Sus, yappen, Bro – Hilfe, ich verstehe mein Kind nicht mehr!
Jugendliche grenzen sich durch ihren Mode- und Musikgeschmack von Erwachsenen ab – und durch ihre Art zu sprechen. So klingt Jugendsprache.

Über die Pubertät kursieren haufenweise Geschichten. Es sei die Zeit der knallenden Türen und blockierten Badezimmer, der endlosen Diskussionen und wechselhaften Launen. Worüber man nichts hört? Dass man das eigene Kind auf einmal kaum mehr versteht. Und das buchstäblich. Oder welcher Erwachsener kann auf Anhieb sagen, was sus, hell na und yappen bedeutet? Zwölf-, Dreizehnoder Vierzehnjährige sprechen plötzlich anders, Jugendsprache nämlich. Sie grenzen sich damit von den Erwachsenen ab, die dann schon mal über Sätze wie ‚Mama, imagine das!‘ oder ‚Papa, das ist safe nicht gefährlich!‘ schmunzeln müssen. Doch auch wenn sich die eine oder andere jugendsprachliche Ausdrucksweise in der Familienkommunikation niederschlägt: Daheim halten sich Heranwachsende damit eher zurück. Eltern bekommen nur einen Bruchteil vom veränderten Sprachstil ihres Kindes mit, den es dafür ausgiebig mit Gleichaltrigen praktiziert.
‚Schieß Ball her‘
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei Jugendsprache um einen Soziolekt. Damit ist der Sprachgebrauch einer bestimmten sozialen Gruppe gemeint, in diesem Fall eben von Jugendlichen, deren Sprechstil geprägt ist von viel Emotion, Humor, Übertreibungen und starkem Ausdruck und der Merkmale im gesamten Sprachsystem umfasst. „Am wichtigsten aber ist der Wortschatz“, sagt Manfred Glauninger, Sprachwissenschaftler an der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Typisch sind Anglizismen, aber auch Ausdrücke aus Migrantensprachen wie Arabisch oder Türkisch. Vor allem im städtischen Raum, wo Jugendliche mit vielen anderen Sprachen in Kontakt sind, die ihren Wortschatz und den Satzbau beeinflussen. Im Türkischen beispielsweise gibt es keine Artikelwörter, was zu Sätzen wie ‚Schieß Ball her‘ auch unter autochthonen österreichischen Jugendlichen führt.
Die ‚eine‘ Jugendsprache gibt es nicht
In dialektal geprägten Regionen ist Jugendsprache vom Dialekt beeinflusst. ‚Hawara, jetzt red‘ i!‘, sagt etwa die 12-Jährige, wenn sie sich Gehör verschaffen will. „Aber auch Wiener Jugendliche bauen einzelne Dialektwörter wie Anglizismen in ihre Sprache ein“, sagt Glauninger. Einen Einfluss hat außerdem die ausgiebige schriftliche Kommunikation in den sozialen Medien. Was dort schriftlich verkürzt wird, bleibt es oft im Mündlichen. Ein Beispiel: lol für ‚laughing out loud‘. So unterschiedlich Jugendliche sind, so sehr unterscheidet sich ihre Art miteinander zu sprechen. Wie genau die jeweilige Variante von Jugendsprache aussieht, hängt vom Background ab, ob bildungsbürgerlich oder Arbeitermilieu, ländlich oder urban, Migrationshintergrund oder nicht. Die ‚eine‘ Jugendsprache gibt es nicht, auch wenn einzelne Wörter sehr verbreitet sind. Initiativen wie die Kür des ‚Jugendworts des Jahres‘, die Jahr für Jahr vom Langenscheidt-Verlag durchgeführt wird, sind der Versuch, diese zu erfassen. Und Erwachsenen zumindest einen kleinen Einblick in die sprachliche Welt junger Menschen zu geben.

Verbindend und ausgrenzend
Jugendsprache erfüllt eine Funktion, die Sprache generell zukommt: Sprache verbindet und fördert den Zusammenhalt in einer Gruppe. Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, verstehen einander und fühlen sich einander zugehörig. Gemeinsame Sprache stiftet Identität. Das bedeutet aber auch, dass sie jene ausgrenzt, die ihrer nicht mächtig sind. Ist nicht genau dafür die Jugend da? Um sich von den Eltern und anderen Erwachsenen abzugrenzen und seine eigenen Wege zu suchen und zu finden – und das an der Seite jener, die gerade in derselben Lebensphase stecken, den Peers, die so wie man selbst zwischen Unsicherheit und Selbstvertrauen schwankend ins Erwachsenenleben stolpern. Die sich nicht wundern, wenn man lieber chillaxt als lernt und die eigenen Eltern genauso cringe finden wie man selbst.Über so manche Ausdrücke ihrer heranwachsenden Kinder müssen Eltern schmunzeln, über andere wundern sie sich. Einander mit Bro, Bitch oder Digga anzureden, wie das unter vielen Jugendlichen üblich ist – ist das noch vertretbar oder zu vulgär? Es kann Eltern helfen, sich an die eigene Jugend zu erinnern. Ließ ihre Ausdrucksweise damals nicht ebenfalls Erwachsene die Stirn runzeln? Waren manche Begriffe nicht überhaupt ganz verboten?
Erst seit es die Phase der ‚Jugend‘ gibt
Ist Jugendsprache also ein Phänomen, das es immer schon gegeben hat? Nein, weil sie untrennbar an die Phase der Jugend selbst gebunden ist. Und diese ist als eigene Lebensphase historisch betrachtet relativ neu. „Die Jugend ist ein Privileg der Wohlstandsgesellschaft“, sagt Manfred Glauninger. Erst mit wachsendem Wohlstand wurde jungen Menschen eine Zeit des Heranwachsens zugestanden, in der sie nicht mehr ganz Kind, aber noch nicht erwachsen sind – und in der sie sich auf eine für sie typische Weise ausdrücken können, durch Mode, Musik oder eben Sprache. Als eine Art Vorläufer von Jugendsprache kann die Studentensprache im 18. und 19. Jahrhundert mit ihren eigenen sprachlichen Codes gelten, später entwickelten sich Jugendgruppen, die ihre Freizeit mit Wandern oder Sport zusammen gestalteten und die ihre eigenen Ausdrücke hatten. „Ab den 1950er Jahren hat sich die Sprache durch den Einfluss aus dem Englischen, durch Popmusik, Kino und Fernsehen stark verändert und sich das Phänomen Jugendsprache herausgebildet.“ Seit damals gilt: Manche Begriffe schaffen es in den allgemeinen Sprachgebrauch und werden irgendwann sogar von Pensionisten und Politikerinnen verwendet. Cool ist so ein Beispiel. Sobald das passiert, bleibt jungen Menschen nur eines: Sie suchen sich neue, um sich abzugrenzen.
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