Familienleben

Mein Kind, mein Vorbild

Wer lernt in der Familie eigentlich von wem? Ganz oft sind es die Kinder, die ihre Eltern inspirieren und ihnen Vorbild sind. Im Klimaschutz etwa oder in der Fähigkeit, selbstvergessen einer krabbelnden Ameise zuzuschauen.

 

Irgendwann hat Klara aufgehört, Fleisch zu essen. Der Entschluss, sich fortan vegetarisch zu ernähren, sorgte in ihrer Familie, in der Fleisch häufig auf dem Speiseplan stand, zunächst für Irritation. „Wir haben es am Anfang nicht ganz verstanden, warum Klara gar kein Fleisch mehr essen wollte“, erinnert sich Klaras Mutter Jitka Butz. Wenn es um das Tierwohl gehe, könnte sie doch Fleisch aus artgerechter Tierhaltung servieren, schlug die Wienerin ihrer jugendlichen Tochter vor. „Doch darum ging es nicht, sagte mir Klara. Ihre Motivation war nämlich das Klima.“ Klara erklärte ihren Eltern den Zusammenhang von Fleischkonsum und Klimaschutz, und stieß in ihrer Familie damit auf offene Ohren. Jitka hörte aufmerksam zu, was Klara ihr zum Klimawandel, seine Ursachen und die Maßnahmen, ihn zu bekämpfen, zu sagen hatte. Sie fand es beeindruckend, wie konsequent ihre Tochter ihren Lebensstil dem Klimaschutz anpasste, und wie sie dabei niemanden verurteilte, der das nicht machte.

 

 

Bereit zu lernen

Jirka begann, ihre eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen und sie Stück für Stück zu ändern. „Ich weiß, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, aber es ist definitiv so, dass Klara uns mit ihrem Engagement verändert hat. Durch unsere Tochter kam das Thema Klimaschutz in unsere Familie.“ Die Elternberaterin Ines Berger begegnet Familien, denen es ergeht wie Familie Butz, immer wieder. Es sind Familien, in denen der Eifer, etwas gegen den Klimawandel zu tun, wie ein Funke von den Kindern auf ihre Eltern überspringt. „Solche Familien fliegen nicht mehr in den Urlaub und verzichten auf Fleisch.“ Das Besondere daran: Es sind nicht die Eltern, die dabei die Richtung vorgeben, sondern die Kinder, die Jungen werden zum Vorbild für die Älteren. Möglich sei das deswegen, weil die heutige Generation Eltern die erste sei, die wirklich bereit ist, von ihren Kindern etwas zu lernen. „Früher hieß es: Solange du die Füße unter meinen Tisch stellt, tust du auch, was ich sage“, sagt Berger. „Heute gehen viele Eltern auf die Bedürfnisse ihrer Kinder ein, sie hinterfragen sich und lassen sich von der jüngeren Generation beeinflussen.“

Paradigmenwechsel

Anders als früheren Generationen sehen sich viele Eltern heute nicht als die großen Bestimmer im Familiensystem. Sie legen Wert auf eine Beziehung, in der nicht nur einer sagt, wo es langgeht und auch die Kleinen eine Stimme mit Gewicht haben. Kein: Das haben wir immer schon so gemacht. Dafür: Ich interessiere mich dafür, was du darüber denkst. Eine solche Beziehung auf Augenhöhe sei ein Paradigmenwechsel, sagt Ines Berger, und ermöglicht, dass Kinder zum Vorbild für ihre Eltern werden. Außerdem: Mit der Vorbildfunktion der Erwachsenen ist es manchmal ohnehin nicht weit her. Wie man das am Beispiel Handynutzung gut sehen kann. „Da sind es oft die Kinder, die ihre Eltern darauf hinweisen, dass sie dauernd das Handy in der Hand haben“, sagt Berger. Was Erwachsene tun können: Kritisch auf den eigenen Medienkonsum schauen und gemeinsam mit den Kindern erarbeiten, welches Maß an digitalen Medien den einzelnen Familienmitgliedern gut tun.

 

 

Kinder als Lehrmeister

Übrigens: Schon die Kleinsten sind die besten Vorbilder, und das völlig unbeabsichtigt. „Kleine Kinder sind unglaubliche Lehrmeister darin, im Hier und Jetzt zu leben.“ Einem Zweijährigen zuschauen, wie er hochkonzentriert Bausteine stapelt oder krabbelnde Ameisen am Wegrand beobachtet, wecke auch in Erwachsenen die Sehnsucht, sich selbstvergessen auf den Augenblick einzulassen, sagt Ines Berger. „Wir wissen ja, dass unser stressiger Lebensstil uns nicht gut tut. Kinder helfen uns, uns das zurückzuholen, was von unserer eigenen Kindheit an in uns gespeichert ist.“ Bei Andrea Lentner, zweifache Mutter aus Niederösterreich, war es ihre Tochter Johanna-Maria, die sie vor einiger Zeit schwer beeindruckt hat. „Johanna-Maria hat sich im letzten Sommer den Mittelfußknochen gebrochen und musste für vier Wochen einen Gips bis zum Knie tragen.“ Eine Katastrophe – dachte Andrea. Kein Rutschen, kein Laufen, kein Schwimmen möglich. Für ihre Dreijährige würde das eine schwierige Zeit werden, war sie sich sicher. Johanna-Maria reagierte allerdings ganz anders als erwartet. Sie stellte sich in Nullkommanichts auf die neue Situation ein und fand einen Weg mit ihrem Gips umzugehen. „Statt zu gehen ist sie einfach wieder gekrabbelt, und sie war fröhlich und vergnügt wie immer. Sie hat die Situation einfach angenommen.“

 

 

Entwicklungsmotor

Andrea nimmt sich die Unbeschwertheit ihrer Tochter zum Vorbild. „Ich neige dazu, kleine Einschränkungen größer zu machen als sie eigentlich sind. Außerdem merke ich, dass ich mit dem Älterwerden in manchen Bereichen unflexibler werde. Johanna-Maria hat mir gezeigt, dass ich Dinge leichter nehmen kann.“ Dass sie von ihren Kindern lernen kann, ist für Andrea selbstverständlich. „Meine Kinder sind für mich ein extremer Entwicklungsmotor. Durch sie darf ich mich stark mit mir selbst auseinandersetzen, sie halten mir immer wieder einen Spiegel vor.“ Die Beziehung zu ihren Kindern ist für die Niederösterreicherin nicht hierarchisch, sondern eine Beziehung auf Augenhöhe. Dabei lernen, wachsen und reifen nicht nur die Kinder, sondern auch sie als Mutter.

Und das Vorbild der Eltern?

  • Immer Vorbild. Eltern können gar nicht anders als ihrem Kind ein Vorbild zu sein – ob positiv oder negativ. Alles, was sie tun, wirkt auch auf ihr Kind. Das Kind zu mehr Bewegung aufzufordern, wird kaum funktionieren, wenn sie sich selbst kaum bewegen.
  • Was möchte ich vorleben? Es lohnt sich, darüber nachzudenken, worin man seinem Kind ein positives Vorbild sein möchte. Zum Beispiel darin, was es heißt, die eigenen Grenzen zu wahren und Nein zu sagen.
  • Keine Alleswisser. Es kann höchst vorbildlich sein, zuzugeben, dass man als Erwachsener auch nicht immer alles weiß.
  • Keine Einbahnstraße. Jesper Juul, der dänische Familientherapeut, betonte, dass es sich bei der Beziehung zu einem Kind um keine Einbahnstraße handelt: „Das Kind soll nicht nur entgegennehmen, was wir ihm geben wollen. Wir müssen auch bereit sein, das entgegenzunehmen, was unsere Kinder uns geben.”

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