Interview zum internationalen Tag der Familie am 15. Mai
„Jeder Einzelne ist gefragt, etwas dazu beizutragen, damit wir weiterhin in Demokratie leben können"

Buchautorin und Politikwissenschaftlerin Natascha Sigorski plädiert leidenschaftlich für mehr demokratisches Engagement in und durch Familien.
familiii: Warum ist es wichtig, Kindern frühzeitig demokratische Prinzipien beizubringen und vorzuleben?
Sagorski: Wir haben das Privileg, in funktionierenden Demokratien zu leben. Da ist jede und jeder Einzelne gefragt, dazu etwas beizutragen, damit es so bleibt. Ab dem Kindergartenalter kann und sollte man daher Kinder mit dem Prinzip Demokratie vertraut machen. Dreijährige sehen Plakate, hören und sehen Werbespots und bekommen politische Debatten innerhalb der Familie mit. Sie wollen mehr darüber wissen.
Wie kann man Kinder für Wahlen begeistern?
Sagorski: Der Wahltag sollte etwas besonderes sein. Dazu kann man zum Beispiel Freunde einladen und eine Wahlparty feiern, nachdem man vorher gemeinsam mit den Kindern zur Stimmabgabe ins Wahllokal gegangen ist. Sobald die Hochrechnungen oder Ergebnisse da sind, können diese gemeinsam mit den Kindern besprochen werden. Als Vorbereitung macht es Spaß, mit Kindern gemeinsam Bücher über Wahlen lesen. Mein Lieblingsbuch heißt „Im Dschungel wird gewählt“, wo nach der Wahl nicht mehr der Löwe als stärkstes Tier der Chef im Urwald sind, sondern kleinere, von allen gewählte Tiere. In meinem Buch habe ich als Extra auch die Geschichte „Emmi und die Wahlnuss-Demokratie“ für Kita-Kinder geschrieben.
Sie setzen sich auch für mehr Demokratie innerhalb der Familie ein. Wie kann das funktionieren?
Sagorski: Das Wichtigste ist, dass man gleich zu Beginn klare Regeln erstellt, an die sich alle, Erwachsene und Kinder, halten müssen. Dazu gehört, dass man die Felder, über die innerhalb der Familie demokratisch abgestimmt wird, klar benennt. Demokratie heißt ja nicht Anarchie. Es gibt viele Bereiche, in denen die Eltern, die ja für das Kindeswohl verantwortlich sind, alleine entscheiden. Es wird also nicht abgestimmt, ob man heute in die Schule gehen will oder nicht. Abstimmungen sollten über die Art des Urlaubs, Ausflugsziele oder das Geschenk für Oma zum Geburtstag durchgeführt werden. An die Ergebnisse müssen sich dann auch die Eltern halten, wenn sie etwa durch die Kinder überstimmt werden.

Natascha Sagorski, Buchautorin und Politikwissenschaftlerin
Was kann man als Elternteil unternehmen, wenn politische Debatten innerhalb der Familie ins Extreme ausschlagen?
Sagorski: Wenn der Onkel plötzlich rechtsextreme Anwandlungen hat und der Neffe Verschwörungstheorien schwurbelt, sollte man als Elternteil vor allem Haltung bewahren. Das ist entscheidend, denn Kinder orientieren sich stark an ihren Eltern. Wenn es ganz tiefe Konflikte gibt, sollte man den betroffenen Personen keinen Raum geben auf Familienfeiern Verschwörungstherien zu verbreiten. Politischer Streit ist nur dann sinnvoll, wenn er in einem konstruktiven Rahmen geführt wird, in dem jede Seite die Argumente der anderen Seite respektiert. Das verstehen auch Kinder.
Der politische Streit wird ja in den Sozialen Medien meist sehr destruktiv geführt. Wie kann man Kinder hier vor negativen Einflüssen bewahren?
Sagorski: Prävention ist die Sonnencreme für Soziale Medien, die Kinder vor Schäden bewahrt. Soziale Medien sind ja nicht per se schlecht. Soziale Interaktion wird von Kindern auch konstruktiv genutzt, um mit sich mit Gleichaltrigen oder mit Verwandten, etwa den Großeltern, zu vernetzen. Eltern sollten offen mit ihren Kindern über die Gefahren der Sozialen Medien sprechen, ihnen erklären, was fake News sind und wie man sie erkennt und immer wieder mit ihnen über gerade gemachte Erfahrungen im Netz sprechen. Kinder haben ein sehr gutes Bauchgefühl, wenn es um das Erkennen von Richtig und Falsch geht. Sie brauchen hier eine positive Verstärkung und das Gefühl, dass sie alles mit ihren Eltern teilen können. Ganz wichtig ist ein positives Vorleben bei der Nutzung Sozialer Medien. Man kann nicht selbst regelmäßig vor den Kindern auf Instagram versacken und nicht am Familienleben teilnehmen und gleichzeitig den Kindern eine positive Mediennutzung vermitteln.
Demonstrationen sind ein legitimes demokratisches Mittel. Soll man Kinder zu politischen Demonstrationen mitnehmen?
Sagorski: Wenn die Demonstrationen über ein Familienkonzept verfügen, es also sichere Zonen für Eltern mit Kindern gibt, spricht gar nichts dagegen, Kinder zu Demonstrationen mitzunehmen. Man kann auch im Vorfeld mit ihnen gemeinsam Transparente oder Tafeln mit Slogans malen und so die Themen erklären.
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