Brauchen Kinder Nahrungsergänzungsmittel?
Um das Immunsystem zu stärken und die Konzentrationsfähigkeit zu boosten, scheinen Nahrungsergänzungsmittel die Lösung – vor allem, wenn das Kind um Obst und Gemüse einen weiten Bogen macht. Wer sie benötigt, wer darauf verzichten kann.

Am Ende des Schultags kommt die Jausenbox halbleer zurück: Butterbrot und Cabanossi fehlen, Gurkenscheiben und Kohlrabistückchen, mittlerweile etwas mitgenommen, blieben unangerührt. Beim Abendessen sortiert das Kind feinsäuberlich alle Karottenstückchen aus dem Sugo und schiebt sie an den Tellerrand. Seine Lieblingsspeise: Palatschinken mit Nutella. Die Eltern sind froh, wenn das Kind hin und wieder eine Mandarine isst. Sie müssen nicht großartig nachrechnen, um zu wissen, dass sich die empfohlenen fünf Portionen Obst und Gemüse bei so einem Essverhalten kaum ausgehen. Eltern sorgen sich und fragen: Woher sollen da bloß die nötigen Vitamine und Nährstoffe kommen? Ist das Kind unterversorgt? Ist das der Grund, warum es im Winter ständig erkältet ist? Muss man in solchen Fällen mit Nahrungsergänzungsmitteln nachhelfen? Für Kinder gibt es am Markt ja jede Menge Produkte: Bunte Gummibärli, Drops zum Lutschen, süße Säfte. Sie sind so designt, dass sie Kinder ansprechen und versprechen ausreichende Versorgung mit Nährstoffen für ein starkes Immunsystem oder mehr Konzentrationsfähigkeit.
Veganer brauchen Vitamin B12
Brauchen Kinder tatsächlich Nahrungsergänzungsmittel? Die Antwort lautet: Normalerweise nicht. Gesunde Kinder benötigen in der Regel keine Supplemente – genauso wenig wie gesunde Erwachsene. „Es gibt keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die zeigen würden, dass Kinder grundsätzlich mangelernährt sind“, sagt Karl-Heinz Wagner, Professor für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien. Ein paar Ausnahmen gebe es: Kinder, die sich vegan ernähren, müssen unbedingt Vitamin B12 zuführen, weil es wichtig für den Energiestoffwechsel, zur Bildung von Blutzellen und zum Aufbau der Nervenhüllen ist. Eltern, die selbst vegan leben, wissen diesbezüglich aber meist gut Bescheid. Auch schwer oder chronisch kranke Kinder benötigen möglicherweise Supplemente. Kinder, die an chronischen Darmerkrankungen oder an Krebs leiden, essen oft sehr wenig – da sei es umso wichtiger, die Nährstoffversorgung gut im Blick zu haben. „Aber immer in Absprache mit den Ärzten“, betont Wagner.
Nie ohne ärztliche Abklärung
Das ist ohnehin ein Grundsatz, an dem sich die Entscheidung für oder gegen Nahrungsergänzungsmittel ausrichten sollte: Zuerst ärztlich abklären lassen, ob das Kind überhaupt einen Mangel hat. Und nicht einfach auf Verdacht hin supplementieren. Auch dann nicht, wenn ein Kind häufig müde oder krank ist. Ob das tatsächlich an mangelnden Nährstoffen liegt, kann nur durch eine Blutuntersuchung festgestellt werden. Apropos Erkältungen: Es ist verständlich, dass Eltern gerade in der kalten Jahreszeit alles tun, um die Krankheitstage ihres Kindes so gering wie möglich zu halten. „Wissenschaftlich ist die Datenlage aber sehr dünn, ob eine Gabe von Nährstoffen, Erkältungen wirklich verhindert“, sagt Wagner. Was man weiß: „Vitamin C kann eine Erkältung zwar nicht verhindern, aber zumindest verkürzen.“
Überdosierung möglich
Kann man sich in Sachen Nahrungsergänzungsmittel nach dem Motto ‚Hilft es nichts, schadet es nicht?‘ ausrichten? Besser nicht, sagt KarlHeinz Wagner. Überdosierungen seien möglich und könnten gesundheitliche Folgen haben. Erst kürzlich stellte eine Studie des Vereins für Konsumenteninformation fest, dass viele Präparate für Kinder einen überdosierten Nährstoffgehalt aufweisen. Bei Vitamin C ist eine Überdosierung meist weniger dramatisch, weil es vom Körper ausgeschieden wird. Vitamin D, K oder A werden hingegen gespeichert – was sich gesundheitlich auswirken kann.
Bevor man an Supplementierung denkt, sollte man alles dafür tun, dass Kinder sich von Anfang an ausgewogen ernähren. Eltern wissen: Das ist leichter gesagt als getan! Es hilft oft nur dranbleiben und gesunde Lebensmittel immer und immer wieder anbieten. Was in vielen Familien funktioniert: Aufgeschnittene Äpfel oder Karottensticks unaufgeregt während des Spielens reichen, einen Teller mit Rohkost beim Abendessen auf den Tisch stellen, geriebenes oder püriertes Gemüse in Aufläufe oder Suppen mischen. Und dafür zuckerhältige Lebensmittel nur in Maßen anbieten. „Gerade bei Kindern sehen wir, dass diese häufig zu gesundheitlichen Problemen führen“, sagt Wagner. Ob Eltern auf Supplemente zurück greifen oder nicht: Der Fokus sollte immer darauf liegen, die Ernährung so gesund wie möglich zu gestalten.
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