Bildung

Mein Kind ist kein Einser-Schüler

Was tun, wenn das eigene Kind nicht den eigenen Erwartungen entspricht? Wie motiviert und bestärkt man Kinder hinsichtlich des Umgangs mit Schulnoten? Und was spricht generell eigentlich für und was gegen Noten?

Für die Eltern ist ihr Kind immer das speziellste und einzigartigste Wesen auf der Welt. Kinder brauchen diese Anerkennung. Ungesund kann es werden, wenn Eltern eine ganz bestimmte Vorstellung davon haben, wie ihr Kind zu sein hat. Oft kommt dann die Ernüchterung in der Schule. Plötzlich stehen im Zeugnis nicht die erwarteten Einser, sondern Zweier oder gar Dreier und Vierer. Beim Lesen langsam, beim Schreiben schlampig, beim Rechnen unkonzentriert. Kurzum: Das Kind entwickelt sich so gar nicht zum Elite-Schüler und die Enttäuschung darüber ist entsprechend groß. Laut Expertinnen machen Eltern dann häufig denselben Fehler: sie versuchen das Verhalten des Kindes zu ändern. Fehlen etwa die Einser fürs Gymnasium, müsse ja in erster Linie mit dem Kind etwas nicht stimmen.

Einser – um jeden Preis?
Für viele Kinder hat das zur Folge, dass die Eltern ihre Anstrengungen hinsichtlich des Übens intensivieren. Jede freie Minute wird dazu genutzt, um den Lernstoff aufzuarbeiten, zu erklären, zu wiederholen oder abzufragen. Feierabende und ganze Wochenenden, die eigentlich zum Erholen da sind, wird gebüffelt, damit die Noten am Ende stimmen. Nicht selten wird eine Nachhilfestunde nach der anderen gebucht. Irgendwie müsse dieses Wissen doch in das Hirn des Kindes! Erziehungsexpertinnen warnen davor, dass dabei der Druck für alle Beteiligten ins Unermessliche steigen kann. Problematisch werde es vor allem dann, wenn Eltern wenig Rücksicht auf das individuelle Leistungspotenzial des Kindes nehmen oder wenn das Kind ständig das Gefühl hat, um seinen Platz kämpfen zu müssen und seine Noten trotz großer Anstrengungen und vieler Hilfe nur knapp halten kann oder die Leistungsziele verfehlt.

Einser als Erfolgs-Garant?
Dass Eltern heutzutage versuchen, ihre Kinder vermehrt auf Bestleistungen zu trimmen, ist für Erziehungswissenschaftlerin Margrit Schramm wenig verwunderlich: „In einer Zeit, in der Selbstoptimierung großgeschrieben wird und schier jeder Mensch alle Chancen der Welt zu haben scheint, wird es immer schwieriger, schlichtwegs normal zu sein.“ Die vielen Anstrengungen, in der Schule herausragend zu sein, obwohl das Kind kein Einser-Kandidat ist und die Talente vielleicht woanders liegen, würden laut Schramm zu psychischen Beeinträchtigungen und gestörten Beziehungsverhältnissen führen. Was bei diesem Performance-Drang immer auch mitschwinge, sei eine gewisse Bildungspanik. Also jene weitverbreitete Angst, dass aus dem eigenen Kind nichts Rechtes wird. „Eltern suchen die Fehler oft beim Kind, dessen Wert schnell einmal an seinen Leistungsergebnissen gemessen wird“, weiß Schramm. Auf die Idee, an den eigenen Vorstellungen zu rütteln, kommen Eltern oft erst nachrangig – manchmal viel zu spät.

Einser ade – festgefahrene Vorstellungen über Bord werfen
„Erwartungen sind nicht in Stein gemeißelt. Wir haben eine Chance, sie zu überdenken und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen – nämlich vor allem jene, dass es meist wenig hilfreich ist, an ihnen festzuhalten“, sagt Margrit Schramm. Quälen sich Vater und Sohn tagtäglich nach der Schule stundenlang mit Lernen, während das Kind sich nur wehrt und sich die Stimmung von Mal zu Mal verschlechtert, braucht es eine Kursänderung. Sich von festgefahrenen Vorstellungen zu verabschieden, könne laut Schramm allerdings ein schmerzhafter Prozess sein, bevor es befreiend wirkt. Schluss mit Einser-Erwartungen heißt in vielen Fällen auch Schluss mit Projektionen eigener Bildungskarrieren auf das Kind. Eltern seien laut Schramm dazu da, Kindern den Rücken zu stärken – dazu zählt vor allem mehr Akzeptanz für die Schwächen des Kindes und ein bewusstes Betonen der Stärken. Manchmal müsse auch ein Wechsel der Schulform in Betracht gezogen werden, wovon vor allem leistungsschwächere Kinder nachweislich profitieren. Hilfreich sei es jedenfalls, den elterlichen Blick auf das breite Spektrum an Leistungsfähigkeiten der Kinder zu schärfen. Jemand, der nicht gut in Mathe ist, punktet vielleicht mit handwerklichen Begabungen und ist möglicherweise für eine Lehre statt fürs Gymnasium geeignet.

Ein Zeugnis ist nur ein Blatt Papier
Die Enttäuschung über schlechtere Noten ist für Kinder gerade in leistungsorientierten Familien oft sehr groß. Eine Note mag zwar den aktuellen Leistungsstand des Kindes abbilden. Bildungsforscher sind sich jedoch einig: Über die Anstrengungen oder Mühen, die das Kind in der Schule
an den Tag legt oder auch über die individuelle Entwicklung, die das Kind gemacht hat, sagt sie nichts aus. Statt Notendruck brauchen Kinder laut Expertinnen vor allem das Vertrauen der Eltern, dass das Kind schon seinen Weg machen wird. Kritik und Beschämung seien jedenfalls fehl am Platz. Genauso wie das leidige Vergleichen mit den MitschülerInnen. Eltern sollten den Fokus auf das eigene Kind legen und überlegen, wie es um die kognitiven Fähigkeiten wie Konzentrationsfähigkeit oder Gedächtnisleistung tatsächlich steht. Daraus könne man ableiten, was für das Kind zumutbar ist, wie es gefördert werden kann, ohne es zu überfordern. Expertinnen empfehlen dabei: weg vom Leistungsdrill und Kontrollzwang, hin zur Anleitung zu eigenverantwortlichem Handeln. Kinder sind erwiesenermaßen motivierter, wenn sie Zeitpläne fürs Üben und Lernen selber strukturieren. Dazu zählt zum Beispiel auch, dass die Kinder sich das Lernen frühzeitig selber einteilen, um nicht erst einen Tag vor dem Test mit dem Pauken anzufangen. Die Motivation zur Eigeninitiative nimmt nicht nur Druck raus, sie fördert auch nachweislich die Freude und Neugierde am Lernen. Und wenn am Ende doch „nur“ ein Dreier rausschaut? Vielleicht ist es dann an der Zeit, zufriedenstellende Leistungen mehr wertzuschätzen – noch dazu, wenn sie selbst erarbeitet sind.

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