Gesundheit

Leben mit Diabetes: Die Bestimmer bleiben wir!

Kinder mit Diabetes und ihre Familien möchten so normal wie möglich leben. Exakte Therapiemethoden, eine gute Eltern-Kind-Beziehung und Unterstützung durch das Umfeld machen das möglich.

Wenn Gitti Weinmayer ihren Kindern das Mittagessen serviert, macht sie sich nicht nur darüber Gedanken, ob es ihnen schmecken wird. Oder ob es ausreichend gesund ist. Die Tirolerin rechnet. Sie stellt den Kohlenhydratgehalt des Essens fest und berechnet anschließend die Menge an Insulin, die ihre Kinder brauchen, um den Zuckerspiegel in ihrem Blut zu senken. Denn Gitti Weinmayers Kinder Maxi, 14, und Juli, 11, haben Diabetes Typ 1. Die Diagnose vor zehn Jahren bei ihrem Sohn hat das Leben der Familie auf den Kopf gestellt. Vier Jahre später erkrankt auch ihre Tochter. „Es war eine totale Überraschung“, erzählt sie, „wir sind familiär überhaupt nicht vorbelastet.“ Die Aussicht auf eine bis dato nicht heilbare Krankheit, die massive Auswirkungen auf den familiären Alltag und das Leben ihrer Kinder haben wird, macht ihr anfangs Angst. Gitti Weinmayer lernt, den Katheder für die Insulinpumpe zu wechseln, und wie Glukosemonitoring und Insulinberechnung funktionieren. „Man muss sich da richtig einarbeiten, mit der Zeit kommt man aber in einen Flow.“ Auch ihre Kinder sind mittlerweile Experten. „Mein 14-Jähriger schaut das Essen nur an und berechnet im Kopf, wieviel Insulin er brauchen wird.“

Auslösende Ursachen unbekannt

Dass eine Diabetesdiagnose für Eltern zuerst einmal ein großer Schock ist, erlebt auch Sabine Hofer, Fachärztin für Pädiatrie und pädiatrische Diabetologie an der Universitätsklinik in Innsbruck regelmäßig. „Nach der Diagnose braucht es auf jeden Fall eine Phase der Trauer und Aufarbeitung. Die Familien wissen, dass sich ihr Leben grundlegend ändern wird. In Zukunft werden sie laufend den Glukosewert ihres Kindes kontrollieren und Insulin zuführen müssen.“ Weil es bei Diabetes in der Bauchspeicheldrüse zu einem selektiven Absterben von insulinproduzierenden Zellen kommt, wird immer weniger Insulin produziert. Was dazu führt, dass die Glukose- bzw. Zuckerwerte steigen. Denn Insulin hat die Aufgabe, Glukose aus dem Blut in die Zellen zu transportieren. „Typ-1-Diabetes, die häufigste Diabetesform bei Kindern und Jugendlichen, gilt als Autoimmunerkrankung“, erklärt Sabine Hofer. „Die auslösenden Ursachen für das selektive Absterben der Zellen kennen wir nicht.“

Typische Symptome

Die Symptome einer auftretenden Erkrankung sind typisch: Die Kinder müssen ständig auf die Toilette, auch nachts. Kleine Kinder, die bereits trocken waren, nässen unter Umständen wieder ein. „Weil sie so viel Harn verlieren, haben sie viel Durst“, sagt Hofer. „So viel, dass Eltern manchmal sogar schimpfen, weil die Kinder ständig trinken wollen.“ Darüber hinaus verlieren sie meistens Gewicht. Wenn Eltern diese Symptome bei ihrem Kind bemerken, sollten sie unbedingt mit ihm zum Arzt. Typ-1-Diabetes kann sowohl bei kleineren Kindern als auch bei Jugendlichen auftreten. Typ-2-Diabetes, bedingt durch Übergewicht und Bewe- gungsmangel, ist im Kindesalter sehr selten, sagt Sabine Hofer. „Zumindest in Österreich sind derzeit nur wenige Jugendliche betroffen, und die Zahlen bleiben seit Jahren konstant.“ Anders sieht es in Ländern wie Saudi Arabien, den USA oder in asiatischen Staaten aus. Obwohl junge Menschen selten an Typ-2-Diabetes erkranken: Der Grund- stein für eine spätere Typ-2-Diabetes wird bereits im Kindesalter gelegt, warnt die Medizinerin. „Es ist essentiell, im Kindesalter gegen Adipositas und Bewegungsmangel anzukämpfen, denn Übergewicht ist ein wesentlicher Grund für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes.“

Bewegung, Ernährung, Insulin

Viel Bewegung und gesunde Ernährung spielen für Kinder mit Diabetes eine wesentliche Rolle. Frisch Gekochtes, viel Obst und Gemüse sollten auf dem Speiseplan stehen, auch Süßes ist hin und wieder erlaubt. Ganz ähnlich sieht eine ausgewogene Ernährung bei gesunden Kindern aus. „Der Unterschied ist, dass Menschen mit Diabetes den Kohlenhydratgehalt der Nahrungsmittel wiegen und berechnen müssen. Für jede Portion Kohlenhydrate wird eine bestimmte Menge an Insulin benötigt und gespritzt“, erklärt Hofer. Zugeführt wird das Insulin subkutan, ins Fettgewebe unter der Haut, zum Beispiel mit einem Insulin-Pen, mit dem das Insulin mit einer dünnen Nadel in den Bauch, den Oberschenkel oder den Oberarm gespritzt wird. Immer mehr Menschen mit Diabetes, vor allem kleine Kinder tragen ständige Insulinpumpen am Körper. Diese sind sehr einfach zu bedienen und verbessern die Lebensqualität. Die Kontrolle der Glukosewerte erfolgt per Fingerstich und blutiger Messung oder mittels Glukosesensor.

Gute Basis zwischen Eltern und Kindern

„Ganz clever sind Methoden, die das Glukosemonitoring und die Insulinverabreichung durch künstliche Intelligenz verbinden. In den nächsten Jahren erwarten wir einen vermehrten Einsatz dieser Systeme in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes“, sagt Sabine Hofer. Für die Betroffenen wirkt sich sie Verwendung solcher Algorithmen sehr positiv auf die Lebensqualität aus. Darüber hinaus sind sie exakter in der Anwendung, sodass es weniger häufig zu Über- oder Unterzuckerung kommt. Für einen guten Therapieerfolg brauche es neben optimalen Behandlungsmethoden eine gute Basis zwischen Eltern und Kinder, sagt Gitti Weinmayer. Besonders dann, wenn die Kinder älter werden. „Unsere Kinder sind gut über die Krankheit und ihre Folgen aufgeklärt und wissen, dass es nur funktioniert, wenn sie mitarbeiten.“ Wichtig sei, dass die Kinder immer ehrlich sind und zugeben, wenn sie einmal heimlich genascht haben. Das gesamte Familienleben möchte Gitti Weinmayer von der Krankheit nicht bestimmen lassen. „Der Diabetes darf mit uns leben, aber er darf es nicht bestimmen, das ist unser Motto.“

Unterstützung durch das Umfeld

Ihre Kinder sollen so normal wie möglich aufwachsen und das mitmachen, was Gleichaltrige tun. Skifahren, auf den Berg und auf Geburtstagspartys gehen. Dafür schulte Gitti Weinmayer Freunde, Nachbarn und Lehrer, damit sie über Blutzuckerwerte und Insulinverabreichung Bescheid wissen. „Wenn der Wille da ist, dann ist viel möglich“, ist sie überzeugt. Neben der tatkräftigen Unterstützung ihres Umfelds hilft der Mutter der Austausch mit anderen betroffenen Eltern in einer Selbsthilfegruppe. „Wir sind Profis in der Praxis und merken, dass auch die anderen ähnliche Probleme und Sorgen haben.“ Zusätzlich zur laufenden Behandlung kommen Kinder mit Diabetes idealerweise alle drei Monate in eine Diabetesambulanz, wo sie von Ärzten und Diabetesberatern betreut werden. „Durch die Pandemie haben wir hier in Innsbruck das Setting neu überdacht und bieten auch ‚Videovisiten‘ an“, erzählt Sabine Hofer. Sie ist überzeugt: Auch wenn eine Diabeteserkrankung im Kindesalter das Familienleben beeinflusst, kann durch neue, exakte Therapiemethoden ein hohes Maß an Lebensqualität erreicht werden.

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