Pfadfinder: Das Abenteuer des Lebens
Im Sommer haben sie Feuer gemacht, draußen geschlafen und am Zeltlager Freundschaften fürs Leben geschlossen. Nun, im Herbst, beginnt das neue Pfadfinderjahr. Über eine alte Idee und eine Jugendbewegung, die vielleicht zeitgemäßer denn je ist.

Wer einmal ein Pfadfinderlager besucht hat, und sei es nur als Gast am Besuchertag auf einem der alle paar Jahre stattfindenden internationalen Großlager, besser bekannt als „Jamboree“, dem wird das besondere Gefühl von Gemeinschaft schwer verborgen bleiben. Da brennen Feuer, wird allerorts Holz gehackt, hängt schlammige Wäsche auf selbst gezimmerten Trocknungsgestellen. Doch das lässig improvisierte Lebensgefühl der temporären Zeltstadt täuscht, zumindest ein wenig. Denn hinter Pfadfinderlagern wie dem „Home 2018“, auf dem im August ein paar Tausend Kinder, Jugendliche und ihre Betreuerinnen und Betreuer im oberösterreichischen Sankt Georgen zusammenkamen, steckt professionelle Planung – und eine unkaputtbare Idee, die Robert Baden-Powell, den britischen Kriegshelden und Begründer der Pfadfinderbewegung, mittlerweile um bald acht Jahrzehnte überlebt hat.
Revolutionäre Jugendbewegung
Ihre Anfänge nahm diese Bewegung allerdings ganz im Kleinen. Am allerersten Pfadfinderlager überhaupt – es fand 1907 auf der Insel Brownsea statt – nahmen nur 21 Boy Scouts teil. Auch wenn damals nur Buben dabei waren: In der starren Standesgesellschaft des Empires war die Idee, dass Kinder quer durch alle gesellschaftliche Schichten hinweg gemeinsam zelten, nachgerade revolutionär. Baden-Powells daraufhin erschienenes Buch „Scouting for Boys“, eine praktische Anleitung zum Outdoor-Abenteuer, geriet zwar rasch zum Bestseller. Weltweit breitete sich die Pfadfinderidee – der sogenannte „Bi-Pi’s Spirit“ – jedoch erst nach dem ersten Jamboree 1920 aus. Jamboree bedeutet „friedliches Zusammentreffen aller Völker und Stämme“. Um den Gedanken des Völkerverbindenden hatte Baden-Powell seine Bewegung erst ergänzt, als er feststellte, dass fast alle seiner 21 ursprünglichen Boy Scouts im ersten Weltkrieg gefallen waren.
Heute gibt es allein in Österreich an die 85.000 aktive Boy und Girl Scouts. Wenn nicht gerade Jamborees besucht werden oder kleinere Gruppenlager stattfinden, dann treffen sich die Kinder und Jugendlichen einmal die Woche in ihren Pfadfinderheimen. Dort, in den sogenannten Heimstunden wie jener der Gruppe Wien 19-Breitensee, passiert alles spielerisch, gemeinsam – und nach erlebnispädagogischen Ansätzen. Im Wesentlichen hat sich da in den letzten 100 Jahren wenig verändert. Anders als früher haben sich die Pfadfinder heute allerdings der Konkurrenz einer gigantischen Freizeit- und Verwahrungsindustrie für Kinder und Jugendliche zu stellen. Für alle Vorlieben, für jede Begabung gibt es Workshops, Kurse und Sommercamps; vom Ballettunterricht über Gitarrestunden bis zum Auspowern im Handballverein oder beim Voltigieren. Gegenüber allen diesen Angeboten bietet die Pfadfinderei jedoch einen entscheidenden Vorteil:
Bei den Pfadfindern geht es nicht primär um Leistung in einer einzelnen Disziplin. Vielmehr ermöglichen die Pfadfinder jedem Heranwachsenden, seine Talente, Stärken und Schwächen kennenzulernen und möglichst konstruktiv damit umzugehen. Sie geben Freiheit und Spielraum in einem generell enger werdenden und durch Leistungsdruck durchökonomisierten Alltag. „Nie in meinem Leben erlebte ich so viel Freiheit und Ungezwungenheit wie bei den Pfadfindern“, meinte der mittlerweile 64-jährige Filmemacher Andreas Gruber („Hasenjagd“) auf dem „Home 2018“-Jamboree im Attergau. Damit erntete der Regisseur nicht nur bei den drei Jugendlichen, die das Interview in einem Workshop gemeinsam erarbeitet hatten, Zustimmung. Auch ihre einhundert Gleichaltrigen im Publikum konnten nicht anders, als wohlwollend mit dem Kopf zu nicken.
Alle Altersstufen im Überblick
Wichtel & Wölflinge (7 bis 10 Jahre)
Ab der zweiten Klasse Volksschule nehmen Pfadfindergruppen Kinder gerne auf, als Wichtel (Mädchen) und Wölflinge (Buben), gemeinsam kurz „WiWö“ gerufen. Alles hier passiert spielerisch – und angelehnt an die die Erzählung aus Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ und das „Waldenland“ von Inge Peter.
Guides & Späher (10 bis 13 Jahre)
Sobald das Volksschulalter passé ist, beginnt das, was oft als „das eigentliche Pfadfinderleben“ bezeichnet wird. Eingeteilt in kleine Gruppen (Patrouillen) beginnt hier das große Abenteuer – so oft wie möglich draußen.
Caravelles & Explorer (13 bis 16 Jahre)
Kein einfaches Alter, doch wo die Eigenständigkeit immer wichtiger wird, lassen sich auch ins Pfadfinderprogramm für die eigene Gruppe immer öfter eigene Vorschläge einbringen.
Ranger & Rover (16 bis 20 Jahre)
Begleitet von älteren Vertrauenspersonen geht es darum, immer öfter selbst Verantwortung zu übernehmen – für sich selbst und für die Gemeinschaft. In diesem Alter sind viele „RaRo“ bereits selbst als Leiter tätig, etwa bei den Kleinsten, den „WoWö“.
Die acht Schwerpunkte der Pfadfinderei
1. Bereitschaft zum Abenteuer des Lebens
Neues und sich selbst erproben, sich selbst und die Umwelt mit all ihren Widrigkeiten kennenlernen, annehmen, aber auch verändern lernen – vielleicht der wichtigste aller acht Pfadfinder-Schwerpunkte.
2. Einfaches und naturverbundenes Leben
Achtsamkeit, Ressourcenschonung, Naturverbundenheit: Dieser Eckpfeiler der Pfadfinderidee gewinnt immer mehr an Bedeutung. Am internationalen Jamboree „Home 2018“ gab es etwa eine eigene Eco-Challenge.
3. Kritisches Auseinandersetzen mit sich und der Umwelt
Ich und die anderen: Missstände, Normen und Gepflogenheiten werden hinterfragt, erörtert, und wenn es sein muss, werden Pfadfinder auch aktiv.
4. Körperbewusstsein und körperliche Leistungsfähigkeit
Wichtiger denn je: einen gesunden Umgang zum eigenen Körper zu finden. Gesundheit, das Kennenlernen der eigenen Grenzen – aber auch das Finden der eigenen Geschlechtsidentität steht im Mittelpunkt. Seit einigen Jahren gibt es auch die Rainbow Scouts.
5. Spirituelles Leben
Angewandte Ethik: Dieser Schwerpunkt hilft – überkonfessionell –, die Ursprünge der eigenen Werte und Überzeugungen zu erkunden.
6. Schöpferisches Tun
Jeder hat Talente. Quer über alle Altersstufen werden neue Techniken und kreative Möglichkeiten ausprobiert – mit dem Ziel, die eigenen Gefühle und Gedanken kreativ ausdrücken zu lernen.
7. Verantwortungsvolles Leben in der Gemeinschaft
Demokratie lernen: Kinder und Jugendliche erleben in der Gemeinschaft, wie sie eigene Überzeugungen einbringen, jene der anderen berücksichtigen und Verantwortung übernehmen können – in einer durch und durch basisdemokratischen Bewegung.
8. Weltweite Verbundenheit
Die eigene Kultur kennenlernen, andere achten und respektieren: Das wird nicht nur auf internationalen Jamborees gelebt, sondern das ganze Jahr über praktiziert.
Bettina Jaksch











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