Sind Depressionen bei Kindern ein eher neues Phänomen?
Scheucher-Pichler: Depressionen im Kindes- und Jugendalter galten lange Zeit als selten. Heute gehen wir davon aus, dass man diese Erkrankungen häufig übersehen hat und erst jetzt beginnt, richtig darauf aufmerksam zu werden. Allerdings erwarten wir auch, dass der steigende Leistungsdruck und der zunehmende Zerfall familiärer Lebensweisen, die Schutz und Sicherheit bieten, psychische Erschöpfungszustände im Kindesalter fördern und die Zahl noch ansteigen lassen. Genauso wie der unkontrollierte Internetkonsum und soziale Medien eine große Gefahr darstellen.
Welche Umstände können zu Depressionen führen?
Es gibt Situationen, die eine psychische Erschöpfung fördern. Das kann eine unschöne Trennung sein, ein Todesfall in der Familie oder eine erhöhte Stresssituation, die über einen längeren Zeitraum anhält.
Tragen manche Kinder ein erhöhtes Risiko, an Depressionen zu erkranken?
Laut Untersuchungen wirken sich psychische Erkrankungen in der Familie wie Depressionen, Alkoholerkrankungen oder Psychosen begünstigend aus. Ebenso erhöht ein Mutterverlust im ersten Lebensjahr das Risiko. Das gilt auch für emotional oder physisch verwahrloste familiäre Umgebungen oder für Gewalt- und Missbrauchserfahrungen.
Was sollen Eltern tun, die eine Veränderung ihres Kindes bemerken?
Das Wichtigste ist, dass sich Eltern dem Problem stellen und darüber sprechen, die Signale ernst nehmen, wenn sich das Kind in seinem Wesen verändert, und sich rasch Hilfe von Experten holen.
Was können Eltern tun, deren Kind an einer Depression erkrankt ist?
Unterstützend zu einer Therapie, die unumgänglich ist, müssen die Eltern versuchen, auf ihr Kind einzugehen. Ganz wichtig ist, dass man das Kind zu Tätigkeiten animiert wie Sport, Malen oder anderen Dingen, die dem Kind Spaß machen, offen damit umgeht und die Krankheit nicht tabuisiert, vor allem auch in der Schule mit den Lehrern darüber spricht. Aufgrund der Entwicklungen wird es hier auch notwendig sein, dass Pädagoginnen und Pädagogen in Zukunft besser auf die Früherkennung geschult werden.
Betroffene beklagen häufig, dass es schwierig sei, einen Therapieplatz zu bekommen.
Wir haben derzeit in Österreich leider die Situation, dass Betroffene sehr lange warten müssen. Das muss sich ändern. Es darf nicht sein, dass nach erstellter Diagnose monatelang nichts passiert. Zudem muss auch sichergestellt werden, dass jedes Kind, das an einer Depression erkrankt, eine leistbare Therapie bekommt bzw. eine Behandlung auf Krankenschein. Das Hilfswerk fordert beides seit Jahren, denn wer bereits im Kindes- und Jugendalter professionell behandelt wird, hat sehr gute Chancen, ein normales Leben zu führen