Bildung

„Häufiger Sprachwechsel in der frühen Kindheit ist bei mehrsprachigen Kindern ganz normal“

Mutter- oder Vatersprache. Zweit- oder Fremdsprache. Sprachwissenschaftler Stefan Schneider löst das Begriffsgewirr auf und erklärt, wie Kinder von Mehrsprachigkeit profitieren und worauf Eltern achten sollten.

Was versteht man eigentlich unter Muttersprache? Und inwiefern unterscheidet sie sich von der Vatersprache?
Stefan Schneider: Das, was wir landläufig mit Muttersprache meinen, ist im Grunde die Erstsprache eines Menschen. Haben Mutter und Vater unterschiedliche Erstsprachen, hat das Kind die Möglichkeit, zwei Erstsprachen zu erwerben: die Sprache der Mutter und die des Vaters. Von Mutter- oder Vatersprache zu sprechen, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Väter sind schließlich gleichwertige Bezugspersonen für Kinder was Erziehung und Spracherwerb betrifft.

Was hingegen wird als Fremdsprache definiert?
Schneider: Alle Sprachen, mit denen ein Säugling ab Geburt in Kontakt kommt, sind Erstsprachen. Alle Sprachen hingegen, mit denen es später in Berührung kommt, sind das, was landläufig unter Fremdsprache zu verstehen ist. Geläufiger dafür ist heute allerdings der Begriff Zweitsprache.

Und wann sprechen wir von Mehrsprachigkeit?
Schneider: Hierbei gilt es zu unterscheiden, ob wir von Mehrsprachigkeit eines Individuums reden oder mehrsprachigen Gesellschaften, wie zum Beispiel die Schweiz, wo der Einzelne oft nicht mehrsprachig ist, aber die Gesellschaft als Ganzes. Einzelne, die mehr als eine Sprache sprechen, sind ab zwei Sprachen bilingual oder eben mehrsprachig. Wobei wir von simultan bilingual sprechen, wenn Kinder, wie oben beschrieben, ab der Geburt gleichzeitig mit zwei Sprachen aufwachsen.

Häufig heißt es, dass zwei- oder mehrsprachig aufwachsende Kinder sprachlich eingeschränkt sind.
Schneider: Wenn ein Kind mit mehreren Sprachen aufwächst, wird es in der frühen Kindheit immer viel Sprachwechsel geben. Dies ist aber keinesfalls eine Einschränkung, sondern eigentlich eine große Kunst. Bilinguale Kinder verfügen in der Regel schnell in beiden Sprachen über den jeweiligen Grundwortschatz von ca. 2.500 Wörtern. Und sie können meist auch sehr gut zwischen den Sprachen hin und her switchen. Dass sich beide Erstsprachen komplett gleich entwickeln, ist fast unmöglich.

Worauf sollten verschiedensprachige Eltern achten?
Schneider: Für eine Konstellation, bei der Mutter und Vater eine unterschiedliche Erstsprache sprechen und diese auch jeweils den Kindern weitergeben möchten, lautet der wichtigste Ratschlag: so viel und konsequent wie möglich sprachlichen Kontakt zu den Kindern halten – von der Geburt bis zur Pubertät. Dies kann insbesondere für jenen Elternteil eine Herausforderung sein, dessen Erstsprache sich von der Landessprache unterscheidet.

Inwiefern ist eine übergeordnete Familiensprache – zum Beispiel Englisch – sinnvoll?
Schneider: In manchen Fällen braucht es eine Familiensprache, damit sich alle gut verständigen können. Das gilt für verschiedensprachige Elternteile, die Kenntnisse der jeweils anderen Sprache haben, genauso wie für Paare, die die jeweilige Partnersprache wenig bis gar nicht beherrschen. Neben einem oft spontanen Sprachwechsel- und Mix wird man sich eventuell auf die in der Region geläufige Sprache als Übersprache einigen oder sonst eine Sprache wählen, in der beide sich verständigen können. Nichtsdestotrotz ist jedem Elternteil zu empfehlen, seine jeweilige Erstsprache möglichst mit den Kindern zu praktizieren. Zum einen kann so auch für die Kinder der (sprachliche) Kontakt zu diesem Familienstamm, der sich möglicherweise in einem anderen Land befindet, gewährleistet bleiben. Und zum anderen geht es darum, dass Menschen in ihrer Erstsprache – gerade etwa in Verbindung mit Emotionen – möglichst authentisch kommunizieren können.

 

„Dass sich beide Erstsprachen komplett gleich entwickeln, ist fast unmöglich.“
Stefan Schneider
Sprachwissenschaftler an der Uni Graz

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