Erziehung

„Alle meine Freunde dürfen das, nur ich nicht!“

Wenn der Druck, dazuzugehören, Kinder, Jugendliche und Eltern vor große Herausforderungen stellt. Und wie Eltern mit dieser Situation richtig umgehen. Beispiele aus der Praxis zeigen, wie es gelingt.

„Alle meine Freunde dürfen das, nur ich nicht“, ein Satz, den viele Eltern und Erziehungsberechtigte sicherlich schon gehört haben, vielleicht auch in Kombination mit einer vorgelegten Unterschriftenliste, wo ALLE Freunde (Betonung liegt auf ALLE) sich dafür ausgesprochen haben, dass dem Kind das neueste Handymodell zusteht oder das Kind diese oder jene Aktivität/Party ebenfalls besuchen solle.

Eine solche oder ähnliche Unterschriftenlisten und Diskussion habe ich bereits von mehreren Perspektiven aus miterleben dürfen. Als Kind in der aktiven Rolle, welches den eigenen Namen dazu verwendet hat um dem Elternteil einer Freundin „ins Gewissen“ zu reden dieser ein Handy zu besorgen – denn das Hauptargument war „Ich habe es ja auch“. Auf der passiven Seite, in der Rolle als Empfängerin einer solchen Unterschriftenliste, war ich innerhalb meiner Funktion als Pädagogin in einer Ganztagsschule ebenfalls betroffen. Dabei ging es darum, dass die Gruppe der Kollegin nebenan eine Erlaubnis für eine Aktivität bekommen hat, welche ich als gruppenführende Person in meiner Gruppe im Vorfeld nicht erlaubt habe. Eine Situation, die innerhalb der pädagogischen Arbeit tagtäglich vorkommt und widerspiegelt, dass der Bedarf an Austausch sehr erforderlich und notwendig ist, da die Kinder sich untereinander sowie andere Personen ständig vergleichen. Ein einfaches, kurzes Kolleginnengespräch hätte die Situation in wenigen Minuten aufgelöst. Die Kinder kamen uns zuvor – das Argument scheint ein sehr starkes zu sein und die Kinder und Jugendlichen sind sich dessen anscheinend auch sehr bewusst. Es hat zu oft funktioniert, dass sie so bekommen, was sie wollen.

„Alle dürfen das, nur ich nicht.“ Ein Argument, welches seitens der Erziehungsberechtigten und Fachkräfte jedoch nicht so beliebt ist, nicht sehr leicht zu verdauen ist und bei diesen auch einen Impuls zu einer nicht planmäßigen Aktivität des Nachgebens auslösen kann.

Warum ist das so?

Vergleiche und warum sie entstehen. Der Mensch lernt und wächst immer auch am Gegenüber. Die Kinder lernen vor allem in den ersten Lebensjahren durch intensive Beobachtung und Nachahmung. Wir Menschen sind dialogische Wesen, da wir stets auch im Dialog mit der Umwelt stehen. Durch das Gegenüber und die Umwelt entdecken wir erst die Sachen, die uns freuen oder nicht freuen und unsere Persönlichkeit wird dadurch mitgeformt.

In der Kindheit und Jugend ist die Persönlichkeit noch im Entstehen und noch nicht zur Gänze ausgebaut. Die Orientierung findet daher auch stark im Außen statt ohne nach innen zu sehen sich mit dem Eigenen zu begnügen. Kinder erleben sich im Vergleich zu Erwachsenen nicht als eigenständige, individuelle Persönlichkeit, die auch ganz anders sein darf als die anderen. Es ist für Kinder noch nicht greifbar, dass andere sie akzeptieren und mögen, auch wenn sie nicht sind (oder all das besitzen) wie all ihre Freunde. Was machen die anderen? Wie sehen die anderen aus? Was dürfen sie und was nicht? Gehöre ich erst dann dazu, wenn ich gleich bin, wie die anderen? Im Wort „Vergleich“ ist das Wörtchen „gleich“ beinhaltet. Kinder und vor allem auch Jugendliche in der Pubertät haben eine starke Tendenz zu einer Gruppe dazugehören zu wollen, den anderen „gleich“ zu sein, eingebettet zu sein.

Dieses Ziel wird auch dadurch erreicht, dass man das Verhalten an das der anderen annähert. Die Mitglieder der Gesellschaft leben es den Kindern auch sehr stark vor, dass „man“ gewisse Sachen auch tun soll um sich anzupassen. Daher ist diese Reaktion sich am Außen zu orientieren und machen zu wollen, was der andere oder die andere macht, eine logische Reaktion auf das Vorgelebte.

Das Bedürfnis dazuzugehören

Dieses Bedürfnis dazugehören zu wollen ist sehr menschlich und gesund, sofern dieses auch genug Platz für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Freiheit zulässt. Welche Gefühle beim Vergleich mit anderen Kindern ausgelöst werden. „Es steht mir auch zu, daher will ich das auch“, könnte der unausgesprochene Begleitsatz lauten. Die Option des Verzichts scheint keine mögliche Option zu sein, wenn die Kinder in ihrer Emotion sind. Wenn ich etwas Bestimmtes nicht besitze oder unternehmen darf, was jedoch die anderen dürfen, kann bei Kindern ein starkes Gefühl eines Mangels auslösen, der unangenehm ist und das Kind nervös, ungeduldig, traurig oder wütend werden lässt bis hin zu dem Gefühl, dass es sich als Person schlechter, weniger wert oder den anderen unterlegen fühlt. Das Gefühl auszuhalten, dass der andere etwas darf, was ich nicht darf oder etwas besitzt, was ich nicht besitze, ist schon schwierig genug und kann auch Gefühle von Eifersucht auslösen. Die Leser/innen sind mit diesen Gefühlen bis zum jetzigen Lebenszeitpunkt sicherlich schon (öfters) konfrontiert worden. Um die Gefühle des Kindes zu verstehen, können die Erwachsenen daher bei den eigenen erlebten Gefühlen ansetzen. Oder haben Sie etwa nicht schon einmal mit Interesse bewundert, ob der Nachbar den Blumengarten schon gepflegt hat, einen Swimmingpool schon eingelassen hat oder ein neues Auto fährt? „Keeping up with the Joneses“, das Phänomen des Vergleiches mit den Nachbarn haben nicht die Kinder und Jugendlichen erfunden…

Was Eltern tun können

Das Verständnis für das Kind zu entwickeln und mit diesem in Kommunikation zu treten ist eine gute Basis um mit dem Gegenüber eine Lösung zu finden. Kommunikation ist hier wieder das „A und O“. Die Kinder zu verstehen und in ihre Gedankenwelt einzutauchen, sich einzufühlen in das, was das Kind erlebt, wenn es diesen einen Satz sagt, ist schon eine große Hilfe für die Eltern und in weiterer Folge auch für die Kinder. (Was bedeutet das für dich, wenn das alle anderen dürfen und du nicht? Wie fühlst du dich dabei? Ich verstehe dich!) Die Gefühle des Kindes wahrzunehmen bedeutet diese zu beschreiben und das Situations-Bild aus der Perspektive des Kindes aus zu betrachten. Das hilft dem Kind, da es sich gesehen und verstanden fühlt. (Mir fällt auf, dass du wütend bist). Der Wunsch des Kindes bekommt genug Platz, indem dieser Wunsch angehört wird. Wenn dem Kind ein Wunsch nicht sofort erfüllt werden kann, dann gilt es als Elternteil den Wunsch gemeinsam mit dem Kind auszusprechen und AUSZUHALTEN, auch wenn die Entscheidung dem Kind nicht entspricht und die Elternteile bei ihrem „Nein“ bleiben.

In dem gleichzeitigen Wissen, dass das Leben täglich neu anfragbar ist. Wenn einmal ein „Nein“ ausgesprochen wurde, bedeutet dies aber in einem halben Jahr vielleicht ein „JA“, wenn die Rahmenbedingungen für die Erlaubnis gegeben sind. (Ich merke, dass dein Wunsch nach diesem Spiel sehr groß ist und du das gerne besitzen würdest. Das macht dich jetzt wütend und ungeduldig. Es ändert aber nichts daran, dass du für dieses Spiel zu jung bist. Wir könnten uns deinen Wunsch aufschreiben. Wenn du dir zu deinem Geburtstag noch immer dieses Spiel wünscht, dann können wir darüber sprechen es zu kaufen). Es ist wichtig Kompromisse zu machen und mit dem Kind in Kommunikation zu bleiben, damit sich dieses nicht alleine gelassen fühlt mit den starken Gefühlen von etwaiger Verständnislosigkeit und Wut.

Selbstbewusstsein des Kindes stärken

Die beste Prävention das Kind auf die Endlosschleife von potenziellen Vergleichen vorzubereiten ist die Individualität und das Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken und diese hervorzuheben. Was macht das Kind aus? Was kann es gut? Worin unterscheidet es sich von den anderen? Was ist ähnlich? Das Kind lernt sich auf sich selbst zu konzentrieren und weniger ausschließlich auf die anderen zu schauen. Die Botschaft könnte lauten „Du bist gut und passt so, auch wenn du nicht alles besitzt, was die anderen haben oder das tust, was die anderen tun“.

Falls uns Erwachsenen beim nächsten Mal die Antwort „Wenn alle anderen von der Brücke springen, springst du dann auch?“ auf der Zungenspitze liegt, bietet sich eine andere Zugangsweise an mit dem Wissen und Verständnis, dass diese Gefühle Teil der Entwicklung des Kindes sind, dazugehören und Raum und Zeit verlangen, damit diese angesprochen, angenommen und dadurch vielleicht etwas aufgelöst werden können. Zu lernen sich nicht ständig mit anderen zu vergleichen ist ein lebenslanger Lernprozess, der auch vielen Erwachsenen noch sehr schwerfällt. Darum ist es sinnvoll, früh damit anzufangen. Und geduldig zu sein.

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