Bildung

Gesamtschule – ja oder nein?

In regelmäßigen Abständen kocht die Debatte hoch, ob Kinder in Österreich nicht länger gemeinsam die Schulbank drücken sollten. Befürworter einer Gesamtschule sprechen von mehr Bildungsgerechtigkeit. Gegner warnen vor Einheitsbrei und Leistungsabfall. Gemeinsame Schule bis zur Oberstufe, oder Gymnasium ab der Vierten. Was ist besser? Oder was wäre überhaupt eine bessere Schule?

 

Die Unterstufe der Gymnasien gehöre abgeschafft und durch eine Gesamtschule für alle bis zur Oberstufe ersetzt, meinen die einen. Die Kinder seien in dem Alter meist noch nicht so weit, als dass Eltern sagen könnten, welcher Bildungsweg der geeignetste sei. Das vorherrschende System mit seiner frühen Selektion sei elitär, veraltet und sozial ungerecht obendrein. Weil sich schon nach vier Jahren Volksschule die Spreu vom Weizen trenne. Sagen die Befürworter. Gemeint ist, was einschlägige Studien durchaus belegen: Nämlich, dass Kinder aus bildungsnahen Schichten eher aufs Gymnasium kommen, während Kinder aus bildungsfernen Familien eher in den Mittelschulen landen. Klassenkampf im buchstäblichen Sinne, könnte man sagen.

 

 

Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Mittelschulen, vor allem in Ballungszentren als „Auffangbecken“ für Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen oder solchen aus sozioökonomisch schwierigeren Verhältnissen wahrgenommen werden. Gegner eines gesamtschulischen Konzeptes befürchten jedenfalls, dass durch den „Einheitsbrei“ einer längeren gemeinsamen Schule eine Nivellierung der Leistung nach unten statt finde. Leistungsstarke Kinder wären in einer Gesamtschule schlichtweg unterfordert, so der Tenor bei den Contra-Stimmen. Weniger Leistungsdruck, das sei doch erstrebenswert, halten dem wiederum Verfechter der Gesamtschule entgegen. Schließlich könnten sich die vielen Mittelschichts-Familien ohne das ganze Wettrüsten fürs Gymnasium in der vierten Klasse doch endlich entspannt zurücklehnen und Schule Schule sein lassen.

 

Mehr Gerechtigkeit durch die Gesamtschule?

 

Dass vom elterlichen Leistungsdruck „gepushte“ Kinder im Gymnasium oft nicht wirklich gut aufgehoben sind – im Gegensatz zu vielleicht so manchen Mittelschülern, bei denen die Eltern weniger dahinter gewesen sind, sei an der Stelle einmal dahingestellt. Dass Bildung auch in Österreich nach wie vor vererbt wird, ist eine vielfach bewiesene Tatsache. Doch wie schaut es im Streit um die Gesamtschule mit dem zentralen Thema Chancengleichheit aus? „Ich bin kein Gegner der Gesamtschule, nur sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass deren Einführung in Österreich zu mehr Bildungsgerechtigkeit führt“, winkt Stefan Hopmann ab. Der Professor für Bildungswissenschaften an der Universität Wien, der seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet empirisch, historisch und international vergleichend forscht, spricht im Bezug auf die Debatte „Gesamtschule oder nicht“ von einem Stellvertreterdiskurs. Bei dem gehe es seit Jahren mehr um allgemeine Befindlichkeiten zu Bildungsthemen und weniger darum, wie man eine gerechtere Schule für alle schaffen könnte. Weshalb er dem Ergebnis des mehr oder weniger erfolglosen Argumente-Hin-und-Herschiebens auch schlechte Noten ausstellt: „Am Bildungssystem hat sich bis heute wenig zum Besseren geändert. Allein das Gleichheitsversprechen ist empirisch schlichtweg nicht umsetzbar.

 

Alles, was die Gesellschaft nicht in den Griff bekommt, wird auf die Schule übertragen – das kann auch die beste aller denkbaren Schulen nicht leisten!

Stefan Hopmann (Professor für Bildungswissenschaften an der Universität Wien)

Zitatzeichen

 

Die Einführung einer Gesamtschule hätte maximal einen gewissen symbolischen Wert in der Außenwirkung“, meint Hopmann. Die seit jeher über die AHS manifestierte soziale Trennung (womit sich das Gymnasium übrigens viele bildungspolitische Probleme geschickt vom Halse hält) würde laut Hopmann wohl auch in einem Gesamtschul-Kontext bestehen bleiben. Der Zulauf zu den Privatschulen bzw. die langen Schlangen vor den Toren begehrter Schul-Standorte, was derzeit schon Gang und Gäbe ist, würde sich laut dem Bildungsforscher nämlich nur weiter verstärken. „Weil in einer freien Gesellschaft nicht verhindert werden kann, dass diejenigen, die es sich leiten können und wollen, für den Erhalt ihrer Privilegiertheit sorgen“.

 

Unerledigte Hausaufgaben der Politik

 

Vieles, woran es derzeit bildungspolitisch hapert, würde Hopmann zufolge wohl auch vor den Pforten der Gesamtschulen keinen Halt machen. „Ob Kinderarmut oder soziale Spannungen zwischen Kulturen und Religionen – was eine Gesellschaft nicht in den Griff bekommt, wird auf die Schule übertragen. Doch das kann auch die beste aller denkbaren Schulen nicht leisten“, gibt Hopmann zu bedenken. „An guten Absichten seitens der Bildungsverantwortlichen mangelt es in der Regel nicht“, weiß der Bildungsforscher auch aus seiner Beratertätigkeit für die zuständigen Minister. „Wir haben
es in Österreich allerdings mit einem komplizierten Geflecht von Koalitionsabsprachen, Landesregierungen, Verbänden und anderen kommunikativen Seilschaften zu tun, so dass von den guten Ideen allenfalls die Überschriften übrig bleiben“. Gerade in einer expansiven Gesellschaft werde es laut Stefan Hopmann immer wichtiger, dass die Politik ihre Hausaufgaben erledigt. Ganz oben auf der bildungspolitischen To-Do-Liste: Schule wieder mehr Schule sein lassen.

 

Verständigung über die Welt sowie Gemeinschaftlichkeit

 

Verständigung über die Welt sowie Gemeinschaftlichkeit Klingt nach einer Binsenweisheit. In einem Schulalltag, der von einem immensem Erwartungsdruck geprägt ist, jedoch keinesfalls selbstverständlich. „Von den heute 14-Jährigen werden Unmengen an überfachlichen, fächerübergreifenden und fachlichen Kompetenzen verlangt, die die Schule nicht hervorbringen kann“, ist Hopmann überzeugt. Dabei sollte es in der Schule gerade nicht um unbegrenztes Anhäufen von Wissen gehen, das bei der nächsten Prüfung ohnedies wieder ausgespuckt wird. „In der Schule sollten Kinder lernen, sich mittels bestimmter Sachverhalte über die Welt zu verständigen – sprachlich, mathematisch, ästhetisch, historisch, naturwissenschaftlich, religiös usw.“, fordert Hopmann. Die zweite grundlegende Aufgabe der Schule sieht Bildungswissenschafter Hopmann in ihrem Erziehungsauftrag hinsichtlich gemeinschaftlichen Tuns. Und zwar nach einem von Aristoteles geprägten schulischen Grundverständnis, wonach nicht Spitzenleistungen sondern die Tugend zur Gemeinschaftsfähigkeit gefördert werden müsse. Wer hier Leistungsfeindlichkeit verortet, irrt. Denn aus der Forschung weiß man, dass man sich gerade um Höchstleistungen am wenigsten sorgen muss, weil sich die Besten einer Klasse von selber abheben und erwiesenermaßen keine Bildungsnachteile erleiden, wenn das Augenmerk des Unterricht auf den Lernschwächeren liegt, damit diese nicht den Anschluss verlieren.

 

Schluss mit „Kompetenzorientierungs- und Test-Wahn“

 

„Der ganze Kompetenzorientierungs-, sowie PISA-Wahn und vollkommen überladene Lehrprogramme, die oft nur auf Biegen und Brechen durchgeboxt werden können, gehören abgeschafft, damit sich die Schule wieder auf das Wesentliche konzentrieren kann“, sagt Hopmann. So sei es zum Beispiel erwiesen, dass standartisierte Tests sowie externe Kontrollmechanismen, die sich im Bildungsbetrieb etabliert haben, den Stoffdruck maßgeblich erhöhen. Alle Beteiligten werden dadurch unnötig belastet und der Raum für gemeinschaftliches, gründliches Arbeiten, verringert sich. Anstatt über Gesamtschule zu reden, sollte man laut Stefan Hopmann lieber Maßnahmen ergreifen, die das bestehende Schulsystem zu einem fairen sowie kindgerechteren mache. Bildungswissenschaft und Forschung hätte da so einige Ideen parat: differenzierte Arbeitsformen und Arbeitsgruppen zum Beispiel. Ausreichend Hilfspersonal im Schulbetrieb sowie die Einführung eines flexiblen Schulalltags (mit bedarfsweise höherer Lehrpersonaldichte und fallweise Kleingruppen) sowie flexible Teamarbeit bei den Lehrkräften (anstelle dem ein-Lehrer-ein-Fach Prinzip). Und allen voran von unnützem Wissensballast befreite Lehrpläne, damit genug Spielräume bleiben, den Unterricht stets an die Vielfalt verschiedener Standorte und deren Individualitäten anzupassen. Was es für die Umsetzung braucht: großzügig veranschlagte Budgets vermutlich weniger, als mutiges Handeln und ganz viel guten Willen.

Weitere Informationen zum Thema Bildung finden Sie auf http://www.familiii.at/bildung.

 

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