Lernen von und mit der Natur
Ihr Spielplatz ist der Wald, ihr Jausenraum die Wiese – in Waldkindergärten dient die Natur als Erfahrungs- und Entwicklungsort.

Sie ist ein wahrhaft idyllischer Ort, die Waldlichtung in Emmersdorf in der Wachau: Gestreifte Hängematten baumeln hier zwischen mächtigen Bäumen, dazwischen steht ein Baumhaus mit Ausguck in den dichten Laubwald, und auf der nahen Wiese thront ein mächtiges Tipi mit einem Feuerplatz, vor dem Hund Janus liegt und in der Sonne döst.
Der Wald als Heimat
Dieser romantisch-verwunschene Platz könnte ebenso gut das Zuhause von Astrids Lindgrens Pippi Langstrumpf oder von Peter Pan und seinen ewig jungen Freunden aus Nimmerland sein – doch es sind die Waldwiesel, die hier ihr Lager aufgeschlagen hat. Täglich kommen die Kinder der Tagesbetreuungseinrichtung hierher, um zu spielen, von der Natur zu lernen und Spaß zu haben. Ein festes Haus gibt es nicht, der Wald ist die temporäre Heimat der beiden Gruppen, die vormittags oder nachmittags hier sind. An diesem Tag sind es David, 3, Katharina, 3 ½, Laurin, 4 ½ und Keira, 7, die sich gerade am Platz vor dem Tipi-Zelt verkleiden und miteinander in spannende Fantasiewelten eintauchen. Draußen sind die Kinder im Sommer wie im Winter, wenn es besonders kalt ist oder regnet, ziehen sie sich in ihr geräumiges Zelt zurück, im Winter wird dann auch ein Lagerfeuer gemacht. Einzig bei extremen Stürmen gehen sie nicht hinaus. Gegessen und getrunken wird im Wald oder auf der Wiese, wann, entscheiden die Kinder selber. Und wer auf die Toilette muss, der erledigt sein Geschäft im Wald.
Teresa Grünauer, Waldwiesel
Soziale Kompetenzen und Umweltdenken
Die Idee hinter dem Konzept: Kindern soll ein sicherer, liebevoller und geborgener Rahmen zur Entwicklung in der lebendigen und natürlichen Umgebung von Wald und Wiese geboten werden. Die Natur mit all ihren Tieren und Pflanzen wird dabei hautnah erlebt. Dabei besonders wichtig ist, dass die Kleinen richtig ausgerüstet sind: Zwiebellook ist ebenso entscheidend, wie ausreichend zu trinken und zu essen. Denn außer einem großen Container mit Wasser zum Waschen der Hände gibt es nichts im Lager. Die diplomierte Kindergartenpädagogin Teresa Grünauer hat die Waldwiesel gemeinsam mit ihrem Kollegen Laurenz Garschall ins Leben gerufen. „Wir bieten den Kindern keine Angebote, wie man das aus regulären Kindergärten kennt. Sie haben die Freiheit, selber zu entscheiden, was sie gerade machen möchten. Spielzeug gibt es bei uns auch nur wenig – wir haben etwa Kreide für eine Tafel, Gewand zum Verkleiden oder kleine Werkzeuge. Alles andere suchen sich die Kinder selber im Wald und auf der Wiese. Ein Zweig kann dann zu den unterschiedlichsten Dingen werden, mit dem man tolle Abenteuer erleben kann. Das fördert die Kreativität. Unser Konzept bietet viel Raum für kindliche Bedürfnisse, jedes Kind kann sich in seinem ganz eigenen Tempo entwickeln“, erklärt die Waldpädagogin. Dennoch gibt es auch in der Waldgruppe, die laut Teresa Grünauer nichts mit antiautoritärer Erziehung zu tun hat, gewisse Regeln und klare Grenzen: „So dürfen die Kinder keine Blätter oder unbekannten Früchte essen und müssen alles wegräumen, was nicht in den Wald gehört, etwa nach dem Essen.“
Gesund und ausgeglichen
Doch was unterscheidet die Kinder aus der Waldwiesen-Gruppe von jenen, die einen klassischen Kindergarten besuchen?
Die Waldzwerge seien nur selten krank, so Teresa Grünauer, da Keime auf dem Holz und an der frischen Luft nicht so lange überleben wie in vollen Kindergartenräumen mit all den glatten Oberflächen. Die Waldpädagogin, selber dreifache Mutter, hat ihren jüngsten Sohn David auch bei den Waldwieseln mit dabei: „Durch den täglichen Aufenthalt im Wald sind die Kinder sehr konzentriert und ausgeglichen – denn hier gibt es nicht unendliche viele Ablenkungen. Der Wald ist einfach ein idealer Entwicklungsraum, da er nur adäquate Sinnesreize bietet.“
Kleine Entdecker unterwegs
Die Kindergruppe aus der Wachau lebt eines von vielen verschiedenen Konzepten, die sich in den vergangenen Jahrzehnten rund um die Waldpädagogik entwickelt haben. In ganz Österreich gibt es über 50 Kindergruppen oder ganze Kindergärten, die diese Möglichkeit anbieten – und sie finden regen Zuspruch unter den Eltern. Die Bandbreite dabei ist enorm, ein einheitliches Konzept gibt es nicht. Nicht alle sind rum um die Uhr im Wald wie die kleinen Waldwiesel aus der Wachau, manche Gruppen halten sich auch nur einmal die Woche, im Rahmen regelmäßiger Ausflüge, in der Natur auf.
So wie die Tiroler Gruppe der Umweltspürnasen aus Innsbruck, die Teil des Übungskindergartens der Katholischen Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik ist. Einmal die Woche fahren die rund 20 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren gemeinsam mit ihren Kindergartenpädagoginnen mit dem Bus in die Wälder rund um Innsbruck und erkunden intensiv die Natur ihrer Heimat. Die Kinder sollen die Umwelt mit allen Sinnen kennen lernen und erfahren, wie sich Bäume anfühlen oder wie der Boden riecht, und lernen vieles über den Schutz der Natur. Die Jause wird immer im Wald eingenommen, und teilweise gibt es dort mit den Eltern durchgeführte Feste und Feiern. Regelmäßig kommen auch Experten zu Besuch. So etwa auch ein Waldaufseher, der die Kinder beim Fototermin mit familiii trifft. Gemeinsam mit ihnen hat er zum Beispiel schon einen Baum gepflanzt. Heute wird er mit ihnen einen fällen. Begeistert bestaunen die Kleinen die Arbeit des Mannes und hören ihm aufmerksam zu, wenn er ihnen von seinen Aufgaben und vom Schutz des Waldes erzählt. Dann geht es zum nahen Fluss, um Kaulquappen zu suchen. Letzte Woche haben die Mädchen und Buben sie dort entdeckt, heute wollen sie schauen, ob einige davon vielleicht schon zu kleinen Fröschen geworden sind.
Kindergartenpädagogin Renate Kaplenig von den Umweltspürnasen ist auch Biologin – und weiß um den Wert des Naturerlebens für Kinder: „Dadurch, dass wir das ganze Jahr über den Wald besuchen, lernen die Kinder viel über des Jahreszeitenkreislauf. Durch das Erkunden der Natur wird so automatisch der Forscherdrang der Kindern forciert. Da sie regelmäßig draußen sind, wirkt sich das auch positiv auf das Sozialgefüge aus, und sie streiten deutlich weniger. Wenn sie etwa einen Baumstamm durch den Wald ziehen, müssen alle zusammenhelfen – die größeren Kindern ebenso wie Kleinsten in der Gruppe.“
Auch die Mitglieder der Waldwiesel sind an diesem Tag schon wieder im Entdeckermodus. Gerade ist es eine Spinne, die sie begeistert und der sie zuschauen, wie sie durch die Wiese krabbelt. Dann erklimmen sie ihr Baumhaus – und halten Ausschau nach dem nächsten Abenteuer, das der Wald bringen wird.















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