Ich weiß, wo mein Kind ist!
GPS-Uhren am Handgelenk, Chips an der Schultasche oder Apps am Smartphone: Immer mehr Eltern sorgen sich, wenn ihr Kind alleine unterwegs sind und nutzen digitale Ortungssysteme, um zu wissen, wo es ist.

Vielleicht erinnern sich so manche aus der heutigen Elterngeneration noch daran, wie sich Schul- und Freizeitwege in der eigenen Kindheit und Jugend gestalteten. Damals in der Zeit, als es noch keine Handys oder Smartphones gab. Der Schulweg und vor allem der Nachhauseweg waren oft gesäumt von abenteuerlichen Abkürzungen, Schneeballschlachten, geheimen Verstecken oder sonstigen Schleich- und Umwegen. Und sie waren vor allem eins: elternfrei.

Big mother is watching you
Letzteres gilt heute nicht mehr uneingeschränkt. Immer mehr Schulkinder tragen eine Smartwatch ums Handgelenk oder laufen mit kleinem GPS-Sender in der Schultasche durch die Gegend. Tracking-Geräte informieren besorgte Eltern rund um die Uhr über den Aufenthaltsort ihrer Kinder. Und zwar metergenau. In den letzten Jahren hat sich ein riesiger Markt von kleinen GPS-Geräten entwickelt: besonders beliebt sind etwa GPS-Tracker, die in die Hosentasche gesteckt oder an den Rucksack angebracht werden können. Sie enthalten einen Akku, eine SIM-Karte sowie einen Micro-Controller. Je nach Version können Eltern die aktuelle Position ihres Kindes bzw. des Geräts per SMS, App oder online abrufen. Manche der Geräte erlauben es dem Kind auch anzu- rufen bzw. Kurznachrichten zu verfassen. Umfangreicher sind die Funktionen von Kinder-Armbanduhren mit Ortungsfunktionen: Sie ermöglichen zum Beispiel die Position der Uhr per App oder im Webbrowser zu verfolgen, Text- sowie Sprachnachrichten zu erhalten und zu senden sowie räumliche Sicherheitszonen festzulegen, innerhalb derer sich ein Kind bewegen darf. Rechtlich gesehen ist das Tracken der Kinder durch Eltern durchaus erlaubt. Auf Armbanduhren mit Abhörfunktion sollte allerdings verzichtet werden, da das unerlaubte Abhören der Kids unter Umständen zu Datenschutzproblemen führen kann.
Elterliche Sorgen und Unsicherheit
Viele Tracking-Tools verfügen über eine Art SOS-Knopf: Die Kinder können im Notfall einen kleinen Alarmknopf drücken, falls sie Hilfe benötigen. Was als Notfall-Situation zu verstehen ist? Laut Expert:innen gehe es den Eltern dabei vorwiegend um die Angst, dass das Kind sich verirrt bzw. schlimmstenfalls entführt wird. Mit Blick auf die Kriminalstatistik möchte man meinen, gerade die Angst vor letzterem sei eher ungegründet – tatsächlich ist die Zahl an Kindesentführungen seit Jahren rückläufig. Die Psychologie spricht hier deshalb von einer so genannten „subjektiven Bedrohungsempfindung“. Was das heißt? Die Wahrscheinlichkeit, dass das eigene Kind entführt wird oder ihm etwas zustößt, ist objektiv gesehen äußerst gering. Die subjektive Angst, dass es doch passiert, ist jedoch da. Auch wenn statistisch gesehen nur ein einziges Kind im Jahr entführt wird, ist es der absolute Horror, wenn es ausgerechnet das eigene ist. In den GPS-Trackern sehen Eltern eine Möglichkeit, sich zu beruhigen und ihre Ängste in den Griff zu bekommen.

Kontrollierte Kindheit – oder wie sicher ist sicher?
Viele sehen im Kinder-Tracking im Grunde eine Fortsetzung dessen, was den Umgang der aktuellen Elterngeneration in Bezug auf eine generelle Steuerung ihrer Kinder betrifft. Anders als noch in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts würden Eltern heute viel stärker versuchen, das Leben ihrer Kinder zu steuern. Viele Eltern haben den Anspruch, die Zeit der Kids möglichst gut zu organisieren – von der Optimierung der Schulausbildung bis hin zum durchgetakteten Freizeit- und Sportprogramm. Die Angebote der Tracking Geräte scheinen diesem Kontroll- und Sicherheitsanspruch weiter nachzukommen. „Die Sorge vieler Eltern ist verständlich, doch sollten Eltern sich dessen bewusst sein, dass es so etwas wie absolute Sicherheit niemals geben kann. Ein GPS-Gerät kann nicht verhindern, dass meinem Kind etwas zustößt“, meint Katharina Kaiser-Müller. Die Medienpädagogin sieht es kritisch, die Aufenthaltsorte von Kindern zu tracken. „Erziehung bedeutet für mich Begleitung und nicht zwangsläufig Kontrolle! Letztendlich geht es darum, die Kinder für die Welt da draußen mental fit zu machen“, so die Medienexpertin. Und das gehe nur über eine transparente Vorbildwirkung, eine echte Vertrauensbasis sowie die Stärkung des Selbstverantwortungsbewusstseins beim Kind. Wie verhalte ich mich Fremden gegenüber? Welche Regeln gelten für brenzlige Situationen? „Damit Kinder allein in der Welt zurecht kommen, müssen sie schrittweise ein Gespür dafür entwickeln, in welchem Verhältnis sie selbst zu anderen Menschen und anderen Umgebungen stehen“. Anstelle von Überwachung sollten sich Eltern im Vertrauen in die Fähigkeiten des eigenen Kindes üben und ihre Vorbildrolle einnehmen. Gespräche, in denen auf Risiken angemessen hingewiesen wird, sinnvolle Regeln und Absprachen können ebenso zum Ziel führen, das wohl alle Eltern anstreben: die Kids zu starken, selbständigen Persönlichkeiten groß zu ziehen.

PRO
Gregor M. (37), Vater eines 8-Jährigen Sohnes
„Levin soll allein mit seinen Freunden zur Schule gehen. Mit der Smartwatch darf er außerdem in seiner Freizeit allein in unserem Viertel unterwegs sein. Die GPS-Funktion ist sehr praktisch, weil ich so einfach immer weiß, ob Levin gerade am Schulhof, am Heimweg oder beim Billa ums Ecks ist. Ich finde es auch beruhigend, dass er jederzeit einen Alarm auslösen kann, sollte er in einer Gefahrensituation sein!“
CONTRA
Tina V. (41), Mutter eines 7-Jährigen und einer 11-Jährigen
„Für mich kommt es nicht in Frage, meine Kinder zu tracken. Meine Töchter kommen mit dem Schulweg alleine sehr gut zurecht. Und auch am Nachmittag bewegen sie sich bei uns im Grätzel frei – ob mit Freunden im Park, in der Bibliothek oder am Weg zur Musikschule. Ich versuche sie so zu erziehen, dass sie so viel Eigenverantwortung wie möglich übernehmen können und ich vertraue ihnen, dass sie das auch gut hinkriegen!“

Umgang mit Tracking
Abhängig vom Alter des Kindes und des verwendeten GPS-Geräts sollte laut Medienpädagogin Katharina Kaiser-Müller folgendes bedacht werden:
Gegenseitiges Vertrauen stärken: Das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern sollte von Vertrauen geprägt sein. Eltern sollten ansprechen, dass sie selber ein Sicherheitsbedürfnis haben und deshalb möchten, dass ein mobiles Endgerät zur Ortung genutzt wird. Die Einwilligung des Kindes ist vor allem auch deshalb hilfreich, weil es (technische) Möglichkeiten gibt, sich der Kontrolle zu entziehen.
Regeln besprechen und Vereinbarungen treffen: Wie bei der Nutzung von Handys auch muss festgelegt werden: Wofür wird es (von wem) genutzt und wofür nicht?
Verhaltensweisen trainieren: Mit dem Kind besprechen, wie es in einer Gefahrensituation handeln soll. Was es tun soll, wenn es sich verläuft oder etwas bedrohlich erscheint? Wie ist mit „fremden“ Kontaktaufnahmen (ob persönlich oder virtuell über soziale Netzwerke) umzugehen?
Freiräume zugestehen: Kinder brauchen für ihre Entwicklung auch Räume, in denen sie selbstbestimmt und -verantwortlich sind. Ein überbehütetes Kontrollieren der Kinder steht ihrer Entwicklung in Richtung Unabhängigkeit entgegen.
Datensicherheit: Geodaten werden meist auf externen Servern gespeichert und eine Kontrolle über die Daten ist schwer mög- lich. Niemand kann also garantieren, dass diese Daten nicht auch von Dritten genutzt werden. Schlussendlich stellt sich immer die Frage: Welchen Nutzen hat das Tracking? Wo fängt es an, wo hört es auf? Wer außer mir hat noch Interesse, dass ich mich oder meine Kinder tracke?
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