Erziehung

Mit Kindern klar kommunizieren

Warum ein „Nein“ genauso wichtig ist, wie ein „Ja“. Warum nicht alles sein kann, worauf die Kids Lust haben. Warum die Qual der Wahl Kinder überfordern kann. Und was klare Verständigung damit zu tun hat, wie gut wir uns selbst treu sein können.

Oft ist es eines der ersten Wörter, das Kleinkinder sprechen können. Und meistens wird es auch besonders lautstark und selbstbewusst artikuliert: NEIN. Dabei eilt dem „Nein“ nicht unbedingt der beste Ruf voraus. Einerseits wollen wir nicht, dass die Kinder mit zu vielen, oftmals nervtötenden „Neins“ daher kommen. Und andererseits haben wir selber mit dem Neinsagen so unsere Schwierigkeiten. Statt uns mit unseren Kindern deutlich zu verständigen und uns klar zu positionieren – wozu auch ein ehrliches „Nein“ gehört – texten wir unsere Kids oft mit schwammigen Formulierungen zu, weichen aus oder gehen mit unseren Sprösslingen allzu streng ins Gericht.

„Nein“ im Wandel der Zeit

In manchen Zeiten haben Eltern wohl einen Tick zu viel „Nein“ gesagt. In anderen Zeiten wiederum vielleicht zu wenig. Lange Zeit war Neinsagen einfach dazu da, Kindern Gehorsam beizubringen. Im Zweifel wurde also immer „Nein“ gesagt. Seit den 1990er Jahren hat sich eine Generation von Eltern herausgebildet, die sicherheitshalber immer „Ja“ sagt. „Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der rasche Bedürfnisbefriedigung Normalität geworden ist“, schrieb der renommierte Familientherapeut Jesper Juul in seinem Buch „Nein aus Liebe“. Deshalb haben Regeln, Werte und Normen der einstigen Mangelgesellschaft heutzutage keine allgemeine Gültigkeit mehr. Kein Wunder also, dass so manchen Eltern das Gespür abhanden gekommen ist, zwischen Bedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden oder zu wissen, wann ein „Nein“ vielleicht doch die richtige Antwort sein könnte

Ja-Sagen als leidige Pflicht

Das ein „Ja“ um einiges sympathischer daher kommt als ein „Nein“, scheint gesellschaftlicher Konsens zu sein. Nicht umsonst ist das „Ja“ das sprachliche Symbol der Liebe – werden doch alle Liebesverhältnisse durch ein „Ja“ besiegelt. „Ja“ bedeutet Zustimmung, impliziert positive Reaktionen oder Anerkennung. Was allerdings gerne übersehen wird: es bedeutet auch Verpflichtung. Erwachsene wissen nur zu gut, dass ein „Ja“ nicht immer aus ganzem Herzen kommt und somit oft an Erwartungen oder Hintergedanken gekoppelt ist. So sagen Eltern auch deshalb oft „Ja“, weil es besser ankommt, weil es den Hausfrieden sichert oder weil sie schlichtweg verlernt haben, auf ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu hören. Bezüglich der oft unehrlichen „Jas“ fand Jesper Juul folgende Worte: „Wir haben allen Grund anzunehmen, dass die vielen halbherzigen, indirekten, korrupten oder defensiven „Jas“ die Beziehung zwischen Eltern und Kindern belasten.“ Würde wir also mehr zu uns selbst stehen, würden wir auch öfters Klartext reden.

„Nein“ als liebevolle Antwort

Vielleicht tun sich Eltern mit dem „Nein“ gerade auch deshalb so schwer, weil sie als Kind selber zu oft Nein gehört haben. Und möglicherweise dadurch Kränkungen oder Verletzungen erfahren haben. Die Rede ist von den rigorosen „Neins“ eines autoritären Dressurverhaltens. „Wenn ich ,Nein‘ sage, dann heißt das auch ,Nein‘“ – typische, klar abweisende und mit scharfer Stimme begleitete Ansagen, die einzig dazu dienen, Kindern Gehorsam beizubringen. „Das sind die – ich sage einmal – brutalen „Neins“, die der Gehorsamkeitskultur entstammen. Brutal deshalb, weil sie meistens mit einer Verletzung oder Missachtung des Gegenübers einhergehen“, weiß Linda Syllaba. Ganze Generationen seien laut der Erziehungsberaterin so erzogen worden, dass mit einem elterlichen „Nein“ jede würdevolle Kommunikation auf Augenhöhe zunichtegemacht wurde. „Mit Beschimpfungen, Drohungen oder Beschämungen sollte der Wille der Eltern auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden“, sagt Syllaba. Dabei gäbe es auch eine unheimlich liebevolle Art, um „Nein“ zu sagen.

Nein sagen, um zu sich selbst Ja zu sagen

Kinder können es so leicht. Wie aus der Pistole geschossen kommen sie aus den Mündern der Zwei-, Fünf- oder Zehnjährigen: die vielen „Neins“, die in ihrer Ausdrucksstärke klarer und entschlossener nicht sein könnten. Viele Eltern nehmen das „Nein“ ihrer Kinder allerdings persönlich. Das hat laut Jesper Juul leider genau damit zu tun, dass Eltern oft vergessen, es vor allem als Geschenk anzunehmen, wenn ihre Kinder beginnen, „Nein“ zu sagen. Soll heißen, es als das entgegenzunehmen, was es ist: nämlich eine reinen Gewissens, vollkommen unverschleiherte Aussage, die ein Bedürfnis des Kindes unmittelbar deutlich macht. Ganz im Gegensatz zu den oft latent mit Vorwürfen behafteten „Neins“ der Erwachsenen. „Ein Kind richtet sein „Nein“ in erster Linie an sich selbst und nicht gegen die Erwachsenen“, sagt Juul. „Die Kinder ziehen damit ihre individuellen Grenzen und zeigen den Erwachsenen, wer ihr Kind eigentlich ist, das sie so bedingungslos liebt. Was viele Erwachsene laut Juul also verlernen, möglicherweise sogar nie gelernt haben, ist die Fähigkeit, sich persönlich abzugrenzen und sich so auszudrücken, dass die eigenen Bedürfnisse und Emotionen klar beim Empfänger ankommen. Mit anderen Worten: Es geht darum, andere zu respektieren und gleichzeitig unsere Grenzen zu markieren. „Wir tragen häufig zu wenig Sorge für unsere eigenen individuellen Grenzen und Bedürfnisse und schieben anderen dafür die Schuld in die Schuhe“, so Juul.

So ist auch der Ton vieler unserer Formulierungen in der Erziehung schnell einmal vorwurfsvoll, appellierend, kränkend oder ausweichend. Wer sich hingegen deutlich artikuliert, schafft Klarheit darüber, was einem wichtig ist, was einen stört, was einen verletzt, erfreut oder wie man zu einer Sache steht. „Sich so persönlich wie möglich auszudrücken, bereichert jede nahe zwischenmenschliche Beziehung und fruchtet mit Anerkennung, Nähe und Empathie“, erklärte Juul. Beherrscht man diese Kunst also, fühlt man sich selber wohler in seiner eigenen Haut und wird auch wertvoller für seine Mitmenschen.

Klare Führung der Eltern

„Manche Eltern verspielen einen Teil ihrer persönlichen Autorität, weil sie der Meinung sind, ihre Kinder sollten in einem demokratischen Paradies aufwachsen, in dem es keinerlei Misstöne und Konflikte gibt“, warnte Jesper Juul davor, Kinder vor Frust und negativen Gefühlen bewahren zu wollen. Entweder sei es aus Sentimentalität oder aus dem Wunsch heraus, als guter Vater oder gute Mutter erlebt zu werden. Aus Liebe kann es laut Juul keinesfalls sein. Denn Liebe bedeutet, dem Kind das zu geben, was es tatsächlich benötigt, um ein schönes Leben führen zu können. Und dazu gehört freilich auch, dass man Kinder dabei begleitet, mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Oder ihnen dabei hilft, ihre Impulse zu kontrollieren und die Einsicht zu gewinnen, dass nicht alle sofort nach der eigenen Pfeife tanzen. Keine Frage: Der liebevolle Umgang gerade mit der negativen Gefühlspalette fordert von den Eltern unglaublich viel Selbstüberwindung. Räumen Eltern hingegen den momentanen Wünschen der Kinder stets Vorrang ein, übertragen sie damit die Verantwortung für das Wohlergehen der Familie auf die Kinder. Viele Eltern gehen auch soweit, dass sie Entscheidungen den Kindern überlassen. „Gewichtige Dinge müssen wir Eltern entscheiden und dafür auch die Verantwortung übernehmen. Geben wir das an die Kinder ab, sind sie damit überfordert und Unordnung wird zum System.“ Was die Qual der Wahl betrifft, müsse man sich freilich der Dimensionen bewusst sein: es ist natürlich ein Unterschied, ob wir etwa von der roten oder grünen Strumpfhose oder von der Planung des gemeinsamen Urlaubs reden. Und keine Frage: natürlich sei es erstrebenswert, Kinder mit zunehmendem Alter in Entscheidungen einzubinden. Nichtsdestotrotz brauchen Kinder Erwachsene, an denen sie sich orientieren können. Eltern, die Vorbild sind. Und dazu gehört auch, immer wieder darauf zu achten, wie wir uns untereinander verständigen: Gehen wir Konflikten aus dem Weg? Geht es uns darum, uns beliebt zu machen? Oder sind wir dazu imstande, unsere eigene Bedürfnisse und Grenzen zu wahren.

Weiterführende Literatur:

Jesper Juul: Nein aus Liebe, Kösel Verlag
Linda Syllaba, Daniela Gaigg: Die Schimpf-Diät, Beltz Verlag

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