Bildung

Fördern oder Fordern?

Der Schulalltag stellt für viele Familien eine große Herausforderung dar. Oft geht es daheim ums ständige Einfordern von Leistungen – nicht selten werden dabei regelrechte Familienkämpfe ausgefochten. Doch muss Fördern immer mit Fordern verbunden sein? Wie wir das Beste aus unseren Kindern herausholen – ohne sie zu überfordern.

Mit dem Schulstart beginnt für viele Familien auch der Schulstress einhergehend mit der täglichen Herausforderung, die Sprösslinge zum Lernen zu motivieren. Viele Familien stellen sich dabei die Frage, wie das Kind weitergebracht werden kann, wie Lernziele gefördert werden können – ohne dass es gleichzeitig zur Überforderung kommt. Letztendlich geht es dabei oft um die Frage, inwiefern Fördern mit Fordern verbunden sein muss.

Gerade der vorherrschende Bildungs- und Leistungsdruck sorgt erwiesenermaßen dafür, dass Eltern sich oftmals dazu verpflichtet fühlen, aus ihrem Kind das Maximum heraus zu holen. Die vielfach verbreitete Meinung lautet: Das Kind soll keine Chance verpassen und möglichst vielseitig gefördert werden. Fakt ist: In der Schule sind unsere Kinder ordentlich gefordert. Es gibt klare Vorgaben, welche Ziele bis wann zu erreichen sind. Es ist also nicht nur Leistung gefragt, sondern sogar Leistung unter Zeitdruck.

Doch eine Pädagogik der reinen Anstrengung, die weniger auf Bedürfnisorientierung setzt, wird mitunter von Eltern und Erziehungsberechtigten kritisch gesehen. Für nicht wenige Familien stehen stark leistungsorientierte Anforderungen im klaren  Widerspruch zum Wunsch, ein Kind in seiner Entwicklung zu fördern und auf individuelle Bedürfnisse einzugehen.

„Fordern ist per se nicht schlecht“

„Ohne Fordern kein Fördern und ohne Fördern kein Fordern“, lautet Michael Bergers Devise. Der schulische Heilpädagoge und Lernberater will das eine nicht vom anderen Ausschließen. „Irgendwie hat es sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass man als Eltern schlecht dasteht, wenn man von den Kindern etwas fordert.“ Dabei sei dies im Alltag sehr oft der Fall. Zwar oft unbewusst und wir würden es nicht direkt ausdrücken. Aber im Grunde würde jede Autofahrt, jeder Gasthausbesuch oder auch jeder Familienausflug an zahlreiche Forderungen ans Kind gebunden sein. „Forderungen sind nicht per se schlecht. Vieles geht ohne sie nicht. Umso wichtiger ist es, dass man dabei fair ist. Fair sein bedeutet hier, dass es dem Kind auch möglich ist, die Forderungen zu erfüllen. Das heisst, dass wir als Eltern die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dies gelingt“, erklärt Berger. Ob Fordern also im Sinne von „eine Leistung einfordern“ die Grundlage für Förderung sein kann, hänge demnach ganz stark von der Art und Weise ab, wie etwas gefordert wird und wie derjenige, welcher die Forderung stellt, seine Rolle sieht. „Übernimmt diese Person die Verantwortung für die Erreichbarkeit der Forderung und ist das Einfordern fair und umsetzbar, so empfinde ich es als sinnvoll. Geschieht dies nicht, ist es vielmehr die Basis für Konflikte“, sagt Berger. Im besten Fall würden Eltern fördern, indem sie das Kind bei einem Ziel unterstützen, dass es selbst aus freien Stücken erreichen möchte. Will das Kind beispielsweise Klavier spielen lernen, wird es dem Kind ermöglicht, weil es als durchaus sinnvolle Freizeitbeschäftigung erachtet wird. Gefördert werde im Grunde also das Interesse. Gleichzeitig wird auch etwas gefordert: Das Kind soll regelmäßig üben und die vereinbarten Lektionen besuchen. Ein Instrument erlernt schließlich niemand ohne Forderung, also ohne Anstrengungen und Bemühungen.

Fordern und die Macht der Disziplin

„Wer jungen Menschen die Erfahrung von Verzicht und Disziplin vorenthält, hindert sie daran, ihre Höchstform als Menschen erfahren zu dürfen“, schreibt Bernhard Bueb in seinem Buch „Lob der Disziplin“. Mit seiner Streitschrift hat sich der deutsche Pädagoge nicht nur den Ruf als „Deutschlands strengster Lehrer“ erschrieben, sondern auch eine hitzige Bildungs- und Erziehungsdebatte ausgelöst. Sein Pladoyer: Von Eltern müsse verlangt werden, dass sie ihre Kinder mittels Unterordnung und Effizienz zu Einsatz und Engagement anspornen. Egal ob es sich um den Gitarrenunterricht oder die nächste Mathearbeit handle. Ein Reihe von Wissenschaftlern, darunter auch der renommierte Hirnforscher Manfred Spitzer, kritisierten Buebs umstrittenen Bestseller als rückschrittliche „Kasernenhofpädagogik“. In dem Band „Vom Missbrauch der Disziplin“ zeigen die Autoren auf, dass eine „Rückbestimmung auf ein ungebrochenes Verhältnis zu Macht, Disziplin und Gehorsam“ weder Eltern, Erziehern noch Kindern nützen würde. So sei man sich etwa darüber einig, dass der von Bueb empfohlene Rückgriff auf Strafe und Kontrolle nicht geeignet sei, um junge Menschen auf die Herausforderungen der modernen Wissensgesellschaft vorzubereiten. Eine „Disziplinierung mit Macht“, wie sie Bueb vorschwebt, werde demnach kaum kreative, neugierige Menschen hervorbringen. Bildungsexperten sind sich hingegen darüber einig, dass Kinder begründete Regeln brauchen, ebenso wie ein waches, aufmerksames, wohlwollendes Gegenüber, das diese Regeln vertritt und selbst lebt. Weiters brauchen Kinder Respekt für ihre Bedürfnisse und Erziehende, die sich selbst respektieren und in der Gesellschaft geschätzt werden. Und nicht zu letzt vielfältige Gelegenheiten, sich selbst einzubringen, auszuprobieren, Verantwortung zu übernehmen. Nur so können Kinder den Nutzen von Disziplin und den Genuss des gemeinsamen Gestaltens erfahren.

Lernen mit Freude – ohne Überforderung

Jahrzehntelang kämpfte der inzwischen verstorbene Kinderarzt Remo Largo für eine Schule, die das Kind ins Zentrum stellt: „Alle Kinder wollen Leistungen erbringen. Wir sollten endlich darauf vertrauen, dass alle Kinder lernen wollen, aber in ihrem eigenen Tempo und auf ihre Weise.“ Geht es nach den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung, dann würden Kinder von Natur aus nichts besser können als lernen. Neugier und Entdeckerlust seien schließlich angeborene Triebe, ähnlich wie der Drang nach Nahrung. Und nicht nur das: Unser Gehirn belohne Lernen obendrein außerordentlich stark. Experten sprechen von Endorphinen und Enkephalinen als „körpereigene Drogen“, die jede Entdeckung prompt mit einem kleinen Glücksrausch belohnen und Lust auf den nächsten Lernkick machen. Wann sich welches „Entwicklungsfenster“ öffnet, sei unterschiedlich und sollte von Eltern nicht forciert werden, meint etwa der Hirnforscher Wolf Singer. „Kinder zeigen durch ihr Verhalten und ihre Fragen selbst am besten, was sie brauchen; dabei ist das Gehirn ihr bester Lehrer.“ Dass es beim Lernen ganz ohne Disziplin und Anstrengung geht, behaupet indes kaum jemand. Egal ob bei unregelmäßigen, englischen Verben, binomischen Formeln, Ablativ oder Beistrichregeln – irgendwann haben alle SchülerInnen einmal Durststrecken und Hänger.

Doch wie heißt es so schön: Kein Meister ist vom Himmel gefallen. Am Ende hilft schlichtweg: üben, üben, üben. Bei Motivationstiefs eventuell in kleineren Portionen, dafür aber konzentriert und gezielt. Überforderte und hilflose Kinder würden laut Experten vor allem von – gerade auch kleinen – Erfolgserlebnissen profitieren. Dabei seien Eltern gefragt, die auf kleine Fortschritte achten, sich über diese freuen können und den Kids das Gefühl vermitteln, dass die eigenen Anstrengungen zu Verbesserungen führen. Kinder, denen die Schule und das Lernen nicht wichtig ist, müssten laut Experten Zusammenhänge zwischen dem Schulstoff und ihrem Leben klarer erkennen können. Sie benötigen zudem oft eine extra Portion Anerkennung für ihre Anstrengungen sowie Ermutigung und klare Erwartungen.

TIPPS zusammengefasst

  • Ziele aushandeln statt vorgeben, unterstützt die Selbständigkeit
  • Lustlose Schüler brauchen Anerkennung, die mittels Lob ausgedrückt werden kann. Gelobt werden sollte allerdings nicht die Intelligenz der Kinder, sondern die jeweilige Anstrengung und Überwindung.
  • „Dumme Fragen“ oder „falsche Antworten“ keinesfalls ignorieren oder gar lächerlich machen. Sätze wie „Das müsstest doch auch du so langsam kapiert haben“ sind Gift für die Lernmotivation.
  • Vorhandene Leistungen honorieren: es sollten nicht nur Bestnoten zählen, sondern die Steigerung anerkannt werden.
  • Individuelle Fortschritte zählen, nicht der Vergleich mit anderen
  • Kein Drama machen aus Fehlern und Misserfolgen
  • Vorleben, wie man sich selbstbewusst für eigene Anliegen/Projekte einsetzt und Verantwortung für die Gestaltung des Alltags übernimmt
  • Fortschritte auf das Üben und die Anstrengung zurückführen
  • Konstruktive Rückmeldungen geben statt Endlospredigten
  • Geduld und Vertrauen als Basis für die Wahrnehmung individueller Bedürfnisse
  • Freizeit muss sein! Plus: Lern- und Freizeit sollten klar getrennt sein (Stichwort Mediennutzung während der Lernzeit!)

Forum

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Insgesamt 0 Beiträge

Wir setzen Cookies auf dieser Website ein, um Zugriffe darauf zu analysieren, Ihre bevorzugten Einstellungen zu speichern und Ihre Nutzererfahrung zu optimieren. weitere Informationen

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close