Coronavirus

Der neue Slow down Modus

Mehr miteinander sprechen, regional shoppen, Zeit für sich haben. Die Zeiten der Corona-Isolation haben im Familienleben vieles verändert. Was man daraus für die Zeit nach der Krise mitnehmen kann.

Die Schulbank? Ist derzeit am Esstisch zu finden. Die Sportstunde? Wird im Wohnzimmer abgehalten. Das Treffen mit Freunden? Findet in einem Videochat statt. Von heute auf morgen hat die Corona-Pandemie das Leben in den Slow down Modus versetzt. Auch wenn wieder Geschäfte geöffnet haben und das Schulwesen hochfährt, klar ist: Die derzeitige Situation wird Erwachsene und Kinder noch einige Zeit lang begleiten.

Konflikte aushalten lernen

„Die jetzige Zeit“, sagt Psychologin und Glücksforscherin Heide-Marie Smolka, „birgt eine Chance, auch, wenn es für viele Menschen derzeit emotional stressig ist und sie sich Sorgen um die Zukunft machen: Es ist eine Möglichkeit, dass Familienmitglieder einen besseren Weg miteinander finden und das Wir-Gefühl stärken.“ Die Expertin betont, dass im normalen Alltag alle in der Familien diverse Fluchtmöglichkeiten haben, um Konflikten aus dem Weg zu gehen – von Schule über in die Arbeit fahren bis Sport treiben oder sich mit Freunde treffen. Alles Aktivitäten, die derzeit nur in geringem Maße möglich sind. „Deshalb hat man die Chance, dass man wieder lernt, einen Streit durchzustehen und eine Lösung zu finden – und ein langfristiges Miteinander kreiert.“

 

Zeit für mich
Gerade Mütter haben oftmals mit Doppelbelastungen zu kämpfen – und sollten mehr an sich denken.

Neue Umgangsformen

Freilich: Dadurch, dass viele Familien derzeit auf sich zurück geworfen sind, entsteht so genannter „Dichte-Stress“. Wichtig ist, so Heide-Marie Smolka, dass man sich bewusst macht, dass es normal ist, dass man im Stress ist, weil man die neue Situation nicht kennt. Gleichzeitig birgt die erzwungene Nähe für Familien auch eine Chance. So wie für Martina aus Niederösterreich: „Ich habe meine Kinder in den letzten Wochen von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Wir haben auch ernste Dinge lebhaft diskutiert und ich war erstaunt, wie gut sie die Dimension der Krise erkannt haben und deren Auswirkungen auch auf uns als Familie einschätzen können. Mein Mann und ich werden sie jetzt viel intensiver in unsere Gespräche einbinden“, sagt die Mutter eines Sohnes (7) und einer Tochter (9). Die Psychologin rät dazu, Dinge auszudiskutieren und sich Problemen zu stellen: „Man kann auch mit Kindern philosophieren und besprechen, was jeder sich von der Familie erwartet und braucht – all das bringt eine Familie näher.“

 

Seele baumeln lassen
Wer ab und zu auf TV, Handy und PC verzichtet, kann sich gut entspannen – zum Beispiel mit einem Hörbuch.

Ein neuer Blickwinkel

Doch es sind nicht nur Konflikte, die in Familien an Tagen wie diesen geklärt werden sollten – man sollte auch klar machen, was gut läuft, so die Expertin. Sie schlägt vor, dass man ein- bis zweimal die Woche einen Familienrat einführt bei dem sich alle Familienmitglieder zusammensetzen. Genau das macht Harald, Vater zweier Töchter, aus Wien: Wir halten einmal in der Woche einen Familienrat ab und konzentrieren uns dabei bewusst auf jene Dinge, die gut funktioniert haben. Das schafft eine positive Grundstimmung, in der wir dann gemeinsam beschließen, was wir in der kommenden Woche noch besser machen können.“ Smolka unterstützt diesen positiven Zugang: Das ist wesentlich sinnvoller, als zu überlegen, was schlecht war. Da käme man schnell in Schuldzuweisungen und Vorwürfe – und dadurch entstehen erneut Konflikte.“ Der Tipp der Psychologin: Wenn man sich fragt, was man besser machen kann, ist man raus aus der Vorwurfsfalle und drin in einer Lösungsorientierung.

 

Achtsamkeit
Ab und zu die Stopp-Taste drücken und Konflikte außen vorlassen – so kann man den Moment genießen.

Die aktuelle Zeit birgt eine Chance, auch, wenn es für viele Menschen derzeit emotional stressig ist und sie sich Sorgen um die Zukunft machen.

Mag. Heide-Marie Smolka, Psychologin und Glücksforscherin, www.heidemarie-smolka.at

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Mehr Zeit für sich haben

Die Kinder in die Schule bringen, in die Arbeit fahren, am Nachmittag mit ihnen Hausaufgaben erledigen oder sie zu Kursen führen, dazwischen den Haushalt machen – gerade für Frauen, die im Familienalltag oft einer Doppelbelastung ausgesetzt sind, bleibt wenig „Ich-Zeit“. Doch auch Väter und Kinder sind oft dermaßen im Alltagstrott gefangen, dass wenig Zeit bleibt, um mit sich und seinen Gedanken alleine zu sein. Genau das kann man jetzt einführen – und für die Zukunft mitnehmen. Psychologin und Psychotherapeutin Christa Schirl: „Wir brauchen Phasen der Stille, die man in den Alltag einbinden kann. Denn jede Beziehung, auch die zwischen Famlienmitgliedern, braucht Nähe und Distanz. Man kann deshalb eine Zeit einführen, etwa gegen Mittag, in der jeder etwas für sich tut. Das kann sein, dass man ein Buch liest oder Yoga macht. Fernsehen, Computer spielen oder das Smartphone nutzen gehören hingegen nicht dazu. Es geht um die Stille und das Rasten.“

 

Mit sich sein
Momente der Stille helfen Eltern und Kindern zu sich zu finden. Man kann sie jetzt gut in den Alltag integrieren.

In die Autonomie bringen

Ein weiterer Aspekt, den man in die Post-Corona-Zeit übernehmen sollte: dass man sich gemeinschaftlich, natürlich angepasst an das Alter der Kinder, am Haushalt beteiligt. Christa Schirl sagt, dass man zum Beispiel gerade jetzt, wo man viel zu Hause ist, gemeinsam Mahlzeiten kochen kann bei denen jeder seinen Teil beiträgt. Das sieht auch Caroline aus Linz so. Die Mama einer Fünfjährigen liebt das gemeinsame Kochen und will es auch nach der Krise unbedingt beibehalten: „Man kann den Kindern jeden Tag eine Kleinigkeit beibringen und dann sagen: Nächste Woche machst du dann den Spinatstrudel mit Schafskäse oder die Palatschinken. Gerade Kinder kochen sehr gerne mit und haben große Freude daran.“ Schirl betont, dass auch schon kleinere Kinder gewisse Dinge im Haushalt erledigen können, wie etwa den Geschirrspüler einräumen oder den Tisch decken – und so jeder für sich mehr Autonomie bekommt als das im normalen Alltag der Fall ist.

 

Cocooning
Die eigenen vier Wände haben durch die Corona-Pandemie eine neue Bedeutung als Rückzugsort bekommen.

Sätze wie ,Was kann ich Schönes für Dich tun?‘ – oder ,Das mache ich doch gerne für Dich!‘ können viel Positives bewirken.

Mag. Christa Schirl, Psychologin & Psychotherapeutin, christa-schirl.at

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Regional statt global

Doch nicht nur in Sachen Kommunikation, Ich-Zeit und Haushalt kann man aus der Corona-Krise einiges mitnehmen, auch ökonomisch hat sich durch den Shutdown der Wirtschaft vieles geändert. So wurden zahlreiche Online-Plattformen ins Leben gerufen über die man bei heimischen Unternehmen online einkaufen kann, um die österreichische Wirtschaft zu stärken. Immer mehr Familien setzen bei Kinderkleidung und Spielsachen auf kleine Geschäfte und hierzulande produzierte Produkte. Bleibt nur die Frage, ob es auch ein langfristiges Umdenken in Sachen globalem versus regionalem Shopping geben könnte.

Laut einer Gallup-Umfrage geben zumindest 67 Prozent der Österreicher an, auch nach der Krise mehr regionale Produkte kaufen zu wollen. 63 Prozent legen den Fokus auf heimische Unternehmen. Während ältere Bevölkerungsgruppen bereit sind, das in der Krise gesparte Geld bald ausgeben zu wollen, herrscht, so die Gallup-Studie, gerade in der Altersklasse vieler Eltern schulpflichtiger Kinder noch Vorsicht. So zeigt sich die geringste Bereitschaft zum Konsum beziehungsweise die größte Vorsicht bei den 31-bis 40-Jährigen: Nur sechs Prozent denken daran, nach dem Ende des Shutdowns shoppen zu gehen.

 

Neues entdecken
Im Slow down Modus kann man neue Talente entdecken – oder sich auch sich für andere engagieren.

Soziales Engagement

Auch das Miteinander ist stärker geworden: Junge gehen für Ältere einkaufen, Restaurants kochen für Hilfskräfte, Fiaker stellen bedürftigen Senioren Mahlzeiten zu. Gerade für Kinder ist es ein gutes Gefühl, anderenzu helfen und sich zu engagieren.  Kinder malen regelmäßig Postkarten mit kurzen Botschaften für die Senioren eines nahen Altersheims. Martina: „Die alten Leute freuen sich über die Aufmerksamkeit und wir freuen und, dass wir ihnen eine Freude machen können.“ Das soziale Engagement wollen sie und ihre Familie auch nach der Krise beibehalten.

Wie man stärker wird

Doch wie in schwierigen Zeiten wie diesen positv bleiben? Christa Schirl hat einen Tipp parat: dass man jetzt in die Zukunft blickt und sich überlegt, woran man sich als Familie aus der Corona-Zeit erinnern möchte. So kann man gestärkter in die Zukunft blicken und der Krise auch positive Aspekte abgewinnen: „Es gibt diesen einen schönen Satz von Pippi Langstrumpf: Der Sturm wird stärker, aber das macht nichts – ich auch.“

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