Erziehung

Introvertiert – und gut so!

Nicht jedes Kind steht gern im Mittelpunkt, hat zahlreiche Freunde und Spaß an möglichst vielen Freizeitaktivitäten. Macht nichts! Auch introvertierte Kinder gehen ihren Weg – solange ihnen nicht vermittelt wird, dass mit ihnen etwas nicht stimmt.

 

Wenn Theo alles zu viel wird, entgeht das niemandem in seinem Umfeld. Kleinigkeiten bringen ihn zum Weinen, er ist gleichzeitig aufgedreht und erschöpft und insgesamt irgendwie unrund. Theos Eltern wissen: Jetzt ist es höchste Zeit, das Tempo im Alltag wieder etwas runterzufahren Sie sagen das geplante Play Date ab, lassen das Kinderturnen ausfallen und gönnen ihrem Sohn ein paar Nachmittage ganz ohne Programm. Sie geben ihm Raum zum Legospielen, Puzzeln und Comiclesen. Dass Theo viel Zeit für sich braucht, um ausgeglichen zu sein, wissen seine Eltern eigentlich. Oft füllt sich der Kalender trotzdem, fast automatisch, mit Geburtstagspartys, Spielplatzbesuchen, einem Sportkurs. Dann hilft nur eines: Stopp sagen und Theos Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug ernst zu nehmen. Theos Eltern haben begriffen: Ihr Sohn ist überwiegend introvertiert. Seine Batterien lädt er auf, wenn er für sich ist, beim ruhigen Spielen in seinem Zimmer oder im Garten. Dann taucht er ein in seine eigene Welt. Um sich später gut gelaunt wieder hinaus zu wagen.

 

„Ideal der Extroversion“

In einer Welt, in der Eigenschaften wie Offenheit, Forschheit, Geselligkeit, Teamfähigkeit und Durchsetzungs- vermögen eine große Rolle spielen, haben es Menschen, die viel Ruhe und Rückzug brauchen, nicht immer leicht. Die amerikanische Autorin Susan Cain spricht in ihrem Buch ‚Still. Die Kraft der Introvertierten‘ vom ‚Ideal der Extroversion‘. Eine extrovertierte Persönlichkeit gilt als Garant dafür, in der Gesellschaft von heute zu bestehen. Das beginnt bereits in der Schule: Erfolgreich sind jene Schülerinnen und Schüler, die sich im Unterricht zu Wort melden und kein Problem damit haben, vor der Klasse zu sprechen. Was darüber vergessen wird: Auch Introvertiertheit ist mit vielen nützlichen Eigenschaften verbunden. Sehr oft sind es die Stillen, die gut zuhören, sich konzentrieren können und koope- rativ statt konkurrierend handeln,
die feinsinnig sind und kreative Ideen entwickeln. Viele bekannte Persönlich- keiten, unter ihnen J.K. Rowling, Bill Gates oder Ghandi, haben ihre Leistungen Susan Cain zufolge nicht trotz, sondern wegen ihrer introvertierten Veranlagung zustande gebracht. Letztlich gilt für Introvertiertheit, was auch für andere Charaktereigenschaften zutrifft: Sie hat Vor- und Nachteile.

 

Schüchtern oder still?

Wie erkennen Eltern, ob ihr Kind eher introvertiert oder extrovertiert ist? Um diese Frage zu beantworten, räumt die Klinische Psychologin Petra Schornböck zuerst mit einem Vorurteil auf: „Introvertiertheit ist nicht das Gleiche wie Schüchternheit.“ Schüchterne Kinder tun sich schwer damit, mit anderen in Kontakt zu kommen. Und: Sie leiden darunter. Eigentlich würden sie das neue Nachbarskind gern ansprechen, sich auf dem Spielplatz mitten ins Getümmel stürzen und wären im Kindergarten am liebsten Teil des großen Rudels in der Sandkiste. Sie trauen sich aber nicht. Introver- tierte Kinder hingegen sind gern für sich. Es stört sie nicht, wenn sie abseits vom Trubel stehen. „Eltern spüren meist sehr genau, ob ihr Kind schüchtern ist oder ob es gern alleine ist“, sagt Schornböck. Liebt es ein Kind zu malen, zu lesen, kommt es gut alleine zurecht? Reagiert es stärker auf Reize, Lärm oder Gerüche? Braucht es häufig Rückzugsmöglichkeiten und Ruhezeiten? Dann, sagt Petra Schornböck, hat sein Charakter wahrscheinlich viele introvertierte Anteile.

Soziale Skills lernen

Davon, Menschen das Label ‚introvertiert‘ oder ‚extrovertiert‘ aufzudrücken, hält die Psychologin nichts. „Zwischen den zwei Polen introvertiert und extrovertiert gibt es ein Kontinuum. Jeder von uns befindet sich charakterlich irgendwo dazwischen.“ Niemand ist in allen Bereichen des Lebens ausschließlich introvertiert oder ausschließlich extrovertiert. Es ist durchaus möglich, dass jemand zwar keine größeren Gruppen mag, mit vielen Menschen aber freundschaftlich verbunden ist. Oder keine Probleme mit Small-Talk auf Partys hat, doch nach der Party einen Tag zum Regenerieren braucht. „Außerdem kann man vieles lernen“, betont Schornböck. „Eine Professorin erzählte einmal, dass sie sich erst daran gewöhnen musste, Vorträge zu halten. Aber jetzt genießt er es.“ Soziale Skills kann man sich im Laufe des Erwachsenwerdens und darüber hinaus aneignen – wenn es notwendig ist. Eltern, die sich um ihr introvertiertes Kind sorgen, kann das beruhigen.

Wenig Freunde?

„Es hängt außerdem auch von der Lebensphase ab, was einem gerade leicht oder schwer fällt.“ Während kleinere Kinder charakterlich oft stärker in sich selber ruhen, leiden Teenager, die eher zurückhaltend sind. Kein Wunder: Gerade in der Jugend hat die Peergroup einen hohen Stellenwert, auf einer Party aus sich herausgehen, bei einem Konzert ausgelassen shaken oder den Schwarm in der Schule ansprechen – Introvertierten Jugendlichen fällt das schwerer. Petra Schornböck sieht es problematisch, von Introvertiertheit nur im Zusammenhang mit psychischen Störungen zu sprechen – wie es zuweilen vorkommt. Richtig ist, dass bei ADS, autistischen Störungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen introvertiertes Verhalten zu Tage tritt. Was aber nichts daran ändert, dass Introvertiertheit als Charaktereigenschaft weder eine Krankheit, noch ein Mangel ist. Sorgen machen sich viele Eltern introvertierter Kinder trotzdem oft. „Sie befürchten, dass ihr Kind gemobbt wird, keine Freunde findet oder immer nur das macht, was andere wollen“, sagt Schornböck. Was das Thema ‚Freundschaften‘ angeht, hilft vielen Eltern die Einsicht, dass ein, zwei gute Freunde besser sind als eine Schar von Menschen, mit denen man nur Oberflächliches besprechen kann. „Wir kennen das von Stars: Die sind beliebt, können aber genauso einsam sein, wenn es niemanden gibt, der sie so sieht, wie sie sind.“

 

TIPPS FÜR ELTERN INTROVERTIERTER KINDER

ES GIBT KEINEN GRUND, INTROVERTIERTHEIT ZU PROBLEMATISIEREN.

Sehr oft leidet das Kind gar nicht darunter, dafür aber an den Erwartungen seines Umfeldes, geselliger, vorpreschender, lauter zu sein.

 

BEMERKUNGEN WIE ‚SPIEL DOCH MAL MIT DEN ANDEREN!‘ ODER „SEI DOCH NICHT SO SCHÜCHTERN“ SIND KONTRAPRODUKTIV.

Sie vermitteln dem Kind, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Und sie fordern von ihm etwas, was ihm einfach nicht möglich ist.

 

SICH AUF DIE STÄRKEN DES KINDES ZU FOKUSSIEREN,

hilft, vermeintliche Schwächen besser  auszuhalten. Das Kind zieht nicht mit den anderen Nachbarskindern um die Häuser, sondern liest am liebsten daheim in seinem Zimmer? Wie schön, dass es sich so gut in Bücher vertiefen kann!

WER MIT DEM INTROVERTIERTEN VERHALTEN DES KINDES EIN PROBLEM HAT,

sollte sich die eigene Geschichte näher anschauen: Litt man selbst unter der eigenen Zurückhaltung und sorgt sich, dass das Kind das selbe durchmachen könnte? Oder war man selber ganz anders und kann deshalb das Verhalten des Kindes nicht nachvollziehen?

INTROVERTIERTE KINDER TUN SICH OFT SCHWERER, IHRE TALENTE ZU ENTDECKEN.

Positive Rückmeldungen und Unterstützung ihrer Eltern helfen ihnen, ihren Begabungen auf die Spur zu kommen.

 

LEIDET EIN KIND  TATSÄCHLICH UNTE R SEINER INTROVERTIERTEN ART,

kann man mit ihm Strategien überlegen und Situationen durchspielen. Eltern können ihm zum Beispiel sagen: ‚Ich würde meiner Freundin auf diese Weise sagen, dass ich gern ein anderes Spiel spielen möchte…‘. Oder: ‚Wenn du magst, können wir ein deiner Kindergartenfreuende mal zu uns nach Hause einladen.‘

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