Medien

Mitgehangen, mitgefangen

Online-Challenges sind meist lustig und harmlos. Zum Beispiel, wenn es darum geht, einen Tanz nachzumachen. Doch bei Strangulieren, Waschmittel-Schlucken & Co hört sich der Spaß auf. Warum die Kids überhaupt Mutproben brauchen und wie Eltern damit umgehen

 

Sich gegenseitig Witze erzählen und dabei ja nicht lachen. An fremden Wohnungen klingeln und weglaufen. Oder eine Choreographie zu einem bestimmten Song imitieren. Mutproben wie diese werden mithilfe von Bildern und Videos dokumentiert und vor allem auf YouTube oder Tiktok gepostet, wo dann auf Teufel komm heraus geteilt und geliked wird. Die meisten dieser so genannten Challenges sind witzig und unbedenklich. Eine Untersuchung der deutschen „Landesanstalt für Medien NRW“ hat ergeben, dass in unseren Breiten mehrheitlich harmlose Tanz- oder Sing-Challenges im Umlauf sind. Rund ein Drittel der Videos würden jedoch potenziell schädliche und ein Prozent sogar potenziell tödliche Challenges beinhalten. Auf einem Balkongeländer balancieren zum Beispiel. Bis zum Erbrechen irgendwelche Lebensmittel schlucken oder sich bis zur Bewusstlosigkeit strangulieren. Gerade weil Kinder und Jugendliche die Videos meistens unreflektiert konsumieren und teilen, fragen sich Erziehungsberechtigte und Pädagogen:innen zu Recht, wie man die Kids vor problematischen Challenges schützen kann.

 

Warum die Kids Mutproben brauchen

Aus der Verhaltensforschung wissen wir, dass Mut grundsätzlich ein positiver Faktor ist, der uns voran bringt und die Welt entdecken und erfahren lässt. „Wettbewerbe und Mutproben sind ganz typisch für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie kommen bereits bei jüngeren Kindern vor, wo es im Sinne des Herdentriebs vor allem darum geht, zu den anderen dazu zu gehören. Besonders ab der Pubertät nimmt dieser Gruppendruck weiter zu und es geht mehr und mehr darum, Grenzen auszuloten und sich mit anderen zu messen“, weiß Barbara Buchegger von der Medienberatungsinitiative Saferinternet. Studien zeigen, dass gerade in der Zeit der Adoleszenz die Risikobereitschaft steigt und die Latte für Mut-Beweise gerne höher gelegt wird. Der eigenen Peer gefallen, sich beweisen oder in der Gruppe Anschluss finden – Mutproben unterschiedlicher Art als typische Phänomene des Gruppenzwangs habe es laut Barbara Buchegger immer schon gegeben. Auch solche, die mit Gefahren verbunden sind. „Deshalb ist es wichtig festzuhalten, dass das Internet bzw. die Sozialen Medien per se nicht Schuld daran sind, dass die Kids an potentiell schädlichen Challenges teilnehmen“, beteuert die Medienexpertin. 

Die Verlagerung ins Internet sei allerdings ein Verstärker: „Bei den Social-Media-Plattformen kommt einfach hinzu, dass sich die Kinder und Jugendlichen zum Teil dabei filmen, die Videos hochladen und sich diese Mutproben dann deutlich stärker verbreiten können. Das Publikum ist potenziell ein viel größeres als das früher zum Beispiel auf dem Schul- oder Hinterhof der Fall war“. Stärkere Verbreitung bedeute wiederum mehr Nachahmung.

 

Dem Druck widerstehen – Gefahren richtig einschätzen

„Erwachsene tun sich schon schwer, mit sozialem Druck umzugehen – für die Kinder und Jugendlichen, die noch am Beginn ihrer Selbstverwirklichung stehen, keine leichte Sache“, versichert Barbara Buchegger. „Wir müssen die Kinder daher ermutigen, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und darin bestärken, Nein zu sagen zu Dingen, die für sie nicht passen oder schlichtwegs schädlich sind“. Wesentlich dabei sei, mit den Kids im Austausch zu bleiben und problematische Aspekte konkret anzusprechen. Dass Mutproben eben ernste Verletzungen oder gar den Tod auslösen können. Dass es Challenges gibt, die zu psychischen Belastungen wie Mobbying oder Ängsten führen können. „Nein sagen und Gefahren richtig einschätzen lernen Kinder bestenfalls von klein auf, also lange bevor sie mit sozialen Medien in Berührung kommen“, ist Barbara Buchegger überzeugt. Damit eiKind zum Beispiel schon im Kindergarten wisse, wie es sich aus der Affäre zieht, wenn wer anderer will, dass es etwas Schädliches tut, braucht es Mut und Selbstvertrauen. Kinder, die in vertrauensvollen Beziehungen aufwachsen und von Beginn an erfahren, dass die eigenen Bedürfnisse und Grenzen wahrgenommen werden, entwickeln laut Buchegger ein gesundes Selbstwertgefühl und tun sich demnach leichter, dem Druck anderer nicht nachzugeben.

 

Challenges für mehr Medienkompetenz

Glücklicherweise sind die meisten Mutproben harmlos. Das Spektrum an ungefährlichen und unterhaltsamen Challenges ist tatsächlich breit – von Wettbewerben und Aufgaben, die das Zugehörigkeitsgefühl und die Individualität stärken, die eigene Fitness steigern (z. B. Plank Challenge), sinnstiftenden (z. b. Doing Good oder Clean-Up Challenge) bis hin zu einfach unheimlich witzigen Challenges, bei denen etwa auch die Geschicklichkeit (z. B. Bottle Flip Challenge, Bottle Cap Challenge) gefragt ist. „Besonders lustig sind zum Beispiel auch Challenges mit optischen Täuschungen. Da wird zusätzlich Kreativität und Medienkompetenz trainiert, weil es neben dem Unterhaltungswert auch darum geht, zu verstehen, wie etwa ein Foto funktioniert bzw. welche Technik dahinter steckt“, erzählt Barbara Buchegger. Statt die digitale Jugendkultur allgemein zu verurteilen oder Verbote auszusprechen, plädiert die pädagogische Leiterin von Saferinternet im Übrigen dafür, die Schulung von Medienkompetenz und kritischem Denkvermögen stets im Auge zu haben. Wer gelernt hat, Inhalte richtig einzuschätzen und sich selbst treu zu sein, tut weniger Dinge, die man eigentlich gar nicht möchte, die vielleicht gar nicht zu einem passen oder die noch dazu schädlich sind, nur um andere zu beeindrucken.

 

Eltern-Tipps 

im Umgang mit Challenges

• Keine pauschale Verurteilung von Challenges. Stattdessen sollten Kinder dabei unterstützt werden, sichere Challenges zu finden.

 In regelmäßigem Austausch mit Kindern und Jugendlichen bleiben, um zu erfahren welche Inhalte geteilt bzw. welche Mutproben gerade angesagt sind.

 Riskante Challenges besprechen sowie Fakes entlarven bzw. aufklären, dass Inhalte im Internet auch vorgetäuscht oder stark bearbeitet sein können. Kinder dazu ermutigen, Inhalte kritisch zu hinterfragen.

 Kinder und Jugendliche darin bestärken, sich und andere nicht in Gefahr zu bringen und dem Gruppendruck nicht nachzugeben. 

 Vermitteln, dass auch das bloße Weiterverbreiten von gefährlichen Challenges andere gefährden kann und daher unterbleiben sollte.

 Gefährlichen Challenges auch dann nicht posten oder teilen, um davor zu warnen. Trotz guter Absicht dient es letztlich der Weiterverbreitung!

 Andere Eltern oder eventuell die Schulleitung ruhig und besonnen darüber informieren, wenn unter Schüler:innen gefährliche Challenges im Umlauf sind

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