Bildung

Schule im Freien

Was in Skandinavien schon lange Praxis ist, könnte auch bei uns buchstäblich Schule machen – gerade in Zeiten der Pandemie, bestenfalls aber auch danach: der Unterricht unter freiem Himmel. Wie wirkt sich Frischluft auf Lernerfolg und Konzentration aus? Und wie kann in einem Freiluftklassenzimmer tatsächlich Mathe & Co unterrichtet werden?

Öffnen, schließen, testen, Präsenz- oder Schichtbetrieb. Das Thema Schule ist während der Pandemie umstritten wie kaum ein anderes. Nachdem Hygieneregeln in den oft engen Klassenzimmern und Schulgängen nicht optimal eingehalten werden können, gibt es immer mehr Stimmen für eine Schule im Freien als einen möglichen Ausweg für einen sicheren Präsenzunterricht. Dass das Infektionsrisiko bei Aktivitäten unter freiem Himmel bei weitem geringer ist als in geschlossenen Räumen, ist wissenschaftlich erwiesen. Ebenso die postiven Effekte des Lernens im Freien.

Raus mit euch!

„Ich sehe ein hohes Potenzial, dass wir Schulen sicherer machen können, indem wir mehr Draußen-Schule machen. Ebenso Kindergarten im Freien. Dieses Potenzial haben wir noch nicht eindeutig ausgeschöpft“, spricht sich etwa der renommierte Kinderarzt und Bildungsexperte Herbert Renz-Polster für präventive Maßnahmen aus, die jedenfalls ausprobiert werden sollten, bevor etwa erneut Schulschließungen im Raum stehen. Doch wie soll man sich den Unterricht draußen vorstellen? Ideen gibt es genug. Zum Beispiel Bänke und Tische in den Schulhof stellen. Manche Schulen haben kleine Tribünen oder Freilichtbühnen, die für den Unterricht genutzt werden können. Unterrichtseinheiten könnten auch im Park absolviert werden. Unter Umständen auch in leeren Fußballstadien. Schulen, die keine eigenen Außenräume haben, könnten etwa Außengelände pachten oder anmieten. Wetterfeste Möbel können angebracht sein, damit die Tische und Stühle nicht täglich aufs Neue ins Schulgebäude getragen werden müssen. Außerdem bräuchte es tragbare Tafeln. Neu ist das Konzept der „Draußenschule“ jedenfalls nicht. Skandinavien hat bereits seit Beginn der 1990er Jahre gezeigt, wie es gehen kann: unter dem Namen „Uteskole“ in Norwegen bzw. „Udeskole“ in Dänemark findet Schule im Freien mittlerweile an einer Vielzahl an Volksschulen regelmäßig statt.

Outdoor-Klassen in Österreich

Auch hierzulande gibt es Gemeinden, die mit Blick auf die Pandemie den Unterricht raus an die frische Luft verlagert haben. Bereits vor einem Jahr wurde die erste Freiluftklasse in der Volksschule Traiskirchen von Bürgermeister Andreas Babler ins Leben gerufen. Inzwischen können sich auch die Kinder aus den anderen Volksschulen im Stadtgebiet über einen Klassenraum im Freien freuen. In den benachbarten Orten Möllersdorf und Tribuswinkel wurden ebenso Freiluftklassen-Projekte umgesetzt. Ein Angebot, dass Kindern und PädagogInnen ermöglichen soll, zumindest einen Teil ihres Unterrichts sicher im Freien abzuhalten. Die Palettenbauweise macht das eigens angefertigte Schulmobiliar flexibel; je nach Wetterlage oder Aufgabenstellung können Sitzbänke und Tische von den Kindern selbst umgestellt werden.

„Die Freiluftklassensind ein pragmatischer Schritt für eine sicherere Schule. Im Freien ist das Infektionsrisiko geringer und die SchülerInnen haben genug Platz, die Abstandsregeln einzuhalten“, sagt Traiskirchens Bürgermeister Babler. Unterrichtseinheiten unter freiem Himmel werden auch an Österreichs Naturpark-Schulen bereits seit längerem bzw. auch schon vor Corona praktiziert – so auch an den 44 Standorten in der Steiermark. „Wenn das Wetter mitspielt, geht es für alle Klassen täglich ins Freie“, erzählt Angela Kahr-Huber von der Volksschule Passail. „Wir haben in der Schule immer einen Rucksack lagernd, wo die Kinder eine Sitzunterlage, Papier und ein kleines Federpenal mit den wichtigsten Stiften haben“. So wird etwa Mathe, Englisch oder Sachkunde an der frischen Luft möglich. „Wir haben eigentlich schon mal jedes Fach draußen gehabt – von Sport bis zu Biologie“ verrät eine Schülerin. Damit der Unterricht draußen noch besser in den Schulalltag eingebunden werden kann, haben die Naturpark Schulen ein Buch als Leitfaden präsentiert: „Unterricht im Freien“ zeigt, wie auch außerhalb des Schulgebäudes in allen Fachbereichen von der 1. bis zur 8. Schulstufe lehrplanmäßig unterrichtet werden kann – von Mathematik über Deutsch, Biologie, Geografie bis zur Bildnerischen Erziehung.

 

Durch die Palettenbauweise sind die Schulmöbel flexibel und können auch von den Kindern umgestellt bzw. für Gruppenübungen neu zusammengestellt werden – je nach Wetterlage auch mehr in die Sonne oder in den Schatten.

Einmaleins mit Vogelgezwitscher – lernt es sich draußen besser?

So charmant und durchaus erfolgreich flexible Lernmodelle an der Frischluft sein mögen: Viele Eltern und auch Lehrkräfte sind in Bezug auf den Lernerfolg skeptisch. Bildungsforscher haben immerhin herausgefunden, dass sich zumindest ausgewählte Inhalte an der frischen Luft genauso gut vermitteln lassen wie im Unterricht in der Klasse. „Wir wissen ganz sicher, dass der Unterricht im Freien die intrinsische Motivation steigert – auch bei jenen Fächern, die nicht draußen unterrichtet werden“, heißt es in einer Studie der Technischen Universität München. So würden Schüler im Freien selbständiger handeln, seien weniger eingeschränkt – und sie könnten Qualitäten zeigen, die im Klassenraum oft wenig zur Geltung kommen. Außerdem berichten Lehrkräfte, dass sie ihre Schüler zum Teil aus einer ganz anderen Perspektive kennenlernen würden. Bewegung könnte viel dynamischer mit anderen Fächern kombinert werden und viele sinnliche Erfahrungen würden dabei helfen, den Lernstoff besser aufzunehmen. Außerdem haben Forscher herausgefunden, dass die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol einem natürlicheren Rhythmus folgt, wenn Schüler ins Freie gehen. Das Immunsystem würde davon jedenfalls profitieren.

 

So viel wie möglich draußen sind auch die Kids in Österreichs Naturpark Schulen. Besonders gut für den Outdoor-Unterricht eignet sich Sachkunde. Im Grunde können aber alle Fachbereiche von der 1. bis zur 8. Schulstufe lehrplanmäßig im Freien unterrichtet werden.

Langfristige, fächerübergreifende Projekte für Draußentage

Die Umsetzung ist freilich nicht immer einfach. Gefragt sind Unterrichtskonzepte, die zum Outdoor-Klassenzimmer passen. Denn eins muss klar sein: Der Draußenunterricht ist nicht mit einem Wald- oder Ausflugstag zu verwechseln. Am unkompliziertesten lasse sich der Unterricht laut Bildungsforschern in der Grundschule nach draußen verlegen. Analog zum dänischen Konzept, wo in jeder fünften Schule ein Tag pro Woche draußen stattfindet, könne es also sinnvoll sein, ein bis zwei fixe Draußentage an Schulen zu etablieren. In der Oberstufe dagegen sei dies nicht ganz so einfach, aber auch nicht unmöglich. Gymnasien in Deutschland und in der Schweiz etwa haben gezeigt, dass sich gerade langfristige, fachübergreifende Projekte mit Draußenunterricht bestens organisieren lassen. Ob das Modell im wahrsten Sinne des Wortes Schule macht, ist letztendlich immer auch eine Frage der Schulkultur, des Engagements einzelner Lehrpersonen sowie der Schulleitung – und nicht zuletzt muss in der Outdoorklasse auch das Wetter immer wieder mitspielen. 

Draußen unterrichten, Herausgeber Stiftung SILVIVA

Österreichs Naturpark-Schulen haben einen Leitfaden für Outdoor-Unterrichtseinheiten erarbeitet. Das Praxishandbuch soll Hilfestellung und Anregung geben, den Unterricht abseits vom Klassenzimmer im Freien durchzuführen. Dafür muss der Weg nicht unbedingt in den nächsten Wald führen, auch der Schulgarten oder ein kleiner Park eignen sich zur Umsetzung. Die Einheiten können an das jeweilige Alter der Kinder leicht angepasst werden und bringen nicht nur Wissen, sondern auch Spaß in den Schulalltag – und das alles lehrplanadäquat.

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