Gesundheit

Generation Corona: Wie geht’s eigentlich den Teenies?

Für viele sind sie die großen Verlierer der Pandemie: unsere Kinder und Jugendlichen. Was macht die Krise mit unseren Kids? Mit welchen Belastungen hat die „Generation Corona“ tatsächlich zu kämpfen?

„Penny“ ist bekannt für seine emotional berührenden Weihnachts-Werbekampagnen. „Ich wünsch mir einfach, dass du deine Jugend zurückbekommst“, sagt die Mutter mit traurigem Blick auf ihren Spössling, während Bon Jovis Songzeilen im Off ertönen: „It’s my life. It’s now or never. But I ain’t gonna live forever. I just want to live while I‘m alive“. Dieser Spot des Discounters traf genau den Nerv der Zeit, weil er aufzeigte, worauf Teenager während Corona alles verzichten müssen.

Jugend ohne Freiräume

Sich die Nächte um die Ohren hauen, sich abends heimlich rausschleichen, um von einer Party zur nächsten zu hoppen. Maturabälle, Konzerte, Schullandwochen, Praktika, Sprachreisen, Vereins- und Amateursport oder schlichtweg unbeschwerte Treffen mit Gleichaltrigen, bei denen auch all das passiert, von denen die Eltern besser nichts wissen sollten. Während Einschränkungen des sozialen Lebens freilich alle Altersgruppen treffen, müssen unsere Heranwachsenden in der Coron- azeit immer wieder auf viele wichtige Rituale des Erwachsenwerdens verzichten. Lockdowns, geschlossene Clubs und abgesagte Partys oder Flüge lassen sich nun mal schwer mit der so wichtigen Phase des Großwerdens vereinbaren. Neben dem Kontakt zu ihren Peergroups fehlen den Jugendlichen mit geschlossenen Lokalen, Bars, Clubs, Diskos, Event- und Partylocations schlichtweg genau jene kommerziellen Freiräume und Schauplätze, wo sie sich ausprobieren und ihre jugendkulturellen Rollenspiele aufführen können. Kurzum wo Jugendkultur heutzutage stattfindet. Eine 76-jährige Oma bringt die Sorge um ihre Teenie-Enkel auf den Punkt: „Natürlich leidet auch mein soziales Leben und mir läuft aufgrund meines Alters auch die Zeit davon. Aber: Ich habe mein Leben letztendlich gelebt! Meine Enkelkindern verpassen aber ihre Möglichkeiten. Sie brauchen den geregelten Schulalltag, das unbeschwerte Feiern und die Freundschaften mit Gleichaltrigen für ihre Entwicklung!“ Doch wie schlimm sind die Einschränkungen des Soziallebens und im Bildungsbereich tatsächlich für unsere Teenies?

Weniger Belastungen bei intaktem Erziehungs- und Familienklima

„Die Zahl jener Kinder, die Angst-, Stress- und Traumasymptome zeigen, ist während der Pandemie um sechzig Prozent gestiegen“, weiß Kathrin Sevecke. Laut der Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychatrie hat sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch die Corona-Maßnahmen massiv verschlechtert. „Unsere Studien zeigen, dass wir es vermehrt mit depressiver Entgleisung zu tun haben, mit Angststörungen, Selbst- verletzung, aber auch mit schweren Verläufen von Essstörungen“, so Kathrin Sevecke. Was die Kinder dringend brauchen: „Stabilität und eine organisierte Tagesstruktur sowie den Austausch mit Gleichaltrigen“. Außerdem regelmäßige Bewegung und Sport als körper- lichen Ausgleich, um etwa Schlaf- und Konzen- trationsproblemen entgegenzuwirken. Die Deutsche Nationale Akademie der Wissenschaf- ten Leopoldina spricht in einer im Sommer veröffentlichten Stellungnahme davon, dass „manche Kinder und Jugendliche kurz-, mittel- und wahrscheinlich auch langfristig von Belastungen und erlittenen Defiziten begleitet werden“. Die Pandemie habe in viel- fältiger Hinsicht „Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, vor allem in den Bereichen Bildung, soziale Interaktion und sozio- emotionale Entwicklung, körperliche Aktivi- tät sowie psychisches Wohlbefinden“. Laut der Erhebung seien aber nicht alle Kinder und Jugendliche im gleichen Maße betroffen. In der sogenannten COPSY-Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien kamen ForscherInnen zum Ergebnis, dass die Lebensqualität der Kids erheblich davon abhänge, wie sehr Familien über psychosoziale und emotionale Ressourcen verfügen, um die Belastungen einzelner Familienmitglieder auffangen zu können. „Kinder und Jugendliche sind vom Familien- und Erziehungsklima besonders abhängig, insbesondere, wenn sie wie in der Pandemie viel Zeit zu Hause verbringen müssen. Kinder und Jugendliche, die zu Hause nicht aufgefangen werden, deren Eltern wenig Zeit mit ihnen verbringen und deren Sorgen und Nöte nicht gehört werden, leiden besonders stark unter den Auswirkungen der Pandemie und haben ein erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten, Ängste sowie depressive Symptome“, heißt es in dem Papier. Spaltung in privilegierte und unter- privilegierte Kids nimmt zu Das Österreichische Institut für Jugend- kulturforschung geht davon aus, dass der Großteil der Jungen in der Corona- Pandemie tatsächlich nur sehr beschränkt irritiert worden sei. Der überwiegende Teil der Kids würde weiter das machen, was sich der Staat von seinen BürgerInnen erwartet. Sich nämlich ohne Murren den Verordnungen, Gesetzen und Konventionen fügen. Denn was die Jugendforschung schon lange weiß, wird angesichts des Ausnahmezustands der letzten Monate besonders offensichtlich: Die große Mehrheit der jungen Menschen will keine Schwierigkeiten mit Staat, Politik, Schule, Arbeitgeber oder Uni. Und zwar deshalb, weil die Jugendlichen allgemein den Eindruck hätten, dass sie durch unauffälliges Verhalten, Anpassung und stilles Nutzenkalkül besser an ihre Ziele kommen als durch Protest und Kritik. „Wenn die Politik sich nicht glaubhaft um die Lebenschancen junger Menschen bemüht, werden die privilegierten Jugendlichen alle Energi- en auf sich selbst konzentrieren und die Schwächeren außen vor bleiben“, schreibt Bernhard Heinzlmaier in seinem Buch „Generation Corona“. Denn eines zeichne sich laut dem Jugendforscher in der Pandemie mehr und mehr ab: Die sich verstärkende Aufspaltung Jugendlicher in eine bildungsnahe Gruppe, die dem oberen Gesellschaftsdrittel zugehört und einer „Gruppe mit mittlerer und niedriger Bildung, die von den materiellen Notwendigkeiten des Lebens früher in den Arbeitsprozess gedrängt wird“. Die vielen öffentlichen Debatten über vermeintlich verlorene Bildungschancen der Corona- Kids würden laut Heinzlmaier im Grunde dazu führen, dass vornehmlich „bildungsnahe Eltern“ ihren Nachwuchs „bis zum geht nicht mehr“ fördern. „Die vom Bildungsverlust Betroffenen kommen primär aus unterprivilegierten Schichten, also aus Haushalten, in denen auf einer relativ kleinen Wohnfläche zusammengedrängt mehrere Generationen leben, die oft von überlasteten alleinerziehenden Müttern geführt werden, in denen die technische Ausstattung schlecht ist oder die Eltern so bildungsschwach sind, dass sie ihren Kindern in schulischen Belangen nicht helfen können“, weiß der Jugendforscher und Autor. „Naturgemäß erhalten Kinder aus dem Akademikermilieu mehr kompetente Unterstützung von ihren Familienangehörigen beim Homeschooling als die Kinder der prekär Beschäftigter.“

Wenn Schule als Sozialraum fehlt

Der über Monate nur immer wieder kurz unterbrochene, anhaltende Ausnahme- zustand sowie auch die zeitweise gesperrten Schulen führten laut Jugendforschung dazu, dass die Jugendlichen vom unvermittelten Zugang zu ihren Freunden abgeschnitten waren. Gerade die Schulen seien laut Heinzlmaier unerlässlich für „die Aufrechterhaltung der informellen Freundschaftsstrukturen“. „Aus zahlreichen Studien wissen wir, dass die Schulen von den Kids nicht primär als Orte des Lernens geschätzt werden, sondern als Sozialräume, an denen sie mit gleichgesinnten und gleichgestylten Peers zusammentreffen können“. Die enge Elternbindung während der Zeit des Homeschoolings habe bei vielen Kids wieder zu einer Kontroll- und Überwachungskultur geführt und damit auch zu Spannungen innerhalb der Familie, die vor allem für die unter 18-Jährigen als besonders erdrückend erlebt wurde. „Jugendliche mussten sich der staatlich legitimierten Machtposition der Eltern erneut unterwerfen.“ Weil die sich im Homeoffice befindenden Eltern sozusagen ständigen Zugriff auf die Kids hatten. Auch manifeste und strukturelle Gewalt in den Familien ist ein Thema, das mit Corona verstärkt aufpoppt. Laut Heinzlmaier überwiegend in den einkommensschwachen Gesellschaftsschichten auch als Folge relativ beengter Wohnverhältnisse. Insofern wirke Corona – wie es bei Krisen häufig der Fall ist – eben auch als Verstärker bereits bestehender Ungleichheiten und Entwicklungsrisiken. „Die Fähigkeit, die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf Familien, Kinder und Jugendliche ohne nachhaltige Schäden zu bewältigen, hängt überwiegend von der Ausstattung der Betroffenen mit sozialem, kulturellem und ökonomischem Kapital ab.“ Die traurige Wahrheit: Wer genug davon besitzt, kommt leichter unversehrt durch die Krise. 

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