Nicht nur zweite Wahl
Gut für sich selbst und die Liebsten, für die Umwelt – und nicht zuletzt das Geldbörserl: Secondhand-Shopping boomt. familiii sprach mit Expert:innen, warum das so ist und worauf man beim Kauf von Gebrauchtem achten sollte.

Die Tore werden geöffnet und die ersten Besucher:innen stürmen den Flohmarkt der Pfadfindergruppe 19 Breitensee. Der Markt– alle Jahre am Wochenende nach Allerheiligen – ist ein Fixpunkt für viele Wiener Flohmarkt-Fans. Hier im Westen der Stadt gibt es unzählige Bücher, gebrauchte Haushaltsware, Kleidung. Wer sich Zeit nimmt und stöbert, stößt zwischendurch auf Sammlerstücke, Vergriffenes und Raritäten. Secondhand-Shopping auf Flohmärkten oder auf Online-Plattformen ist im Mainstream angekommen: „Secondhand ist längst kein Nischenphänomen mehr, sondern ein wichtiger Teil des Konsumverhaltens. 73 Prozent der Österreicher haben bereits gebrauchte Waren gekauft, knapp 60 Prozent in den letzten zwölf Monaten“, sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverband Österreich. Das bestätigt Christoph Teller, Professor für Marketing- und Handelsmanagement an der JKU Linz sowie Vorstand des dortigen Instituts für Handel, Absatz und Marketing und Dekan (Akkreditierung) der JKU Business School. Er sagt: „Der heutige Secondhand-Boom ist kein spontaner Trendsturm, sondern eher ein Wetterumschwung, der sich über mehrere Jahre aufgebaut hat – und dann mit der Pandemie richtig Fahrt aufgenommen hat. Unsere Daten zeigen deutlich: Der nachhaltige Schub kam durch die Digitalisierung der Flohmarktlogik.“
Vor allem die jüngere Generation liebt den Einkauf aus zweiter Hand, so Teller.
Vorteile für Familien
Für Familien mit Kindern ist dieser besonders sinnvoll, weiß Tanja Reisner. Sie betreibt – bereits seit 19 Jahren – das Secondhand-Geschäft „Deluxe Kids&-More“ im 23. Bezirk in Wien. Die Unternehmerin hat sich auf den Weiterverkauf von Kinderwaren wie Baby-, Kinder- und Umstandskleidung spezialisiert, Spielsachen und Kinderwägen gibt es bei ihr ebenso. Sie selbst kauft gerne Secondhand-Produkte: „Ich war schon lange selbst Secondhand-Käuferin. Kinderware wird nur sehr kurz genutzt, wächst schnell mit und ist oft in einem Zustand, der eigentlich viel zu schade für den Müll oder das Vergessen im Keller ist. Ich habe irgendwann gemerkt, wie viel hochwertige Ware im Umlauf ist, die praktisch neu ist. Der Schritt, das professionell zu machen, war logisch. Es verbindet Nachhaltigkeit, Qualität und eine echte Nachfrage.“ Gerade der Gedanke der Nachhaltigkeit spielt für viele Menschen eine immer größere Rolle, weshalb sie gerne zu Secondhand-Waren greifen, darüber hinaus ist das Thema Sparen wichtig und vor allem die Generationen Y und Z wollen besondere Stücke ergattern, weiß Teller. Tanja Reisner nennt weitere Vorteile: „Secondhand reduziert den Ressourcenverbrauch und Abfall – gerade bei Kinderkleidung und -ausstattung ist das enorm. Viele gebrauchte Produkte sind außerdem ausgewaschen und dadurch frei von Fremdstoffen, Weichmachern oder Produktionsrückständen.“
Neue Chancen
Für Unternehmen ergeben sich durch den Boom viele Möglichkeiten, so Rainer Will vom Handelsverband Österreich: Diese können Secondhand-Segmente etablieren – etwa eigene Produktlinien für Pre-owned-/Pre-loved-Ware. Zudem wird dadurch die Kundenbindung gestärkt und Unternehmen können Nachhaltigkeit glaubwürdig leben. Da Secondhand-Konsum online und offline stattfindet, lohnt es sich, den stationären Handel mit digitalen Resale-Modellen zu verbinden, etwa durch In-Store-Abgabestellen für Gebrauchtwaren oder hybride Secondhand-Zonen im Geschäft. Rainer Will: „Unsere Befragung zeigt, dass drei von vier Österreichern bereits selbst Produkte weiterverkauft haben, durchschnittlich um 171 Euro pro Jahr. Unternehmen könnten hier aktiv werden: Ankaufprogramme, Kommissionsmodelle oder die Wiederaufbereitung von Retouren eröffnen neue Erlösströme und stärken die Kreislaufwirtschaft.“

Etwaige Nachteile
Gibt es auch Nachteile? Laut Christoph Teller kann es zu Unsicherheit bei Qualität und Größen kommen, mitunter ist die Rückgabe schwerer. Zudem haben es die privaten Verkäufer:innen nicht immer leicht: So tauchen manche Käufer:innen nicht auf oder Preise werden heruntergehandelt, erklärt Teller. Was es beim Kauf bzw. Verkauf von Secondhand-Waren zu beachten gibt, weiß die Arbeiterkammer Wien: Kauft man bei einem Secondhand-Unternehmen ein, hat man zwei Jahre Gewährleistung, wobei diese auch auf ein Jahr verkürzt sein kann. Diese Reduktion muss ausdrücklich vereinbart werden. Bei Privatkäufen besteht ebenso ein Gewährleistungsanspruch gegenüber dem Verkäufer der gebrauchten Ware. Dieser Anspruch kann vonseiten des Verkäufers aktiv ausgeschlossen werden, dazu rät auch die AK Wien. Nicht vergessen darf man, dass Plattformen wie Willhaben nur Vermittler und keine Ansprechpartner für gewerbliche Rechte sind. Grundsätzlich gibt es bei Online-Käufen ein 14-tägiges Rücktrittsrecht, das ist bei Privatpersonen nicht der Fall.
Kauf und Verkauf
Zudem hat die AK Wien einige Tipps: So sollte man beim Kauf sofort auf Mängel achten und nach Original-Kaufbelegen fragen. Für die Lieferung per Post bieten die Plattformen oft eine sichere Abwicklung (z. B. Paylivery bei Willhaben) an: So können die Käufer:innen die Ware direkt an Willhaben zahlen, wo das Geld sicher verwahrt wird, bis die Ware ankommt.
Dennoch sollte man wachsam bleiben und an Fake-Angebote denken: Die AK Wien empfiehlt, die Kommunikation nur auf der Plattform zu führen und sich über das Risiko bewusst zu sein. Die Verkäufer:innen sollten die Ware reinigen und auf den Ausschluss der Gewährleistung achten – etwa mit dem Satz „da Privatverkauf kein Anspruch auf Gewährleistung“.
Ob man selbst verkauft oder nur kauft, Secondhand wird relevant bleiben. Christoph Teller: „Secondhand ist heute Smart Shopping, Self-Expression und Side Business in einem. Wer kauft, fühlt sich clever. Wer verkauft, fühlt sich erleichtert – und ein bisschen unternehmerisch.
Und wer beides tut, lebt bereits die neue Konsumkultur zwischen Sparen, Stil und Nachhaltigkeit.“
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