Bildung

Schule in Bewegung

Zappeln erlaubt, Laufen erbeten. Stillsitzen hat nicht unbedingt mit erfolgreichem Lernen zu tun. Deswegen bauen immer mehr Schulen gezielt Bewegung in den Unterricht ein. familiii war auf Schulbesuch.

Ein Mädchen steht auf einem Stuhl, sie streckt sich, liest konzentriert von einem Zettel, der an der Wand hängt. Links neben ihr hüpft ein Mädchen in Strümpfen auf einem Teppich. Sie springt von Buchstabe zu Buchstabe – je komplizierter das Wort, das sie sich da erspringt, desto herausfordernder wird auch die körperliche Aufgabe. Zur gleichen Zeit kniet ein Junge am Ende des Gangs auf einem Rollbrett – auf dem Boden vor ihm stecken Rechenaufgaben in verschiedenen Gläsern. Rasch zieht er eine heraus und rollt schon wieder davon. Wir befinden uns im Campus Donaufeld, es ist Donnerstag morgen, und die Schüler der Klasse 3A sind gerade mitten bei der Arbeit. Und das sieht nicht nur auf den ersten Blick ein wenig anders aus als in manch anderer Schule. Denn diese Volksschule in Floridsdorf ist einer von 220 Standorten in Wien, an denen das Konzept „Bewegtes Lernen“ groß geschrieben wird.

Buchstabierübungen für zwischendurch: Wörter kann man auch hüpfen!
Spaß am Sportplatz. Sophie, Peace, Timo und Chiara mit ihren Unterrichtsmaterialien.

Was erlebt wird, wird besser gelernt.

Natalie Sverak ist die Koordinatorin des Projekts und unterrichtet die 3A – eine Integrationsklasse mit insgesamt 20 Schülern. „Kinder im Volksschulalter haben einen natürlichen Bewegungsdrang. In den ersten beiden Jahren ist das besonders deutlich, ab der dritten wird das dann ganz langsam weniger“, sagt sie. „Diesen Bewegungsdrang zu unterbinden, ist gegen die Natur und macht einfach überhaupt keinen Sinn.“ Tatsächlich scheint es paradox, dass gerne beklagt wird, Kinder würden sich zu wenig bewegen, Frontalunterricht und Sitzpausen aber gleichzeitig für viele immer noch zum Alltag gehören. Den Bewegungsdrang der Kinder gekonnt zu leiten, ihn nicht nur zuzulassen, sondern vielmehr in die richtigen Bahnen zu lenken und so für das Erreichen der Lernziele zu nutzen, ist Kern des Konzepts. „Durch die Bewegung werden die Lerninhalte wirklich erlebt und nicht nur passiv aufgenommen. So werden sie viel besser gemerkt.“ Und das Beste daran: Das Ganze macht auch noch Spaß. „Die Kinder kommen manchmal zu mir und sagen: Heute haben wir ja gar nichts gelernt! Wenn ich ihnen dann aufzähle, welche Aufgaben sie gelöst haben, sind sie selbst ganz verwundert“, erzählt Sverak. Die vorgeschrieben Lernziele werden in dieser Klasse jedenfalls spielend erreicht.

Die 3A ist eine Integrationsklasse. Amir kann nicht sehen, bewegt sich aber routiniert durch die Räume.
„Unterricht ohne Bewegung könnte ich mir gar nicht vorstellen“, sagt Sophie.

Unterrichtskonzept mit guten Haltungsnoten.

Entwickelt hat das Wiener Modell (es gibt sowohl in den verschiedenen Bundesländern als auch in der Schweiz und in Deutschland eigenständige Ansätze zum Thema), das auch der Umsetzung am Campus Donaufeld zugrunde liegt, die Pädagogin und Psychomotorikerin Marina Thuma. Seit mehr als 30 Jahren macht sie sich stark für die Idee, die einfach wirkt, auf den Schulalltag aber enorme Auswirkungen hat. Im Jahr 2000 initiierte sie dann das „Institut Bewegtes Lernen“ (IBL). Hier findet nicht nur Vernetzung statt, es wird auch ein Diplomlehrgang angeboten, mit dem sich interessierte Lehrer, die notwendigen Qualifikationen zur Umsetzung erwerben können. 50 Pädagogen werden hier jährlich weitergebildet und das Interesse hält weiterhin an. „Es geht dabei auch um Gesundheitsförderung, darum, Kindern einfach eine bessere Schulwelt zu ermöglichen“, so Thuma. Dabei gilt es ebenso, Haltungsschäden zu vermeiden, die ihren Ursprung oft schon in der Volksschule haben, wie auch eine gesunde Ernährung zu vermitteln. So ist der Campus Donaufeld etwa eine reine „Wasserschule“, Softdrinks und Pausenkakao sucht man hier vergebens. Thuma: „Bewegtes Lernen ist natürlich auch kein Allheilmittel, mit dem man jede Strukturschwäche ausgleichen kann, aber die enormen positiven Effekte auf das Lernen, einen gesünderen Lebensstil, psychische Stabilität und soziale Kompetenz der Schüler sind ausreichend belegt.“ Vor allem in Integrations- und Inklusionsklassen erfreut sich das Konzept großer Beliebtheit. Thuma: „Weil Bewegung verbindet. Ein Kind, das sprachlos ist, findet in der Bewegung einen Kanal, um sich auszudrücken. Ein Kind, das besonders unruhig ist, sich vielleicht nur schwer konzentrieren kann, findet in der Bewegung wiederum einen Kanal, um Stress abzubauen.“

Bewegungsfreiheit bedeutet auch, Schreibaufgaben am Boden machen zu dürfen.
Eine der ersten Prüfungen für die Schüler: der Rollbrettführerschein.

Bewegte Pause, gesunde Jause.

In der 3A in Wien Floridsdorf läutet es zur Pause. Zwei Schüler kommen mit einer großen Jausenbox in die Klasse hinein, sie richten Brote, schneiden Obst zurecht. Während die Schüler mit dem Pausenläuten in klassischen Frontalunterricht meist zur Türe stürmen, holen sich die Kinder hier in aller Ruhe ihren Kornspitz, schaufeln ein paar Gurkenscheiben und Apfelstücke auf die Teller und machen es sich auf ihren Plätzen bequem. Man stärkt sich für die nächste Unterrichtseinheit: die bewegte Stunde. In den kommenden 40 Minuten darf das Bewegungsprogramm frei und nach Lust und Laune gewählt werden, zwei der Jungen haben sich bereits mit einigen Kindern aus der Parallelklasse zum Fußballspielen auf dem Hartbodenplatz verabredet.

Aufgaben werden regelmäßig im Gang verteilt, und die Schüler hüpfen, laufen oder rollen, um sie auf ihren Platz zu bringen.

Zappelphilipp-Syndrom: unbekannt.

„Es heißt immer, die Kinder können sich nicht konzentrieren, zappeln immer nur rum – ich kenne das eigentlich gar nicht“, erzählt Natalie Sverak. „Weil die Schüler sich bewegen dürfen, müssen sie auch nicht nervös sein. Und durch die ständige Bewegung wird Anspannung abgebaut statt unterdrückt.“ Auch die Eltern sind alle mit an Bord. Ihr Einverständnis ist notwendig, immerhin müssen sie sich bereiterklären, einen Beitrag von 15 Euro im Semester zu bezahlen (nur mit Hilfe dieser Mitteln ist es möglich, die vielen Geräte zur Verfügung zu stellen) und nicht zuletzt auch damit einverstanden sein, dass der Unterricht nicht nur in der Klasse, sondern manchmal eben auch am Rollbrett flitzend draußen am Gang stattfindet. Damit auch dabei die notwendige Sicherheit gewährleistet ist, steht neben Rechnen und Schreiben auch der richtige Umgang mit dem Gefährt auf dem Stundenplan. Als eine der ersten Prüfungen in ihrer Schullaufbahn legen alle Kinder den sogenannten „Rollbrettführerschein“ ab, der sie dazu befähigt, die Gänge eben auch fahrend unsicher zu machen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, in eine Schule zu gehen, in der man den ganzen Tag sitzen muss“, erzählt Sophie, während sie routiniert über den Sportplatz balanciert. Und so wurde auch die Wahl des Gymnasiums, auf das sie bald gehen will, aufgrund des guten Sportangebots getroffen.

In der 3A herrscht eine besonders positive Atmosphäre. „Unterricht darf auch Spaß machen, dann klappt es auch mit dem Lernen“, sagt Lehrerin Natalie Sverak.

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