Bildung

„Wir brauchen Schulen mit einem qualitativ hochwertigen, aber vergleichbaren Angebot“

Bildungsforscher Jens Oliver Krüger erklärt, welche sozialen Folgen die Auswahl bzw. Vermeidung bestimmter Schulen haben kann und wieso beim Run auf die beste Schule Vorsicht geboten ist.

Welche Kriterien für die Schulwahl sind für Eltern ausschlaggebend?
Jens Oliver Krüger: Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht. Zu den Kriterien, die Eltern häufig nennen, gehören ein kurzer Schulweg oder der Ruf der Schule. Letzteres ist problematisch, da der Ruf vorwiegend auf Gerüchten basiert, die häufig unzuverlässig sind. Außerdem führen sie zu einem selbstverstärkenden Effekt. Die beliebten Schulen werden immer beliebter und Vorurteile gegenüber unbeliebten Schulen setzen sich fest und werden verbreitet.

Gegenwärtig scheint es ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Regel-Schulangebot zu geben. Woher kommt das?
Krüger: Von einem grundsätzlichen Misstrauen möchte ich nicht sprechen, aber viele Eltern sind verunsichert. Sie verfolgen die mediale Berichterstattung über verbesserungswürdige PISA-Ergebnisse oder prekäre Verhältnisse an Einzelschulen und beginnen, an der Selbstläufigkeit der Bildungskarriere ihrer Kinder zu zweifeln. Das hat auch etwas mit Veränderungen in der Art zu tun, wie wir heute Elternschaft verstehen.

Warum ist der bildungsbiografische Stellenwert der Schulwahl so hoch?
Krüger: Die Leitbilder guter Elternschaft haben sich gewandelt und vervielfältigt. Unter bestimmten Eltern gibt es die Tendenz, den Bildungsweg ihrer Kinder früh zu einer Art Lebensprojekt zu machen. Das beginnt schon mit der Wahl des ‚richtigen‘ Kindergartens. Damit verbunden sind auch Ansprüche, das Bestmögliche zu wählen. Und Eltern nehmen wahr, dass das auch von ihnen erwartet wird.

Der freie Elternwille steht in Konkurrenz zum Gedanken der Bildungsgerechtigkeit.

Jens Oliver Krüger, Bildungsforscher an der Universität Koblenz

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Inwiefern hängt der Wettlauf bei der Schulwahl mit dem allgemeinen Leistungsdruck zusammen?
Krüger: Die Orientierung an Leistung ist ambivalent. Es gibt Eltern, die nach leistungsorientierten Schulangeboten für ihre Kinder suchen. Es gibt aber auch solche, die in der Schule lieber einen Schutzraum vor den Leistungsansprüchen der Gesellschaft sehen. Beides kann Eltern zu verstärkten Schulwahlbemühungen animieren.

Wie kann durch die Auswahl der Schule soziale Bildungsungleichheit entstehen?
Krüger: Nicht alle Eltern bemühen sich in gleicher Weise um die Schulwahl für ihre Kinder. Der Zweifel an der Bildungsqualität bestimmter Schulen treibt besonders bildungsnahe Eltern um. Wenn diese die Schulen mit einem schlechten Ruf meiden, kommt es dort zum Effekt einer sozialen Segregation, also einer sozialen Entmischung – ganz unabhängig davon, wie es um die Bildungsqualität an diesen Schulen tatsächlich bestellt ist.

Warum trauen Eltern sich (und ihren Kindern) die soziale Mischung nicht zu?
Krüger: Eigentlich ist nicht die soziale Mischung das Problem. Eltern fliehen auch vor dem Effekt der sozialen Entmischung – selbst wenn sie durch ihre Schulwahl zu diesem Effekt beitragen. Viele Eltern befinden sich in einem Dilemma: Der freie Elternwille steht im Grunde in Konkurrenz zum Gedanken der Bildungsgerechtigkeit, der vergleichbare Bildungsangebote für alle voraussetzt.

Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?
Krüger: Ich kann Eltern nur raten, Gerüchte und Vorurteile zu hinterfragen, damit auch die ‚Regelschule ums Eck‘ die Chance erhält, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Aus bildungspolitischer Sicht ist zu überlegen, ob es sinnvoll ist, immer mehr auf den Ausbau schulischer Vielfalt zu setzen. Die vielen unterschiedlichen Profile überfordern Eltern zum Teil. Anstatt eine immer weitere Diversifizierung im Schulbereich voranzutreiben, brauchen wir Schulen mit einem qualitativ hochwertigen, aber vergleichbaren Angebot. Wenn Schulen immer unterschiedlicher werden, werden Eltern mit Recht immer mehr Wahlmöglichkeiten einfordern.

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