Was tun, wenn das Kind einnässt?
Manche Kinder brauchen noch im Volksschulalter nachts eine Windel. Warum nicht allein das Alter, sondern der Leidensdruck bestimmt, ob sie eine Therapie starten sollen.

Wenn ein Kind nach dem fünften Lebensjahr einnässt, verunsichert das viele Eltern. Sollte mein Kind nicht eigentlich schon trocken sein? Die meisten Eltern haben im Hinterkopf, dass der überwiegende Teil an Kindern im dritten, spätestens im vierten Lebensjahr während des Tages keine Windel mehr braucht und mit etwas Verzögerung auch in der Nacht darauf verzichten kann. Es stimmt, viele Kleinkinder werden im Verlauf des dritten und vierten Lebensjahres trocken – aber nicht alle. „Es gibt hier eine sehr große Bandbreite“, sagt Marion Zauner, Urotherapeutin im Ordensklinikum Linz. So wie manche Babys früher krabbeln und andere erst Monate später und der Wortschatz mancher Kleinkinder noch bescheiden ist, während andere schon komplizierte Fünf-Wort-Sätze bilden, ist es auch mit dem ‚Trocken werden‘. Jeder hat sein Tempo.
Drei pro Schulklasse
„Man muss beim Trockenwerden außerdem zwischen Problemen bei Tag und Nacht differenzieren“, sagt Zauner. Sehr viele Kinder sind tagsüber trocken und brauchen noch länger in der Nacht eine Windel. Oder aber sie schlafen ohne Windel und nässen hin und wieder ein. Kommt das nach dem fünften Lebensjahr vor, nennt man das im medizinischen Fachjargon Enuresis. Von monosymptomatischer Enuresis spricht man, wenn sich die Symptome auf die Nacht beschränken und Kinder nur im Schlaf einnässen. Häufiger ist eine nicht monosymptomatische Enuresis. Sie ist gekennzeichnet von gehäuftem Harndrang, Haltemanövern oder Inkontinenz untertags. Man geht davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Kinder im Alter von fünf Jahren betroffen sind. In einer Volksschulklasse sitzen vermutlich durchschnittlich drei betroffene Kinder pro Klasse. Das sind gar nicht so wenige – doch die meisten Familien sprechen nicht darüber. Denn Einnässen ist ein schambehaftetes Thema und kann mit großem Leidensdruck verbunden sein.

Gründe fürs Einnässen
Es gibt drei Hauptursachen für Enuresis. Erstens, eine erschwerte Erweckbarkeit. Die Kinder wachen nicht auf, wenn sie in der Nacht auf die Toilette müssen. Eine unreife Steuerung des Nervensystems führt zu unzureichender Wahrnehmung des Harndrangs. Zweitens, eine verkleinerte Blasenkapazität, die häufig auch untertags zu Problemen führt, drittens, vermehrte nächtliche Harnproduktion. Haben übrigens die Eltern noch im Volksschulalter eingenässt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es auch ihre Kinder tun. Und welche Rolle spielt die Psyche? „Psychische Faktoren sind selten alleinige Ursache, können aber den Verlauf und die Therapie beeinflussen“, sagt Christa Gernhold, Fachärztin für Urologie am Ordensklinikum Linz. „Eine interdisziplinäre Herangehensweise, die sowohl medizinische als auch psychologische Aspekte berücksichtigt, ist daher essenziell für eine erfolgreiche Behandlung. Enuresis kann zudem die psychische Gesundheit negativ beeinflussen, etwa durch vermindertes Selbstwertgefühl, soziale Ausgrenzung und familiäre Belastung.“
Kein ‚Therapiezwang‘
Letztlich bestimmt der Leidensdruck, wann Familien an eine Therapie denken sollten. Das Alter spielt eher eine nachgeordnete Rolle – auch wenn der fünfte Geburtstag ein guter Richtwert ist, um dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken. ‚Therapiezwang‘ gibt es allerdings keinen. Entspannt zu bleiben, fällt vielen Eltern schwer. Es kann helfen, sich vor Augen führen, dass die Spontanheilungswahrscheinlichkeit mit 15-20 Prozent pro Lebensjahr relativ hoch ist.
Das bedeutet: Das Problem gibt sich in vielen Fällen von selbst. Wenig Sinn hat es, ein Kind zur Therapie zu zwingen. Denn der Therapieerfolg hängt maßgeblich vom Willen des Kindes ab. Wie sehr Kinder unter der Situation leiden, sei sehr unterschiedlich. „Es gibt Kinder, die haben auch mit sechs, sieben oder acht Jahren kein Problem damit“, sagt Marion Zauner.

Blasentagebuch
Nach einer exakten Anamnese ist eines sehr wichtig: Das Schreiben eines ‚Blasentagebuchs. Nicht immer notwendig sind Untersuchungen des Harns, eine Ultraschalluntersuchung der Harnblase und der Nieren und eine klinische Untersuchung der Genitalien. Im Blasentagebuch werden Trinkmengen und Trinkzeitpunkt, sowie Harnmengen und Miktionszeiten (Miktion=Harnentleerung) über 48 Stunden festgehalten. „Das Blasentagebuch ist der Grundpfeiler einer genauen Erhebung des Problems“, sagt Urologin Christa Gernhold. „Dabei können viele Überraschungen durch die Eltern selbst festgestellt werden: Zum Beispiel, dass das Kind nur zweimal am Tag aufs Klo geht oder dass es im Kindergarten oder in Schule gar nichts trinkt, dafür aber einen halben Liter Kakao vorm Schlafengehen.“
Zu Beginn einer Behandlung sollte ein Aufklärungsgespräch über das Einnässen an sich und mögliche Therapieoptionen stehen. Sehr oft helfen bereits Allgemeinmaßnahmen – eine Optimierung des Trinkverhaltens und eine regelmäßige Blasenentleerung – , um das Problem in den Griff zu bekommen. Erfolge ergeben sich auch durch die sogenannten ‚Klingelhosen‘. „Die Funktionsweise der Alarmtherapie besteht in einem Training der Miktionshemmung durch Biofeedback. So kann eine bewusste Wahrnehmung der Miktionsreizes und die zentrale Hemmung konditioniert werden. Das Kind schläft durch und die Miktion wird unterdrückt“, erklärt Gernhold.
Nicht beschämen
Was Eltern (und andere Erwachsene) keinesfalls tun sollten, ist, das Kind zu beschämen. Sicher, nächtliches Einnässen kann frustrieren, wenn man nachts aufstehen und das Bett neu beziehen muss. „Beschämen oder bestrafen bringt aber nichts, es verschlimmert das Problem meistens nur“, sagt Gernhold. Für Übernachtungen auswärts, bei Freunden oder mehrtägigen Schulveranstaltungen, empfiehlt die Ärztin: „Schauen, wie es dem Kind geht.“ Möglicherweise hat es gar kein Problem damit, offen mit dem Freund, der Freundin oder der Lehrerin darüber zu sprechen. Auch spezielle Unterwäsche mit Saugfunktion ist eine Möglichkeit: Diese hat optisch nichts mit einer Windel gemein, ähnelt eine ‚normalen‘ Unterhose und saugt geringere Mengen Harn auf.
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