Wo sind die nackten Popos geblieben?
Von positiven Effekten bezüglich der Selbstwahrnehmung und einem unbeschwerten Umgang mit Nacktheit reden die einen. Die Sorge um das richtige Maß bis hin zur Pädophilen-Paranoia beschäftigt andere. Mit der Sommerhitze entfacht auch wieder die heiße Debatte rund um nackte Kleinkinder in der Öffentlichkeit.

Wer in den 70er- oder 80er-Jahren ein Kind war, wird sich noch gut daran erinnern. Ob am Strand, am See oder im Bad, Kleinkinder liefen nackt herum. Das war sowohl für die Kleinen als auch für die Großen selbstverständlich. Schiefe Blicke deswegen gab es jedenfalls kaum. Manche Papis und Mamis werden sich vielleicht daran erinnern, wie sie als Kinder ihren nackten Popo im Sand gewälzt und beim Wasserholen im Meer wieder saubergewaschen haben. Oder daran, wie herrlich befreiend es war, wenn die nasse, am Popo klebende Badehose, in der sich kiloweise Sand angesammelt hatte, endlich abgestreift wurde.
Birgit W., zweifache Mutter aus Graz
Nackte Tatsachen
Der Anblick nackter Kinderhintern in Strandbädern gehörte zum Sommer wie Twinni und Himbeerkracherl. Heute ist er schon fast ein No-Go. Statt mit nackertem Popo graben kleine Mädchen in damenhaften Bikinis im Sand. Kleine Buben tragen konsequent Badehose, während sie im seichten Wasser plantschen oder auf den Liegewiesen herumsausen. Und das, obwohl Kleinkinder das Nackigsein beim Baden im Sommer bekanntlich lieben. Das wissen auch die meisten Eltern. Trotzdem sind viele Mamis und Papis verunsichert und fragen sich, was nun richtig sei: Badekleidung oder Nacktbaden? Tatsache ist: Wer sein Kleinkind nackt im Bad oder am Strand herumlaufen lässt, erntet zusehends besorgte Blicke oder wird gar ermahnt. Viele Badeanstalten haben inzwischen eine generelle Badehosenpflicht eingeführt. Unter Eltern und Experten wird heiß darüber diskutiert, ob Kinder in der Öffentlichkeit nun nackt sein dürfen oder nicht. Woher kommt die breite Aufregung über kindliche Nacktheit? Wie viel davon ist Panikmache und wie viel davon begründete Sorge?
Andrea G., zweifache Mutter aus Wien
Hohes Bewusstsein für Missbrauch
Der Tenor der Badehosenfraktion lautet: es geht vor allem um den Schutz der Kinder. Wovor müssen Kinder heutzutage tatsächlich vermehrt geschützt werden? Fakt ist, dass wir im Vergleich zu früheren Zeiten gegenwärtig ein erhöhtes Bewusstsein für Kindesmissbrauch haben. Zu Recht. Denn wo seinerzeit vielleicht noch öfters weggeschaut wurde, wird heute ein lebhafter Diskurs geführt, und Sexualstraftaten werden auch entsprechend geahndet. So ist es beispielsweise laut aktueller Rechtslage auch strafbar, Kinder und Jugendliche nackt zu fotografieren, um Aufnahmen zu verkaufen oder zu tauschen. Unzählige bekanntgewordene Missbrauchsfälle sowie Skandale rund um Kinderpornografie im Netz spielen laut Experten für die öffentliche Wahrnehmung der Thematik eine große Rolle. Der Schutz unserer Kinder steht freilich außer Frage. Wovor Experten allerdings warnen: Eltern sollten sich durch die Diskussionen über Missbrauchsfälle nicht allzu sehr verunsichern lassen. „Die Endlosaufbereitung von Skandalen in den Medien haben viele Menschen so verunsichert, dass sie Gefahren sehen, wo keine sind“, sagt etwa der deutsche Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch. Sexualdelikte an Kindern sind Strafrechtsexperten zufolge in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Kriminalstatistiken besagen außerdem, dass die meisten Übergriffe innerhalb der eigenen Familie stattfinden, und nicht im öffentlichen Raum.
Trotzdem möchten viele Eltern lieber auf Nummer sicher gehen. Soll heißen: Badehose und -windel sind für viele ein Muss für öffentliche Strandbäder und Badeanstalten.
Teresa L., dreifache Mutter aus Villach

Anna Z., Mutter eines Sohnes aus Gmunden
Natürlicher Umgang mit Nacktheit
„Die Freude, die Kinder durch das Nacktsein empfinden, ist so eine wertvolle Erfahrung für Körper und Geist, die ein Leben lang bleiben wird. Diese Freude sollte nicht durch Angst, Unsicherheit und Schamgefühlen seitens der Erwachsenen ersetzt werden“, sagt der renommierte dänische Familienexperte Jesper Juul. „Das Schamgefühl ist sehr individuell. In der Regel ziehen sich Kinder bis zu einem gewissen Alter einfach aus und laufen nackt herum.“ Das sei wichtig für das Körpergefühl und für ihren Drang, die Welt zu entdecken, meint die deutsche Sozialpädagogin Dana Urban in einem Gespräch mit der „Süddeutschen“. Das natürliche Schamgefühl stellt sich bekanntermaßen automatisch frühestens mit der Vorpubertät ein. So werden etwa eingefleischte FKK-Geher bestätigen: Unter den von null bis hundertjährigen Nackerten sind die Zehn- bis Zwanzigjährigen ausnahmslos züchtig verhüllt.
Was hat es nun mit der oft zitierten Unbeschwertheit auf sich? Laut sozialpädagogischen Erkenntnissen nehmen übertriebene Vorsicht und irrationale Ängste den Kindern ihre Unbefangenheit. Und damit ihre natürliche Art, mit Nacktheit und Sexualität umzugehen. Verfechter von Badehosen sehen dieses unbefangene Gefühl durch das Tragen von Höschen keineswegs als bedroht. Sich frei fühlen und Kindheit genießen – das funktioniere freilich auch mit Badehose. Nicht zu vergessen: Hygienische Gründe, UV-Schutz oder Schutz bei Verletzungen können das Tragen von Badekleidung für Kleinkinder notwendig machen. Ebenso nicht zu unterschätzende und unbedingt zu respektierende modische Eigenwilligkeiten, die nicht nur kleine Mädchen mit Glitzerfaible an den Tag legen können.
Melanie A., dreifache Mutter aus Schladming
Risikominimierung & Selbstschutz
„Ich möchte mein Kind nicht den Blicken fremder Menschen aussetzen, die dabei womöglich Schändliches im Kopf haben. Es gibt so viele Spanner, und mir wird schlecht bei dem Gedanken, jemand könnte bei meinen Kindern auf perverse Gedanken kommen“, sagt eine besorgte Mutter. „Außerdem will ich nicht daran denken, dass jemand Fotos meiner nackten Kinder macht und diese auf YouTube oder ähnliches stellt“, sagt eine besorgte Mutter. „Und ich will nicht daran denken, dass jemand Fotos meiner nackten Kinder macht und diese auf Youtube oder ähnliches stellt“. Ob Kinder durch die Badehose tatsächlich besser vor Kinderschändern geschützt sind als nackte Kinder, wird heftig diskutiert. „Genauso wie Frauen keine langen Röcke tragen müssen, um nicht vergewaltigt zu werden, gefällt mir der Trend nicht, dass Kinder Kleidung tragen müssen, damit Pädophile nicht auf falsche Gedanken kommen“, spricht eine dreifache Mutter von einer für sie „verkehrten Logik“ in der Sache. Viele Badehosen-Gegner werden nicht müde zu betonen, dass pädophile Fantasien durch ein bisschen Stoff nicht verhindert werden können. Nach dem Motto: Warum sich den Spaß verderben lassen – wir haben ohnehin keine Kontrolle darüber, was vielleicht in den Köpfen anderer Menschen vorgeht, selbst wenn unsere Kinder ein winziges Badehöschen tragen. Dem stimmen viele Badehosen-Befürworter zwar zu, wollen aber dennoch lieber „nichts riskieren und provozieren“. Ihre Devise lautet jedenfalls: Sicher ist sicher.
Bernhard M., zweifacher Vater aus Mödling

Karin S., zweifache Mutter aus Tirol
Achtsamkeit sein & auf Gefahren hinweisen
Badehose an oder aus? Keine Frage – das Thema polarisiert. Umso mehr raten Experten dazu, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wie auch immer Eltern sich entscheiden – ein paar Überlegungen können dabei vielleicht hilfreich sein. Wenn beispielsweise eine Vierjährige oder ein Fünfjähriger von sich aus völlig unbefangen und kindlich mit der eigenen Nacktheit umgeht, könnten Eltern überlegen, ob sie den Kleinen diese Unbefangenheit lassen möchten. Eltern könnten prüfen, ob sie wollen, dass ihre Sprösslinge grundsätzlich eine Badehose anhaben sollen, oder ob das Tragen vielleicht einfach situationsabhängig ist. Genaues Hinschauen ist gefragt: Was wollen wir? Was wollen die Kinder? Wie wirkt sich etwa unser eigener Umgang mit Nacktheit und Sexualität auf das Verhalten bzw. das Schamgefühl unserer Kinder aus? Aufmerksame Eltern werden die Entwicklung des natürlichen Schamgefühls bei ihren Kindern bemerken und entsprechend respektieren. Letztendlich trägt jeder die absolute Verantwortung für seine Kinder. Erziehungsberechtigte sollten achtsam sein, auf ihre Schützlinge aufpassen und vor Gefahren warnen. Gemeint ist damit vor allem eine verantwortungsvolle Gefahrenerziehung jenseits von irrationalen Ängsten. Denn Fakt ist auch: Nicht hinter jeder Staude hockt ein pädophiler Opa mit Teleobjektiv.

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