Bildung

Wie Sie Kinder fürs Lesen begeistern und motivieren

Making of Leseratte: Oft kommt es nur auf das richtige Buch an, und manchmal geht es (fast) ohne Buch. Selbst vorzulesen, schadet nie, wirkt aber auch nicht immer: So können Lehrer oder Eltern die Kinder (oder erst die Teenager) für das Lesen begeistern.

Kinder zum Lesen begeistern und motivieren

Bei PISA-Studien sind Österreichs Schüler in puncto Lesekompetenz regelmäßig nur Mittelmaß. Den Schulen kann man angesichts so vieler Schüler mit geringen Deutschkenntnissen wie kaum anderswo das Bemühen, dennoch zum Lesen anzuregen bzw. ihnen das einmal rein technisch beizubringen, schwer absprechen. Und ganz generell heißt es wohl in jeder Elternrunde (wenn auch meist auf die Kinder der anderen gemünzt): „Die Kinder lesen heute nix mehr.“ Aber stimmt das überhaupt? Und, wenn ja: Was kann man dagegen tun?

Es wird wieder mehr gelesen

Allein, dass es den Kindern hierzulande an Leselust mangelt, ist nicht aus Forschungsergebnissen abzulesen, meint Peter Rinnerthaler, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Die Stube (Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur, stube.at): In einschlägigen Studien sei kein Rückgang ablesbar. „Sieht man sich die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre an, ist sogar eine Zunahme im Bereich des Lesens zu erkennen“, gibt er zu bedenken. In einer Studie von 2006 werde als Grund für die stetige oder gar steigende Lesefreude explizit die erfolgreiche „Harry Potter“-Buchreihe angegeben. Die Hunderte Millionen Mal von Kindern (und Erwachsenen) gelesenen Endlosgeschichten um den Zauberlehrling finden sich ebenso kaum in einem Kanon der pädagogisch empfohlenen Literatur wie andere zeitgenössische Kinderbuch-Bestseller, etwa „Tom Turbo“ von Thomas Brezina. Doch, so meint etwa Gerlinde Wolfsberger: „Der ‚Tom Turbo‘-Autor Thomas Brezina hat mit seinen Geschichten so viele Kinder zum Lesen animiert wie kaum sonst wer in Österreich.“

Wolfsberger ist quasi Obervorleserin von OMY, einem Programm der Wiener Kinderfreunde. Sie koordiniert ein Team von mittlerweile regelmäßig etwa 90 Personen (fast nur Frauen), die bei OMY („Old Meets Young“) meist einmal im Monat in Kindergärten oder Schulen lesen, aber auch bei speziellen Veranstaltungen ausgewählte Bücher zum Besten geben. Interessierte Vorleser (meist Pensionisten, die ihre Dienste oft in den Schulen der Enkelkinder oder in solchen in der Umgebung anbieten) können auf eine reichhaltige Bibliothek in der Kinderfreunde-Zentrale zurückgreifen. Man erhält dafür Bücher für alle Altersstufen direkt von Verlagen.

OMY in Schule und Kindergarten

Gerlinde Wolfsberger ist pensionierte Volksschuldirektorin sowie Initiatorin und Leiterin des OMYProjekts der Wiener Kinderfreunde. » Kinder zum Lesen zu erziehen, ist nicht leicht. Sie lernen ja fast alles durch Nachahmen. Daher sind die Eltern als Vorbilder zentral. «

Die pensionierte Volksschuldirektorin Wolfsberger (zuvor war sie 25 Jahre Lehrerin) kennt nicht nur aus ihrer pädagogischen Erfahrung das Spektrum der Interessen, sie hat auch Enkelkinder zwischen 2 und 25 Jahren. „Die Lesegewohnheiten sind zweifellos heute ganz anders, auch in den Schulen: Früher wurde oft laut mit den Kindern gelesen, es wurden mehr Gedichte auswendig gelernt.“ Auch sei später in den Gymnasien kaum mehr klassische Literatur gefragt. Bei der Auswahl der Geschichten für die Kleinsten sei jedenfalls oberstes Gebot, keine „Verbotsliteratur“ auszuwählen.

„Kinder zum Lesen zu erziehen, ist nicht leicht, sie lernen ja fast alles durch Nachahmen, daher sind die Eltern als Vorbilder zentral.“ Also – und das predigen sämtliche Experten: vorlesen, schon so früh wie möglich, dann darüber reden, die Kinder interagieren lassen. Als besonderen Trick baut Wolfsberger oft quasi einen Cliffhanger ein: Gerade wenn die Geschichte besonders spannend wird, macht sie eine Pause und fragt die kleinen Zuhörer, wie es wohl weitergehen könnte. Oder sie animiert die Kinder zu einem Referat über ihr eigenes Lieblingsbuch.

Bilder im Kopf, Bilder im Buch

Andrea Kromoser ermittelt auch mit Hilfe eines Onlinefragebogens die passende Lektüre für das Kind, an dem auch die Erwachsenen Gefallen finden. » Leseförderung beginnt in der Familie, die Begeisterung für Geschichten muss in den Kindern aber immer wieder neu geweckt werden. «

Welches sich als letzteres qualifiziert, was die Lust am Lesen unstillbar macht, dafür gibt es kein Geheimrezept, keine Liste mit sicheren Tipps. Sehr wohl kann man sich diesem „Schlüsselbuch“ aber annähern. Andrea Kromoser etwa ermittelt mithilfe eines Buchanfrage-Steckbriefs auf ihrer Website www.familienlektüre.at den präsumtiv idealen Lesestoff. Anhand von Kriterien von Lieblingsfarbe des Kindes über Hobby bis zu bisherigen Lieblingsbüchern findet die Germanistin die wohl passende Geschichte, insbesondere aus aktuellen Kinderbüchern. Ihr Credo: „Leseförderung beginnt in der Familie, die Begeisterung für Geschichten und für das Lesen muss in Kindern immer wieder neu geweckt werden. Dafür
sollen auch Eltern gute, aktuelle Kinderbücher kennen.“ Bei Veranstaltungen oder Workshops (auch für Bibliothekare oder Lesepaten) gibt sie ihr Wissen weiter. „Auch ein Bilderbuch kann ein gutes Familienbuch sein, wie überhaupt Illustrationen sehr wichtig sind, sogar für Erwachsene.“

Reichlich illustrierte Bestseller wie die sprachlich zwar nicht allzu hochwertige „Greg’s Tagebuch“-Reihe haben auf der ganzen Welt wohl ähnlich viele Kinder zu Buchlesern gemacht wie hierzulande „Tom Turbo“ für die Altersstufe unter den „Greg“-(und sonst gar nichts)-Lesern. Von illustrierten Büchern ist es nicht weit zu Comics vulgo Graphic Novels, und diese, so der vielfach gefragte Kinder- und Jugendliteraturforscher Rinnerthaler, seien längst auch in Fachkreisen anerkannt: „Das Erzählen in Bild und Text und deren Verschränkung sind somit nicht bloß bei Bilderbüchern akzeptiert, sondern auch für Kinder im Lesealter, Jugendliche und Erwachsene attraktiv.“

Generell solle man nicht unterschiedliche Medien gegeneinander ausspielen, indem man etwa bloß das gedruckte Buch als einziges zu Leseratten machendes Mittel propagiere. OMY-Vorleserin Wolfsberger kopiert oft auch Bilder aus den Büchern und verteilt diese, damit bei den Kleinen auch damit Bilder im Kopf entstehen, denn das hilft auch, die Aufmerksamkeit
zu steigern.“ Computer- und Onlinemedien seien zwar für Größere oft ein Grund dafür, dass immer weniger Kinder zum Buch greifen. Sie steht dem aber nicht grundsätzlich negativ gegenüber: „Man kann damit den Unterricht in den Volksschulen interessant gestalten, ergänzende Lernspiele anbieten, sich Fragen zum Buch holen, die Größeren zum Vorgelesenen
recherchieren lassen. „Egal, mitwelchen Mitteln, es geht um das Erfassen des Sinns“, sagt Wolfsberger.

Literacy Skills im Kindergarten

Natanya Tinnefeld ist Volksschullehrerin und auch wissenschaftlich zu Literacy tätig. Sie war 2013 in Wien „Teacher of the Year“ und setzt sogar in einer 4. Volksschulklasse noch stark auf Vorlesen als pädagogisches Mittel. »Angesichts des verpflichtenden Kindergartenjahres verstehe ich nicht, warum der Leseunterricht in Österreich nicht schon im Kindergarten beginnen kann. «

Für Natanya Tinnefeld ist die Vielfalt der Trägermedien entscheidend für die Lese-Begeisterung. Aber, so Tinnefeld, die nicht nur als Volksschullehrerin 2013 in Wien als „Teacher of the Year“ ausgezeichnet wurde, sondern auch wissenschaftlich in den Bereichen Literacy und Begabtenförderung tätig ist: „Ich möchte kein Kind ausschließlich am Computer oder Lesegerät
Lesen lernen lassen. Ein Buch soll das richtige und beste primäre Lesemedium für Kinder sein.“
Sie glaubt, dass der Leseunterricht überdacht und überarbeitet werden muss, „wobei der Anfang im Kindergarten gemacht gehört“. Angesichts eines verpflichteten Kindergartenjahres sei es unverständlich, dass dort nicht auf höchstem pädagogischen Niveau mit Literacy Skills begonnen wird. Trotz vieler Angebote in Volksschulen von der „Spatzenpost“ bis zum Buchquiz-Portal Antolin fehle es laut Tinnefeld in der Elementarpädagogik an Methodik und Systematik. Außerdem gebe es auf Deutsch (im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum – sie hat
in den USA eine Montessori-Ausbildung absolviert) so gut wie keine echte Erstlese-Literatur.
Eine Studie der Stiftung Lesen besage klar, dass Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wurde, kreativer sind, mehr Sport betreiben und eher ein Musikinstrument lernen. „Abgesehen davon, dass sie öfter zu einem Buch greifen.“

Lese- Evolution mit Social Media

Peter Rinnthaler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Die Stube und Experte für Kinder und Jugendliteratur.

 

Sind Kinder heute generell lesefauler?
Der Begriff „Lesefaulheit“ ist sehr schwammig. Es ist davon auszugehen, dass Kinder auf Grund der technischen und medialen Entwicklungen nie mehr gelesen haben als heute. Mit
Lesefaulheit wird meist der Rückgang des Lesens im Bereich fiktionaler Texte gemeint. Zudem darf das Lesen in anderen Medien keinesfalls nur negativ gesehen werden. Die Leseforschung geht davon aus, dass es unterschiedliche Lesemodi gibt, die in unterschiedlichen Situationen abgerufen werden können.
Was ist der Einfluss digitaler Medien dabei?
Wenn man beobachtet, wie schnell Kinder und Jugendliche Informationen z. B. im Bereich Social Media wahrnehmen, filtern, zitieren, parodieren können, sollte man eher von Lese-
Evolution sprechen. Dass das nicht nur positive Seiten hat und der intime Lesemodus oder das in Fiktion Versinken durch die von Bildern/Videos dominierten Medien oft nicht
mehr im Zentrum der kindlichen Freizeit steht, ist auch klar.
Wie kann man derartige Kinder zu Buchlesern machen?
Wenn man etwa erklären kann, dass das Motiv der Heldenreise bei „Game of Thrones“ nichts Neues ist, sondern in mittelhochdeutschen Texten oft noch spannender erzählt wird,
macht das wahrscheinlich durchaus Sinn und Lust.

Hilfe bekommen

Der Vielfalt des Angebotes an Literatur für Kinder und Jugendliche wird die Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur durch eine Vielfalt an Herangehensweisen und
Vermittlungsangeboten gerecht, lautet das Versprechen von stube.at.

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