Kampf dem Übergewicht
2025 gibt es erstmals weltweit mehr übergewichtige wie unterernährte Kinder. Auch in Österreich nimmt die Zahl der adipösen und zu dicken Kinder laufend zu. Abnehmspritzen könnten ihnen bei der Gewichtsreduktion helfen.

Die Menschheit wird immer dicker. Der diesjährige UNICEF-Ernährungbericht zeigt weltweit einen dramatischen Anstieg der stark adipösen oder übergewichtigen Kinder und Jugendlichen. 2025 sind erstmals in der Geschichte der Menschheit mehr 5 bis 19-Jährige übergewichtig als unterernährt. Fettleibigkeit hat den Hunger als größte Gefahr für die junge Generation abgelöst. 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen in den USA sind bereits adipös, also krankhaft übergewichtig. In Österreich ist bereits ein Sechstel der Bevölkerung ab 15 Jahren adipös, gleich 34 Prozent sind übergewichtig. Ein Drittel der neunjährigen Buben und ein Viertel der neunjährigen Mädchen zwischen Bregenz und Eisenstadt ist krankhaft übergewichtig. Ein Zustand, der sich leider nicht „auswächst“, wie fälschlicherweise immer noch vielfach angenommen wird. 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht bleiben auch im Erwachsenenalter beim Gewicht im roten Bereich.
Letzte Hoffnung Adipositas-Ambulanz
Jonas (Name von der Red. geändert) ist einer von ihnen. Täglich greift er zur Spritze. Der darin enthaltene Wirkstoff senkt seinen Blutzucker, verzögert die Entleerung seines Magens und dämpft sein Hungerfühl. Das ist auch notwendig, denn Essen ist seit vielen Jahren das zentrale Thema im Leben des heute 17-Jährigen. Überall in seinem Zimmer hortet er Fastfood wie Chips oder Fruchtgummis, um schnell etwas zur Hand zu haben, wenn Hungergefühle aufkommen. Bei 186 Zentimeter Körpergröße brachte Jonas zu Jahresbeginn beachtliche 155 Kilogramm auf die Waage. Seit Jahren kämpfen er und seine Eltern gegen die überflüssigen Kilos an, waren bei Ernährungsberatern, in Selbsthilfegruppen und bei zahlreichen Trainingsprogrammen. Doch nichts war von Dauer.
Ab einem gewissen Reduktionslevel wollen die Kilos einfach nicht mehr weiter dahinschmelzen. Im Gegenteil, Jonas legte wieder zu und hatte danach oft mehr Gewicht als zuvor. Für Jonas und seine Leidensgenossen ist Daniel Weghuber oft die letzte Hoffnung. Der Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg ist einer der wenigen Spezialisten für krankhaftes Übergewicht bei Kindern in Österreich. Er verordnete Jonas die Abnehmspritze Saxenda, deren Wirkstoff Liraglutid in Europa für Kinder ab sechs Jahren zugelassen ist. Ähnlich wie die unlängst in den Handel gekommene Abnehmspritze Wegovy (Wirkstoff Semaglutid) von Novo Nordisk zählt sie zu den GLP-1-Analoga, die im Gehirn das Hungergefühl reduzieren. In Kombination mit einer Ernährungsumstellung und einem entsprechenden Bewegungsprogramm hat Jonas binnen weniger Monate 30 Kilogramm Gewicht verloren. Ein Wert, den er ohne regelmäßigem Spritzen des Wirkstoffes nicht erreicht hätte.

Studien zeigen: Abnehmspritzen wirken
Medizinische Studien zeigen, dass Patienten ohne Typ-2-Diabetes mit Semaglutid durchschnittlich 17 Prozent des Körpergewichts reduzieren können, bei Liraglutid sind es 8 Prozent. Bei einem Vergleichstest konnten übergewichtige oder adipöse Kinder zwischen sechs und elf Jahren ihren Body Mass Index (BMI) mit Liraglutid binnen eines Jahres um 5,8 Prozent senken. Bei einer Vergleichsgruppe, die anstelle des Wirkstoffs ein Placebo erhalten hat, stieg der BMI im gleichen Zeitraum um 1,6 Prozent an.
Falsche Ernährung als Auslöser
Experten haben falsche Ernährung und Bewegungsmangel als Auslöser der neuen Volkskrankheit Übergewicht ausgemacht. „Wenn wir über Mangelernährung sprechen, geht es nicht mehr nur um untergewichtige Kinder“, fasst UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell die Ergebnisse des Ernährungsberichts 2025 zusammen. „Fettleibigkeit ist ein wachsendes Problem, das sich auf die Gesundheit und Entwicklung von Kindern auswirken kann. Stark verarbeitete Lebensmittel ersetzen zunehmend Obst, Gemüse und Proteine in einer Lebensphase, in der Ernährung eine entscheidende Rolle für das Wachstum, die kognitive Entwicklung und die psychische Gesundheit von Kindern spielt.“ Der Report warnt davor, dass stark verarbeitete Lebensmittel und Fast Food oft preiswert zu bekommen seien und aggressiv vermarktet würden. Zudem beeinflusse das Marketing der Lebensmittel- und Getränkeindustrie über digitale Kanäle das junge Publikum sehr wirkungsvoll.
Mit Adipositas beginnt ein Teufelskreis
Adipositas gilt als „Gatekeeper“-Krankheit für mindestens 50 andere Krankheiten, etwa Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Typ-2-Diabetes oder Erkrankungen des Bewegungsapparates. Trotzdem ist Adipositas in Österreich nicht als Krankheit anerkannt, die Behandlung wird dementsprechend nur in Ausnahmefällen von der Krankenkasse bezahlt.
Das kann für Betroffene teuer werden. So kostet die Maximaldosis von Wegovy in der Apotheke 333 Euro. Damit kommen Patientinnen und Patienten ein Monat aus. Daniel Weghuber: „Es muss Adipositas auch in Österreich, ähnlich wie in Deutschland, als Krankheit anerkannt werden.“ Darüber hinaus fordert er die Etablierung von rund 40 pädiatrischen Zentren mit entsprechendem Behandlungsschwerpunkt Übergewicht. Denn die beiden derzeit vorhandenen Zentren in Salzburg und Wien reichen angesichts der steigenden Patientenzahlen längst nicht mehr aus.
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