Erziehung

Starke leise Kinder

Schüchterne Kinder werden öfter übersehen, sind weniger spontan und ziehen sich häufig zurück. Dabei bringt Schüchternheit in der Regel auch besondere Stärken mit sich, weiß die Pädagogin Inke Hummel.

Sophie versteckt sich zielsicher hinter Mamas Bein als diese mit einer Bekannten spricht. Bei der Geburtstagsparty seines besten Freundes steht Tom so lange zögerlich am Rand, dass er schließlich übersehen wird, als der Kuchen aufgeteilt wird. Die Antwort auf die Frage der Lehrerin kennt Franzi schon lange, doch aufzeigen – das traut sie sich nicht. Sophie, Tom und Franzi sind grundverschieden, aber eines haben sie gemeinsam: Sie gelten als schüchtern. Und auch, wenn es weder schlimm noch überraschend ist, dass es neben lauten Kindern auch leise, und neben mutigen auch zögerliche gibt, machen sich Eltern von schüchternen Kindern besonders häufig Sorgen. Etwa darüber, dass ihre Kinder in Kindergarten und Schule untergehen, dass sie möglicherweise übervorteilt oder zum Außenseiter werden.

Die positiven Seiten der Schüchternheit
Weil sie häufig mit diesen und ähnlichen Sorgen konfrontiert wurde, hat
die Familienberaterin und Pädagogin Inke Hummel ein Buch über schüchterne Kinder geschrieben. Dabei geht es vor allem darum, aufzuzeigen, dass Schüchternheit an sich gar kein Problem ist und den Blick dafür zu schärfen, dass ruhige und abwartende Kinder ihren Altersgenossen gegenüber kein Defizit haben, sondern einfach andere Qualitäten mitbringen. So können sie sich häufig besser und länger konzentrieren, haben aufgrund ihrer Beobachtungsgabe oft die Fähigkeit sich gut in andere Menschen hinzufühlen und treffen in der Regel überlegtere Entscheidungen. Dennoch kann Schüchternheit zweifellos auch hemmen. Kinder aus Angst vor negativen Konsequenzen in Situationen zu drängen, in denen sie sich nicht wohl fühlen, ist dennoch nicht hilfreich. „Schüchterne Kinder profitieren davon, wenn Eltern sie mit anderen Menschen verbinden und für sie Brücken bauen, damit sie dann selbst für sich einstehen können“, sagt Inke Hummel im Gespräch über Selbstbewusstsein, Chancen und kleine Mutmacher.

Warum sind manche Kinder schüchterne als andere?
Hummel: Das kann zum einen angeboren sein. Dann reagiert ihr Alarmsystem rascher und empfindlicher als bei anderen und sie sind zögerlicher und schneller in einer Habachtstellung. Zum anderen kann es erworbenes Verhalten sein, zum Beispiel, weil ihr Umfeld sehr autoritär oder ihr Leben sehr belastend ist.

Viele Eltern machen sich Sorgen, dass es ihr schüchternes Kind schwerer haben könnte als andere. Sind diese Sorgen berechtigt?
Hummel:
Die Herausforderungen wiegen sicher nicht schwerer als bei anderen Kindern, aber es gibt welche, denn Schüchternheit kann hemmend sein oder auch arrogant erscheinen. Beides kann sich negativ auswirken, weil schüchterne Kinder manche Erwartungen nicht so gut erfüllen können oder sich schwerer damit tun, Beziehungen zu knüpfen und ihre Leidenschaften auszuleben.

Wie kann ich mein schüchternes Kind als Elternteil am besten unterstützen? Wie kann ich es stärken?
Hummel: Es sollte erfahren, was sein Wesen ausmacht und wie es gut damit umgehen kann. Das meint „selbstbewusst werden“ – sich seiner Selbst bewusst werden. Dafür braucht es gar nicht unbedingt den Begriff „schüchtern“. Eltern können formulieren, welche Herausforderungen sie wahrnehmen: „Du tust dich schwer, rasch zu antworten, Fremde an- zusprechen, spontan zu sein…“ Sie können beobachten und irgendwann auch nachfragen, ob das Kind darunter leidet oder nicht. Nur dort, wo es ihm schlecht geht, sollten sie ihm unter die Arme greifen und „zugewandt zumuten“, also Gelegenheiten schaffen, in denen das Kind Strategien ausprobieren und über sich hinauswachsen kann.

Gibt es konkrete Mutmacher, die hilfreich dabei sein können?
Hummel: Ich rate immer dazu, Kinderbücher zum Thema zu suchen, damit die Kinder spüren „Ich bin kein Einzelfall. Es gibt auch andere, die so sind wie ich.“ Und in der Regel können sie aus solchen Büchern auch mitnehmen, dass Schüchternheit nicht nur Nachteile hat, sondern auch positive Seiten. Zum anderen empfehle ich, das Eltern darüber sprechen, wann sie selbst schon mal besonders zögerlich waren oder ob sie selbst ein schüchternes Wesen mitbringen. Kinder mögen es zu hören, wann wir Großen damit gekämpft haben und wie wir Herausforderungen angehen konnten.

Viele Eltern fragen sich, ob es gut ist in fordernden Situationen für das Kind zu sprechen? Etwa wenn das Kind bei der Verteilung des Kindergeburtstagskuchen wieder einmal übersehen wird oder, wenn es sich nicht traut den Bag- ger in der Sandkiste zurück zu fordern.
Hummel: Ich rate dazu, das Kind für andere zu übersetzen, also zu erklären, wie es empfindet und was es an Hilfestellungen benötigt. Außerdem empfehle ich aber wie gesagt, dem Kind nicht alles abzunehmen, sondern es eher mit den anderen Menschen zu verbinden und ihm Brücken zu bauen, damit es selbst für sich einstehen kann. Je jünger ein schüchternes Kind ist, desto mehr Unterstützung benötigt es natürlich von uns, gerade wenn es oft übervorteilt, übersehen oder auch aufgrund seiner Art negativ bewertet wird.

Sollen Eltern ihrem Kind unangenehme Tätigkeiten abnehmen oder ihm lieber einen sanften Schubs in die „richtige“ Richtung geben?
Hummel: Es wäre schlecht, für das schüchterne Kind alles zu regeln. Ebenso falsch ist es, ein schüchternes Kind beständig zu Dingen zu zwingen, die ihm unangenehm sind. Der Mittelweg ist gut. Immer wieder Hemmschwellen angehen, nicht vermeiden. Vorher überlegen, wie sie gemeistert werden können, In den Momenten Hilfe zur Selbsthilfe geben. Und dann zuschauen, wie das Kind über die Zeit kleine Schritte geht.

Blicken wir auf die positiven Seiten: Was sind denn die Vorteile, die schüchterne Kinder haben?
Hummel: Schüchternheit ist auf gar keinen Fall verkehrt. Wenn sie hemmt und Menschen Leidensdruck macht, muss man an ihr arbeiten. Aber im Allgemeinen ist sie häufig eine hilfreiche Eigenschaft, weil es ohne Übermut zu besseren Entscheidungen und klüger durchdachten Handlungen kommen kann oder weil schüchterne Menschen mehr Ressourcen haben, um zum Beispiel Emotionen anderer zu erspüren. Schüchternheit hat sehr viele Facetten.

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