Erziehung

Der Penis als Rakete

Über Sexualität zu sprechen, ist keine Raketenwissenschaft. Dennoch fällt es vielen Eltern schwer. Sexualpädagogin Sabine Ziegelwanger über geschlechtliche Vielfalt und das Sprechen über Penis und Hodensack.

Verstehen Sie, dass manche Eltern damit überfor- dert sind, den eigenen Kindern die für sie selbst oftmals neue sexuelle Vielfalt zu vermitteln?
Ich verstehe das total. Die Gender-Diskurse um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sind im Mainstream erst relativ neu. Sie treffen auf eine Elterngeneration, die diese Vielfalt von der eigenen Elterngeneration noch nicht vermittelt bekommen hat und folglich wenig dafür sensibilisiert worden ist. Auch alte, immer wiederkehrende Mythen, dass man alle umerziehen oder Kinder durch Erklären zu etwas verführen würde, wirken verunsichernd.

Gemeinsam mit dem Kinderbuchautor Flo Staffelmayr haben Sie „Bruno will hoch hinaus“ geschrieben, letztlich ein Buch über die Entdeckung des eigenen Penis. Warum braucht es das?
Gute Frage. Als Sexualpädagogin arbeite ich auch viel mit Jugendlichen und weiß daher, dass sich ein riesengroßer Teil der Fragen nur um den Penis drehen; wie er aussehen, wie groß er sein muss – es gibt eine große Penisverunsicherung. Kinder wiederum sind total neugierig. Sie saugen nicht nur Details über Vulkane oder Dinosaurier auf, auch der Körper interessiert sie. Und es gibt ja auch wirklich tolle Bücher über den Körper, aber sobald es um Genitalien geht, lassen sie aus; vermutlich aus Unsicherheit. Dass sich ein Penis durch Angreifen verändern und gut anfühlen kann, dass es eine Vielfalt an Formen gibt, das wurde bislang ausgespart. Diese Lücke wollen wir mit unserem Buch schließen.

„Ich nenne ihn Penis und manchmal zum Spaß Rakete“, sagt die Hauptfigur Bruno im Buch. Das ist wohl als Vor- schlag zu verstehen, den Penis Rakete zu nennen, oder?
Unser Anliegen ist es, dass alle Menschen, ob Groß oder Klein, zuerst einmal anatomisch korrekte Bezeichnungen kennen: und zwar nicht nur für den Penis, sondern auch für die Hoden etc. Dieses Bewusstsein ist ein Puzzleteil in der Prävention sexueller Gewalt. Die Rakete als ein Wort, das Bruno manchmal im Spaß für den Penis verwendet, ist für uns ein Brückenschlag zur Rahmengeschichte. Der eine oder die andere Erwachsene wird darin Parallelen zu Anatomie, Erektion etc. erkennen. Kinder bleiben wahrscheinlich in der Geschichte. Erwachsene können viel hineininterpretieren und das sagt meist mehr über die Erwachsenen selbst als über die Geschichte.

Schlüsselstelle des Buches ist ganz klar: „Viele sagen: Wer einen Penis hat, ist ein Junge. Für die meisten Menschen mit Penis stimmt das auch, aber nicht für alle! Denn manche fühlen sich als Mädchen, manche irgendwie dazwischen oder als keines von beidem. Egal, wie du dich fühlst, du bist richtig, so wie du bist.“ Reicht das, um ein grundsätzliches Verständnis für sexuelle Vielfalt zu schaffen?
Selbstverständlich reicht das nicht. Das ist ein Anfang. Der Hauptfokus des Buches liegt auf dem Körperwissen. Aber es war uns wichtig, in einer Erklärbox den Hinweis auf Geschlechtsidentitäten zu geben. Der Satz: „du bist richtig, so wie du bist“ trifft auf ganz vieles im Buch zu.

Viele Erwachsene haben selbst kein wirklich positives Körperbewusstsein. Wie lässt sich dem eigenen Nachwuchs trotzdem ein positives Bild vermitteln?
Kinder spiegeln häufig unsere eigenen Unsicherheiten als Eltern. Wenn Kinder sich entdecken, ihren Körper erkunden, kann uns das echt fordern. Das Schöne ist, dass wir lernen können, gute Vorbilder für unsere Kinder zu sein. Sowie unsere Kinder in ihrem verspielten, nicht urteilenden Umgang mit ihrem Körper auch Vorbilder für uns sein können. Man darf den Kindern auch einmal sagen: „Ich habe das selbst nicht gelernt und weiß gerade nicht, wie ich dir antworten soll. Das ist aber eine gute Frage, ich werde mich schlau machen.“ Körperfreundliche, vielfältige, kindgerechte Bücher können dafür Halt und ein Stück weit Orientierung anbieten.

„Wenn Kinder ihren Körper erkunden, kann uns das echt fordern.“ Sabine Ziegelwanger, Sexualpädagogin Sabine Ziegelwanger unterrichtet an der Universität Innsbruck Sexuelle Bildung; ihr Schwerpunkt ist u.a. sexuelle Vielfalt. www.sabineziegelwanger.at
„Bruno will hoch hinaus“ von Flo Staffelmayr, Anna Horak und Sabine Ziegelwanger Achse Verlag, Wien 2022 Ab 4 Jahren

Forum

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Insgesamt 1 Beiträge

  • Dass der Penis im Spaß ausgerechnet ‚Rakete‘ heißt, finde ich sehr unglücklich gewählt. Warum nicht gleich auch Dolch, Säbel oder Schwert – je nach Form und Größe – wenn die Autorin schon eine Waffe wählt. Der Hodensack ist dann ein Munitionslager oder wie? Toll, um sexueller Gewalt vorzubeugen…

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