Bildung

„Selbstständiges Tun ohne Hilfe der Großen ist für den Schuleintritt wichtiger als lückenloses ABC-Aufsagen!“

Alexandra Fischer, Inspektorin bei den Wiener Kinderfreunden, erklärt uns die Rolle der Elementarpädagogik für die Schulreife und weiß, welches Rüstzeug Kinder für den Schuleintritt tatsächlich brauchen.

Wie ermitteln Kindergärten die Kompetenzen für die Schulreife?
Alexandra Fischer: Pädagogen beobachten die Kinder im Kindergartenalltag und erkennen mit Hilfe der Ziel- und Kompetenzchecks, wo ein Kind etwa mit fünf oder sechs in seiner Entwicklung steht. Erfahrungsgemäß ist die Mehrzahl der Kinder im letzten Kindergartenjahr in ihrer Entwicklung am besten Weg.

Wie reagiert der Kindergarten im Falle von Reifemängeln?
Fischer: Pädagogen erkennen Entwicklungsverzögerungen schon recht früh, also schon vor dem letzten, verpflichtenden Kindergartenjahr, und können in der Regel sehr gut darauf reagieren. Zum Beispiel durch spielerische Anregungen etwa für weniger ausgeprägte Fertigkeiten, um das Kind gezielt in diesem Entwicklungsschritt zu unterstützen. Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist dabei wichtig. In den jährlichen, verpflichtenden Entwicklungsgesprächen berichten wir Eltern von den Stärken und Potenzialen ihrer Kinder und weisen auch auf etwaige Verzögerungen hin. Wir machen den Eltern Mut, sich immer wieder mit uns auszutauschen, um gemeinsam für das Kind pädagogische Möglichkeiten ebenso für zu Hause zu schaffen, damit diese Entwicklungsschritte spielerisch gelingen. Wichtig dabei ist, den Kindern immer ausreichend Zeit für ihre ganz individuelle Reifung zu geben.

Welche Kompetenzen sind denn oft weniger stark ausgeprägt?
Fischer: Das können Aufmerksamkeitsdefizite sein, logopädische oder motorische Entwicklungsverzögerungen. Im sozialen Bereich sind die Kinder damit gefordert, sich in eine Gruppe einzufügen, auch mangelnde Frustrationstoleranz oder Affektregulationsprobleme sind ein Thema.

Sind die Einschreibungen und Schulreife-Ermittlungen im Jänner nicht etwas früh?
Fischer: Es ist recht früh, wenn man bedenkt, dass einige Monate in diesem Alter sehr viel ausmachen und die Kinder auch noch im Sommer gewaltige Entwicklungssprünge machen. Andersrum werden im Jänner festgestellte massive Defizite bis Herbst in der Regel nicht aufgeholt. Ein solches Defizit fällt zu diesem Zeitpunkt nicht das erste Mal auf – die Eltern sind darüber also bereits in Kenntnis gesetzt worden. Besonders im Hinblick auf die mehrsprachliche Entwicklung brauchen Kinder ausreichend Zeit, ihre Erstsprache gut auszubilden, damit sie auch die Bildungssprache Deutsch gut lernen können.

 

 

Alexandra Fischer
Kindergarten-Inspektorin
Wiener Kinderfreunde

Man hat den Eindruck, Kinder müssten schon vor der Schule Buchstaben, Zahlen und am besten auch Englisch können.
Fischer: Da gibt es viele Mythen, die sich als unwahr entpuppen. Es muss vorab kein Wissen für die Schule antrainiert werden. Kinder wollen von sich aus alles wissen, daher empfehle ich, mit den Kindern gemeinsam zu forschen, neugierig zu sein und Fragen zu beantworten. Vorlesen, Gesellschaftsspiele, Backen, Gemüse und Obst ernten, Theater spielen – all das macht Freude, und Kinder erwerben jene Vorläuferkompetenzen, die für jeden weiteren Kompetenzerwerb wichtig sind.

Welche Vorab-To-Dos sind also No-Gos?
Fischer: Ich rate von daheim simulierten Testsituationen ab: Kommt es nachher anders, sind die Kinder verunsichert. Vorsicht auch bei den beliebten Vorschul-Arbeitsblättern: Manche sind völlig ungeeignet, regen keine Entwicklungsschritte an und frustrieren die Kinder.

Wie hingegen können Kinder sinnvoll gefördert werden?
Fischer: Autonomie stärken, indem man Kinder im Alltag Aufgaben übernehmen lässt. Einkaufen helfen etwa, Müll trennen oder Schulweg üben. Soziale Umgangsformen wie Rücksichtnahme oder Mitgefühl vorleben. Konstruktiv mit negativen Gefühlen wie Frust oder Wut umgehen lernen und darüber reden. Viel mit den Kindern reden ist generell wichtig und die Kinder reden lassen, sich Zeit nehmen und gut zuhören. Letztendlich ist ein stabiles Selbstvertrauen das Fundament für alles, was mit der Schule und später im Leben kommt. Kinder sollen das Gefühl haben: ich bin okay, wie ich bin – auch wenn ich etwas nicht gleich schaffe.

Forum

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Insgesamt 0 Beiträge

Wir setzen Cookies auf dieser Website ein, um Zugriffe darauf zu analysieren, Ihre bevorzugten Einstellungen zu speichern und Ihre Nutzererfahrung zu optimieren. weitere Informationen

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close