Ernährung

Schmecken lernen: Was Kinder auf den Geschmack bringt

Expertise am Familientisch

Kinder schmecken lernen

Durch stark verarbeitete Lebensmittel und künstliche Aromen haben viele Kinder verlernt, wie natürliche Nahrung eigentlich schmeckt. Doch Geschmack ist erlernbar. Wir haben junge Genießer in der „Geschmacksschule“ begleitet, wo sie das Essen mit allen Sinnen neu entdecken.

Der Geschmackssinn ist unser ältester Sinn. Kinder erkennen verschiedene Geschmäcker, lange, bevor sie gehen oder sprechen lernen.

Geschmack beginnt schon im Mutterleib, die ersten Geschmacksknospen entstehen in der 15. Schwangerschaftswoche. Denn der Geschmack des Fruchtwassers variiert: Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft zum Beispiel regelmäßig Karotten essen, mögen Karotten später besonders gerne. Der Maßstab dafür, wie etwas zu schmecken hat, wird in den ersten Lebensjahren festgelegt und lässt sich später nur noch mit gezielter Umgewöhnung verändern.

Geschmack kommt nicht von ungefähr

Mit dem Geschmackssinn ist es wie mit allen anderen Sinnen auch: Je mehr er gefordert wird, desto besser funktioniert er. Werden einem Kind von klein auf viele verschiedene Speisen angeboten, wird auch sein Geschmacksempfinden differenzierter ausgeprägt sein. Den Ausschlag geben die vielzitierten ersten 1.000 Mahlzeiten, soll heißen: die Hauptmahlzeiten der ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes.

In Österreich ist es üblich, Kindern in diesen ersten drei Jahren „einfache“ Speisen anzubieten. Deutlich abwechslungsreicher füttert man in Frankreich: Dort bekommen Kinder ohne Umstände Oliven, Pilze, Schimmelkäse, Entenleber und ähnliche Delikatessen vorgesetzt, für die Frankreichs Küche weltberühmt ist. Daher mögen französische Kinder mit einem Jahr rund 40 Geschmäcker, deutsche Babys dagegen nur zehn. Folglich wissen französische Volksschülerinnen und Volksschüler die gehobene Küche durchaus zu schätzen – während man hierzulande die meisten Volksschulkinder mit Nudeln, Toast und Fischstäbchen glücklich macht.

Ein Lebensmittelregal in den 70ern

Ein Lebensmittelangebot, wie es noch in den 1970er­ oder auch 1980er­Jahren üblich war, könnten wir uns heute nicht mehr vorstellen. Zuckerfreie Light­-Produkte und Brotbackmischungen würden wir vergeblich suchen, und der Siegeszug der bunten und süßen Limonaden nahm gerade erst seinen Anfang. Wir würden es als ungeheure Einschränkung empfinden, die einzelnen Lebensmittel nur von einem Hersteller und in nur zwei, höchstens drei Geschmacksrichtungen vorzufinden.

Technische Innovationen und die Erforschung der Physiologie und Psychologie des Geschmacks haben seither einige Quantensprünge geschafft, und die Vielfalt an „geschmacksoptimierten“ Lebensmitteln – von pikant bis süß – erfüllt Bedürfnisse, von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie haben.

Vielfalt ist gut, aber nur wenn sie „echt“ ist

Die Vielzahl der Lebensmittel, bei denen mit synthetischen Aromen nachgeholfen wurde, lässt den Einkauf fast zum Spießrutenlauf werden. Vor allem, wenn die Kinder beim Supermarkt­Einkauf „helfen“.

Es liegt in der Natur des Kindseins, aufgeschlossen und unkritisch zu sein. Kinder bewahren sich lange einen unerschütterlichen Glauben an das Gute in der Welt und können sich nicht vorstellen, dass es etwas zu kaufen geben könnte, das nicht gesund ist. Diese kindliche Naivität bleibt vielen Menschen übrigens bis ins Erwachsenenalter erhalten. Das Bewusstsein für die Risiken stark verarbeiteter und aromatisierter Nahrung ist in der Bevölkerung noch lange nicht ausreichend ausgeprägt.

In Geschmacksschulungen lernen Kinder wieder zu schmecken
Der Grundstock für eine gesunde Ernährung wird in der Kindheit gelegt

Wie Kinder (wieder) schmecken lernen: Geschmacks-Schulungen

Genau hier setzen „Geschmacksschulungen“ an. Kinder lernen die faszinierende Welt der Geschmäcker und Aromen kennen. Es wird gerührt und geschnippelt, geerntet und geschnuppert, geraten, geforscht und gekostet. Expertinnen und Experten geleiten Schulklassen und Kleingruppen durch Quiz­-Stationen, geben verblüffende Einblicke und wecken die Neugier auf mehr Hintergrundwissen. Mit verbundenen Augen werden Geschmäcker neu entdeckt, es wird verglichen und gefachsimpelt. Im Mikroskop sind die Zellen von Früchten und Blättern zu sehen, und darin die Carotinoide der Karotte oder das Chlorophyll in der Petersilie.

1. Ernährungswissen: Sensorik-Modul von Gourmet

In der Gourmet­-Kinderkochwerkstatt tummeln sich Sechs­ bis Zehnjährige. Hier werden kleine Gourmets zum fröhlichen Ausprobieren gesunder Ernährung ermuntert, und erlebnispädagogische Spiele machen gesunde Ernährung „be­greif­bar“. Ernährungswissenschaftler präsentieren in vier Modulen die Themen

  • „Ernährungswissen“,
  • „Sensorik“,
  • „Kochen“ und
  • „Essen“.

Im „Sensorik“­-Modul werden die Grundgeschmacksrichtungen erforscht. Außerdem wird der Einfluss von Farben auf die Geschmackswahrnehmung untersucht, und schließlich dürfen die kleinen Spürnasen im Duft-­Detektivspiel um die Wette schnuppern. Sie erfahren vom Zusammenhang zwischen Essen und Jahreszeiten, kochen gemeinsam ihre Lieblingsspeisen und bekommen Tipps und Tricks für einen schön gedeckten Tisch – damit das gemeinsame Essen noch mehr Spaß macht. So werden schon Volksschulkinder auf genüssliche Weise motiviert, sich bunt, gesund und klimafreundlich zu ernähren. Das sinnliche Erleben beginnt an den Wurzeln: Denn dort wachsen zum Beispiel die Kartoffeln. Wie fühlt es sich an, so eine Knolle im Boden aufzuspüren? Wie riecht die Erde? Warum soll man Kartoffeln nicht roh essen? Beim gemeinsamen Kochen kommen aromatische Kräuter und Gewürze zum Einsatz. Schnittlauch brennt manchmal in den Augen, und roher Knoblauch brennt im Mund. Wer damit umzugehen weiß, hat den meisten Kindern und vielen Erwachsenen schon einiges voraus.

Geschmacksrichtungen erforschen und selber kochen: Damit sollen schon Kinder motiviert werden, sich gesund und klimafreundlich zu ernähren.

2. Wertschätzung: Das Sensorik-Labor der Wiener Tafel

Die Wiener Tafel hat einen ganz anderen Fokus. Tafel-­Organisationen versorgen soziale Einrichtungen mit „geretteten“ Lebensmitteln. Sie holen von Supermärkten und Restaurants überschüssige Lebensmittel ab, damit sie nicht weggeworfen werden, und verteilen sie an Frauenhäuser oder Obdachlosenheime. Es werden aber in Österreich viel mehr genießbare Lebensmittel weggeworfen als Armutsbetroffene essen können.

Warum werfen Menschen gute Lebensmittel weg?

Das hat mehrere Gründe. Zum Beispiel führen Mengenrabatte im Supermarkt dazu, dass man mehr kauft, als man braucht. Zudem wissen viele Menschen nicht, wie man Lebensmittel richtig lagert, damit sie frisch bleiben. Und weil sie ohnehin nicht viel gekostet haben, wirft man sie nach einiger Zeit „zur Sicherheit“ weg. Denn viele trauen sich einfach nicht zu, selbst zu beurteilen, ob etwas verdorben ist.

Genau schauen, riechen, kosten – und mithilfe der eigenen Sinne feststellen, ob etwas noch gut ist: Darum geht es im Sensorik-­Labor der Wiener Tafel. Im spielerisch­experimentellen Ambiente erlangen Kinder Kompetenz und Selbstvertrauen, um die Qualität von Lebensmitteln selbst beurteilen zu können. Nebenbei entsteht ein Bewusstsein für den Wert der Lebensmittel, ihre jeweiligen Besonderheiten und Vorzüge. Und nicht zuletzt werden die jungen Forscherinnen und Forscher für die wichtigen Themen Lebensmittelverschwendung, Armut und Hunger sensibilisiert, verbunden mit dem nötigen Wissen für einen nachhaltigen, verantwortungsbewussten Lebens­ und Ernährungsstil.

Genau schauen, riechen, kosten – und mithilfe der eigenen Sinne feststellen, ob etwas noch gut ist: Darum geht es im Sensorik-­Labor der Wiener Tafel.

Der Geschmack der Kindheit

Die Lebensmitteltechnologie kann bereits viele Aromen nachbilden. So entsteht beispielsweise Räucherspeck, der in der Realität nie geräuchert wurde, oder eine Art Buttercreme, für die nie echte Butter verwendet wurde. Doch auch wenn viele Aromen künstlich nachgebildet werden können, ist ein geschmackskompetenter Gaumen nicht so leicht zu täuschen.

Wer allerdings mit künstlichem Erdbeeraroma, ohne frische Kräuter, Gewürze und selbstgemachte Speisen aufwächst, mag künstlich hergestelltes Essen womöglich ohnehin lieber als echtes – nicht gerade eine gute Voraussetzung für gesunde Lebensmittelwahl. Denn die Aromen der Kindheit prägen das Geschmacksempfinden für den Rest des Lebens.

Dick durch Aromastoffe?

Die meisten Fertiglebensmittel wären ohne künstliche Aromen vermutlich wenig wohlschmeckend – oder ziemlich teuer: Synthetisches Fruchtaroma kostet nur wenige Prozente vom Preis echter Früchte. So ermöglichen künstliche Aromen billigere Lebensmittelpreise. Nebenbei lassen sich mit künstlichen Aromen beliebig intensive Geschmäcker erreichen, was gerade bei Kindern großen Anklang findet. Mitunter essen sie dadurch mehr, als ihnen gut tut. Die Zusammenhänge zwischen Aromatisierung und Übergewicht sind derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.

Ein gut entwickelter Geschmackssinn, der viele Nuancen identifizieren kann, ist Voraussetzung für ein differenziertes Geschmackserlebnis, für Essen mit Freude und Genuss.

Wozu Geschmackskompetenz?

Wir Menschen sind Genusswesen. Ein gut entwickelter Geschmackssinn, der viele Nuancen identifizieren kann, ist Voraussetzung für ein differenziertes Geschmackserlebnis, für Essen mit Freude und Genuss. Unsere Lebensmittel sollen daher auch unsere Genussmittel sein!

Und wer sein Essen genießt, weil die Speise Aufmerksamkeit weckt, weil der Geschmackssinn „darauf anspringt“, wer viele Speisen und Geschmäcker kennt, hat buchstäblich mehr vom Leben, weil all diese Eindrücke das Leben bereichern. Sie lassen Bilder, Assoziationen, Gefühle entstehen, vielleicht sogar Erinnerungen wach werden. Geschmackskompetenz ist Lebensqualität.

Besseres und „echtes“ Essen einkaufen

Geschmackskompetenz und Wertschätzung für Lebensmittel beginnen schon beim Einkauf. Kinder, die eine Ahnung vom Wachsen und Werden ihres Essens haben, werden sich gesünder, schlauer und genussreicher ernähren. Nicht mit synthetisch „optimiertem“ Essen, sondern nur mit natürlichen Lebensmitteln lernen Kinder echte Geschmäcker lieben, nur so steht ihnen die sinnliche Welt der vielen charakteristischen Aromen gesunder Nahrung offen.

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