Gesundheit

Gut hören macht das Leben bunt

Eines von 1.000 Kindern wird gehörlos geboren. Dank modernerCochlea-Implantate können diese Kinder wieder gut hören und ein Leben ohne Beeinträchtigung und Stigmatisierung führen.

Bub mit Hörgerät

Sophie liebt Musik, ist leidenschaftliche Tänzerin und steht gerne als Laienschauspielerin auf der Bühne. Wer die quirlige 18-Jährige trifft, kommt nie auf die Idee, dass sie Hörprobleme hat. Doch Sophie wurde taub geboren. So wie eines von 1.000 Kindern in Österreich. Was früher automatisch in sozialer Isolation und Stigmatisierung geendet hat, ist heute korrigierbar. Denn das Gehör ist der einzige Sinn, der bei Verlust mittels Hörimplantat wieder herstellbar ist.

Cochlea-Implantate bringen das Gehör zurück

Das am häufigsten verwendete Hörimplantat ist das Cochlea-Implantat, das aus Schallinformationen elektrische Impulse generiert, die direkt an den Hörnerv weitergeleitet werden. Das Implantat besteht aus zwei Teilen: dem implantierbaren Teil, dessen Elektrode operativ in die Cochlea im Innenohr eingebracht wird und die Schallsignale mittels elektrischer Impulse direkt in die Nervenzellen leiten. Außen an der Haut wird ein  Audioprozessor angebracht, der die Schallsignale an das Implantat unter der Haut weiterleitet.

Möglichst früh implantieren

Durch den verpflichtenden Hörtest laut Eltern-Kind-Pass werden Hörschwächen oder Taubheit in Österreich bereits bei Neugeborenen entdeckt. Das ist wichtig, denn je früher Cochlea-Implantate eingesetzt werden, desto schneller lernt das Kind zu hören – und damit auch zu sprechen. Denn um mit dem wiedererlangten Gehör umgehen zu können, bedarf es eines regelmäßigen Trainings. Sophie Adzic, die mit 14 Monaten am linken und
mit zwei Jahren am rechten Ohr implantiert wurde: „Nach der Implantation fängt die eigentliche Arbeit erst an, denn es geht darum, sprechen zu lernen. Daher war ich bis zu meinen elften Lebensjahr wöchentlich bei der Logopädie und habe auch zuhause viel geübt.“

Je später die Operation durchgeführt wird, desto schwerer wird es für die Betroffenen, mit dem wiedergewonnenen Gehör und der Sprache umgehen zu lernen. Wolfgang Gstöttner, Vorstand der Universitätsklinik für HNO an der MedUni Wien und einer der führenden Spezialisten in Österreich: „Die Cochlea-Implantate werden inzwischen seit 30 Jahren eingesetzt. Es ist eine Routineoperation. Ich verstehe die Ängste, die
Eltern haben, wenn Kleinkinder operiert werden, aber der Nutzen dieses Eingriffs ist enorm. Der Erhalt des Gehörs beeinflusst das gesamte Leben der Betroffenen. Wir wissen, dass Hörverlust zu sozialer Isolation und Einsamkeit beitragen kann. Menschen mit Hörverlust leiden häufiger an Depressionen, auch Gefühle wie Verlegenheit, Zurückweisung und Angst kommen häufiger vor. Im Alter ist Hörverlust der größte Risikofaktor für altersbedingte Demenz.“

Bub lädt Hörgerät
In Österreich sind Cochlea-Implantate keine Frage des Geldes. Die Kosten dafür werden zur Gänze von der Krankenkasse getragen.

Besuch der Regelschule möglich

Hörimplantierte Kinder, die keine Mehrfachbeeinträchtigung haben, können in die Regelschule gehen und benötigen keine Gebärdensprache. Nur manche der betroffene Kinder brauchen Förderung durch eine Hörgeschädigtenlehrer*in. Sie stehen in der Entwicklung ihren von Geburt an hörenden Altersgenossen in nichts nach. Sogar Schwimmen ist mit der neuesten Generation der Audioprozessoren möglich. Sophie Adzic: „Als ich das erste Mal unter Wasser hören konnte, hat das für mich Freiheit ausgedrückt. Das war mein bisher schönster Hörmoment.“

Zwei Geräte sorgen für gutes Hören

Das Cochlea-Implantat wird direkt unter die Haut und ins Ohr implantiert. Über einen Elektrodenträger werden elektrische Signale in das Innenohr geleitet, wo sie die Cochlea direkt stimulieren und die entsprechenden Impulse für die unterschiedlichen Töne an die Nervenzellen weitergeben.

Am Ohr wird ein Audioprozessor positioniert, der die Klänge aus der Umgebung aufnimmt und sie blitzschnell in elektrische Signale umwandelt. Diese werden über eine Spule an das unter der Haut hinter dem Ohr platzierte Cochlea-Implantat weitergeleitet. Der Audioprozessor kann auch als Freisprecheinrichtung für Mobiltelefone oder als Kopfhörer für TV- oder Audio-Geräte genutzt werden.

Ein Audioprozessor am Ohr verwandelt Töne in elektrische Signale, die an das Cochlea-Implantat weitergeleitet werden.

„Meine Implantate machen mein Leben bunter“

Sophie Adzic, 18, wurde gehörlos geboren und erhielt als Kleinkind zwei Cochlea-Implantate. Heute unterscheidet sich ihr Leben durch nichts von ihren von Geburt an hörenden Altersgenossen.

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Sophie Adzic, Studentin und Chochlea- Implantat-Trägerin, im Interview.
In welchem Alter haben Sie die Cochlea-Implantate erhalten?

Ich wurde mit 14 Monaten auf dem linken und mir zwei Jahren auf dem rechten Ohr implantiert. Meine Kindergartenzeit habe ich noch am  Bundesgehörloseninstitut in Wien verbracht, danach bin ich ganz normal in die Regelschule eingestiegen. Zuletzt war ich in der International Highschool, habe mein International Baccalaurate 2022 abgeschlossen und war danach drei Monate auf Auslandsaufenthalt in Spanien.

Wie war die Zeit nach der Implantation?

Die Entscheidung für ein Cochlea-Implantat ist auch die Entscheidung für regelmäßige Reha, bis das Sprach-, Geräusch- und Musikverständnis mit dem Gerät einwandfrei funktioniert. Nach der Implantation fängt also die Arbeit erst an, denn es geht darum, sprechen zu lernen. Daher war ich bis zu meinem elften Lebensjahr wöchtentlich bei der Logopädie und habe auch zuhause viel geübt. Meine ganze Familie hat mich dabei unterstützt.

Gibt es noch Situationen, in denen sie Hörprobleme haben?

Derzeit kellnere ich, um die Zeit bis zu meinem Psychologie-Studium zu überbrücken. Mit der lauten Umgebung komme ich gut zurecht. Falls ich  etwas nicht verstehe, frage ich nach und bitte darum, lauter zu sprechen. Allein das Telefonieren in geräuschvoller Umgebung ist eine Herausforderung. Telefonieren mit Cochlea-Implantat ist die Königsdisziplin, weil Lippenlesen wegfällt, auf das ich zusätzlich unbewusst  zurückgreife.

Fühlen Sie sich in Ihrem Leben durch die Cochlea- Implantate beeinträchtigt?

Ich bin immer sehr offen mit meinen Implantaten umgegangen und habe mich dadurch nie eingeschränkt gefühlt. Ganz im Gegenteil: Meine Implantate machen mein Leben bunter. Ich liebe Musik und könnte mir nie vorstellen, sie nie erlebt und gehört zu haben. Wenn ich schlecht gelaunt bin, nutze ich Musik, um meine Laune zu steigern. Aber es ist nicht nur die Musik. Es gibt so viele Möglichkeiten, die sich mir durch meine
Implantate eröffnen. Ich kann mir nicht vorstellen, nicht zu hören und empfehle die Implantation jedem, der vor dieser Entscheidung steht.

Hörgesundheit vom ersten Tag an!

Prof. Wolfgang Gstöttner
Univ. Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner ist Leiter der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am AKH Wien.
Warum ist Hören gerade für Kinder so dringend?

Weil die Entwicklung der audio-verbalen Sprachfähigkeit, für die das Hören wichtig ist, etwa bis zum Schuleintritt stattfinden muss. Darüber hinaus beeinflusst Hören in einer audio-verbal orientierten Gesellschaft auch soziale und emotionale Entwicklung, sowie Bildungsmöglichkeiten. Jedes tausendste Baby kommt aber taub zur Welt, etwa zwei von tausend sind schwerhörig. Zwei Prozent aller Schulkinder hören schlecht.

Wie helfen Sie diesen Kindern mit Höreinschränkungen?

Das Hörgerät ist da die erste Wahl. Schon ab 30 bis 40 Dezibel Hörverlust kann aber auch ein Knochenleitungsimplantat angezeigt sein. Das am häufigsten verwendete Hörimplantat ist das Cochlea Implantat. Das kann bei Kindern im ersten Lebensjahr implantiert werden. Die Kosten für Implantat und Implantation werden dabei zur Gänze vom öffentlichen Gesundheitssystem übernommen.

Was können betroffene Familien von Hörimplantaten erhoffen?

Das Ohr ist das erste Sinnesorgan, das sich bei einem menschlichen Embryo entwickelt und arbeitet. Vorausgesetzt es liegt eine reine Höreinschränkung vor, kann aber sogar ein taub geborenes Kind, das früh implantiert und gefördert wird, die Hör- und Gesamtentwicklung bis Schuleintritt aufholen.

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