern und Jugendlichen zuzusprechen, dass sie es schaffen können, auch eine so große Herausforderung wie Corona zu bewältigen.

 

„Ich nehme vielmehr wahr, dass es eine Generation ist, die lernt, Schwierigkeiten zu meistern.“
Bernhard Kittel
Wirtschaftssoziologe Uni Wien

Für Kinder und Jugendliche ist es schwer, mit der coronabedingten Unsicherheit umzugehen.

"Ihr seid uns ein Anliegen."

Caroline Pavitsits von der Bundesjugendvertretung wünscht sich mehr positive Perspektiven für junge Menschen.

Wie geht es Kindern und Jugendlichen momentan Ihrer Einschätzung nach?
Caroline Pavitsits: Vielen Kindern und Jugendlichen geht es nicht sehr gut. Ein großes Problem ist einerseits, dass sie sich von der Politik vergessen fühlen, dass sie das Gefühl haben, keine Priorität zu haben. Dazu kommt die große psychische Belastung, der fehlende Kontakt zu Gleichaltrigen. Zwar wurden die Schulen wieder geöffnet, außerschulische Kinder- und Jugendarbeit kann derzeit aber nicht stattfinden. Junge Menschen würden sich sehr eine Rückkehr zur Normalität wünschen.

Ist es angesichts dieser Situation Ihrer Meinung nach angemessen, von einer „lost generation“ zu sprechen?
Natürlich sind Begriffe wie „lost generation“ inhaltlich stark aufgeladen. Ich sehe aber schon, dass sich viele „verloren“ fühlen. Weil sie nicht genug Rückhalt bekommen. Weil sie nicht wissen, wie es weiter geht – beispielsweise ob es in der nächsten Woche Schule geben wird oder nicht. Dazu kommt, dass viele in der Schule nicht mehr gut mitkommen.

Können junge Menschen trotzdem mit Zuversicht in die Zukunft blicken? Was braucht es, damit sie diese Krise meistern?
Für viele Kinder und Jugendliche ist Hoffnung noch ziemlich weit entfernt. Es bräuchte viel mehr positive Bilder und Perspektiven. Jugendliche müssen sehen, dass man sich Themen wie zum Beispiel der Jugendarbeitslosigkeit annimmt. Und sie brauchen das Gefühl: Ihr seid uns ein Anliegen!

 

„Ich sehe schon, dass sich viele ‚verloren‘ fühlen“
Caroline Pavitsits
Vorsitzende der Bundesjugendvertretun

Jugendliche müssen hören: Ihr schafft das!
Viele Jugendliche leiden unter Einsamkeit.

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