Gesundheit

Ein Kokon, der Heilung ermöglicht

In einer neuen Reha-Einrichtung wird kranken Kindern und Jugendlichen ein Neustart ins Leben ermöglicht. familiii zu Besuch in der Kinder- und Jugendreha „kokon“ in Bad Erlach.

Voller Begeisterung klettert Justina die Holzstufen nach oben und rutscht dann die kleine Rampe herunter. Immer und immer wieder läuft die Dreieinhalbjährige zurück, mit jeder Wiederholung lacht sie mehr und strahlt vor Glück. Für die meisten Kinder wäre dies wohl keine besondere Sache, doch für Justina ist die Eroberung der Holzrutsche ein großer Schritt, denn Justine wurde mit Trisomie 21 und einem Loch im Herzen geboren.

Ganzheitliche Konzepte

Weder ihre Körperspannung noch ihre Motorik konnten bis vor Kurzem mit denen Gleichaltriger mithalten – doch das hat sich seit Kurzem geändert, denn Justina ist eine der ersten Patientinnen einer neuen Rehabilitationseinrichtung für Kinder. kokon besteht aus zwei Kliniken in Rohrbach-Berg sowie Bad Erlach, wo Justina mit Mama Sigrid und Schwester Gloria auf Rehabilitation ist. „Justina macht hier Fortschritte ohne Ende“, sagt Sigrid, „sowohl in ihrer Sprache als auch der Fein- und Grobmotorik. Ihre Körperspannung ist durch die Therapie deutlich besser geworden und durch die Logopädie hat sich die Kommunikation verbessert.“ Vergangenen Herbst wurden die Zentren eröffnet, ein wichtiger Schritt in der österreichischen Kinder- und Jugendreha. Denn diese Form der Rehabilitation befindet sich hierzulande mit sechs Einrichtungen noch am Anfang. In Bad Erlach stehen Betten für 114 junge Patienten zwischen 0 und 18 Jahren sowie 104 Begleitpersonen zur Verfügung. Behandelt werden hier Kinder und Jugendliche, die wieder mobilisiert werden müssen ebenso wie jene, die im Bereich Mental Health Unterstützung brauchen. Krankheitsbilder sind zum Beispiel angeborene Fehlbildungen und Folgezustände nach Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparates sowie Diabetes und Adipositas mit psychosozialen Problemen, Ess-, Aufmerksamkeits- oder Traumafolgestörungen.

Die kleinen Patienten erhalten täglich zwei bis drei Therapieeinheiten. Die Mobilisierung kranker Kinder und Jugendlicher ist einer der Schwerpunkte der Einrichtung.

Justina
Alter: 3,5 Jahre
Erkrankung: Justina wurde mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) und einem Loch im Herzen geboren. 2018 wurde sie erfolgreich am Herzen operiert.
Fortschritte: Durch die Therapie in der kokon-Reha hat sich Justinas Körperspannung deutlich verbessert, ebenso ihre Sprache.

Justina (mit Mama Sigrid und Schwester Gloria) liebt es, den Spielplatz zu entdecken, der inmitten des kokon-Gebäudes angelegt wurde.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Krankenhausatmosphäre wird bei kokon vermieden, dennoch ist der großzügige Bau mit modernsten Therapieräumen, Sportplatz, Hallenbad und Turnhalle ausgestattet. Statt weißer Krankenhauskleidung tragen die Mitarbeiter allesamt weiße Hosen und hell- oder dunkelblaue Poloshirts – Ärzte ebenso wie Therapeuten und Reinigungskräfte. In dem lichtdurchfluteten Haus dominieren Pastelltöne und Holz und es gibt viele Spiel- und Rückzugsmöglichkeiten. Auch die Zimmer, die für die Familien zur Heimat auf Zeit werden, sind gemütlich eingerichtet. Da die Kinder zwischen drei und fünf Wochen vor Ort sind, gibt es auch ein Klassenzimmer in dem sie zwei bis drei Stunden am Tag Unterricht erhalten und einen Kindergarten.

Gloria
Alter: 9 Jahre
Erkrankung: Gloria ist nach Bad Erlach gekommen, um abzunehmen und an ihrem Selbstwertgefühl zu arbeiten, da sie immer wieder von anderen Kindern gemobbt wird.
Fortschritte: Dank der Therapie kann Gloria besser über ihre Gefühle sprechen und hat viel über gesunde Ernährung gelernt.

Das Leben autonom gestalten

kokon soll laut der ärztlichen Leiterin Anna Maria Cavini einen sicheren und geborgenen Raum bieten, in dem sich die Patienten entwickeln können. Je nach individueller Situation sind die Ziele Heilung und vollkommene Wiederherstellung oder das Akzeptieren der eigenen Einschränkungen bei Entfaltung des gesamten Potentials. Rehabilitation versteht man hier als einen intensiven Prozess, der auf Basis eines individuell angepassten, therapeutisch-medizinischen Konzeptes stattfindet. Das Ziel: die Patienten in die Lage zu versetzen, ihr Leben möglichst autonom und nach eigenen Vorstellungen gestalten und leben zu können.

Die Kinder- und Jugendfachärztin betont außerdem, wie entscheidend es ist, dass man die jungen Patienten auf Augenhöhe behandelt: „Es ist wichtig, dass man Kindern viel erklärt und sie in die Therapie miteinbezieht. Studien belegen, dass Kinder, die ein großes Krankheitswissen haben, ihre Krankheit besser managen können und eine deutlich höhere Lebensqualität haben. Kinder und Jugendliche spüren, wenn sie schwere oder sogar lebensbedrohliche Krankheiten haben, etwa indem sie merken, dass es den Eltern nicht gut geht. Doch sie vertragen die Wahrheit und können damit teils besser umgehen als die Mütter und Väter.“

Miriam
Alter: 9 Jahre
Erkrankung: Miriam wurde mit einem halben Herz geboren und leidet an der Bluterkrankung Falconi-Anämie. Sie wird unter anderem mittels Magensonde ernährt.
Fortschritte: Das Mädchen hat begonnen, selbstständig zu essen und versucht längere Strecken ohne künstlichen Sauerstoff zu gehen.

Vertrauen fassen

Pro Tag gibt es in Bad Erlach zwei bis drei Therapieeinheiten, zum Beispiel Physio-, Ergo- oder Logotherapie. Dabei entscheidend: dass immer die selben Therapeuten die Kinder behandeln, denn nur so kann Vertrauen aufgebaut werden – einer der wichtigen Bausteine eines Reha-Erfolges. Auch für Colvin, 4 Jahre, der am Menkes-Syndrom, einer seltenen Stoffwechselstörung, erkrankt ist, ist es wichtig, dass er von vertrauten Gesichtern umgeben ist. Er bekommt in Bad Erlach unter anderem Ergotherapie in der er für ihn wichtige Gleichgewichtserfahrungen sammeln kann. Während er in einem roten Therapiekreisel liegt, schaukelt ihn seine Therapeutin hin und her und singt für ihn. „Colvin ist bettlägerig und hatte keine Kopfkontrolle ehe wir nach Bad Erlach gekommen sind. Jetzt kann ich ihn auf meinen Schoss setzen und er schaut nach vorne, ohne dass ich seinen Kopf halten muss und er sofort nach vorne kippt. Er nimmt die Umwelt jetzt auch aus einem anderen Blickwinkel wahr, weil er nicht immer nur am Rücken liegt oder in der Sitzschale sitzen muss“, berichtet seine Mama Beatrice. Kinder- und Jugendreha unterscheidet sich aber noch in vielen weiteren Aspekten von jener für Erwachsene. Mit ein Grund, weshalb Experten für mehr eigene Einrichtungen und speziell auf die Bedürfnisse der jungen Patienten abgestimmte Therapien plädieren. „Es gibt kein Schema F“, sagt Anna Maria Cavini. „Bei Kindern ist essentiell, welche Rolle sie in einer Gruppe einnehmen, damit sie Vertrauen fassen können. Das Gruppensetting ist ein Erfolgsfaktor der Reha. Wir versuchen deshalb, die Patienten gemeinsam als Gruppe, passend zu den Indikationen und dem Alter, aufzunehmen.“

Hendrik
Alter: 5,5 Jahre
Erkrankung: Hendrik hat einen seltenen Gendefekt und eine dadurch bedingte Entwicklungsverzögerung.
Fortschritte: Durch die kokon-Therapien werden Hendriks Sinne stimuliert und er bekommt wertvolle Impulse, um sich daheim weiterentwickeln zu können.

Zahlreiche Erfolge

Gemeinsam mit den anderen Patienten, den Eltern und dem Personal machen die Kinder und Jugendlichen hier täglich Fortschritte. Manche sind groß, andere etwas kleiner. Was jedoch zählt: dass sich etwas verändert und die Lebensqualität verbessert wird. So auch bei Miriam aus Oberösterreich. Die Neunjährige wurde mit der Fanconi-Anämie, einer Bluterkrankung, geboren, die in ihrer Familie bereits mehrfach aufgetreten ist. Miriam hat nur ein halbes Herz und seit ihrer Geburt 73 medizinische Eingriffe mit 47 Vollnarkosen bekommen. Auch für kurze Wegstrecken braucht das kleine, zierliche Mädchen Sauerstoff, musste zuletzt sogar über eine Magensonde ernährt werden, weil sie keinen Appetit mehr hatte. Seit Miriam in Bad Erlach zur Reha ist, hat sich jedoch einiges verändert. Sie hat wieder begonnen, kleine Portionen zu essen und deutlich mehr Kondition, sagt ihre Mutter: „Zuhause kann sie aufgrund der schlechten Blutwerte nicht immer in die Schule gehen. Es tut ihr sehr gut, dass sie hier in der Reha Kontakt zu anderen Kindern hat. Und sie sieht, dass sie mit ihrer Krankheit nicht alleine ist.“

Colvin
Alter: 4 Jahre
Erkrankung: Der Fünfjährige hat das Menkes-Syndrom, eine seltene, angeborene Stoffwechselstörung.
Fortschritte: Dank intensiver Therapien kann Colvin den Kopf teilweise selbstständig halten und seine Umgebung aufmerksamer sowie intensiver wahrnehmen.

Ein Schmetterling fliegt davon

Nicht nur der gegenseitige Austausch zwischen Kindern, ihren Eltern und den Geschwistern ist ein entscheidender Bestandteil des ganzheitlichen Therapieansatzes, der in Bad Erlach gelebt wird. Es zählt auch, dass man gemeinsam mit den Ärzten und Therapeuten und den neu gewonnenen Freunden die erlangten Fortschritte der letzten Wochen feiert. Das Highlight der Rehabilitation ist deshalb immer das große Schmetterlingsfest, das mit allen jeden Dienstag gefeiert wird, ehe sie wieder nach Hause fahren und der Alltag beginnt. Auch Miriam hat sich bis dahin ein großes Ziel gesetzt, welches sie unbedingt erreichen möchte: Gemeinsam mit ihrer Mama möchte die Neunjährige zum einen Kilometer entfernten Bäcker des Ortes gehen, um sich dort ein Kipferl zu kaufen – ganz ohne künstlichen Sauerstoff. Wenn es ihr gelingt, hat Miriam dann auch jenen kokon-Leitspruch umgesetzt, der allen Kindern und Jugendlichen mit auf den Weg gegeben wird: Flieg, Schmetterling.

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