Bildung

Wir haben Hausübung!

Sie werden von Kindern (und Eltern) oft als qualvoll empfunden und sorgen in vielen Familien regelmäßig für Streit: die Hausaufgaben. Was im Grunde Sache der Kinder ist, wird mehr und mehr zur Familienaufgabe. Welche Rolle sollten Eltern tatsächlich einnehmen und was sagen Experten eigentlich über die Sinnhaftigkeit von Hausübungen & Co.

Briefe wie diese sind keine Seltenheit. Die WIR-Form sagt eigentlich eh schon alles. Eltern sehen sich oft in der Rolle von „Hilfslehrern“ und fühlen sich zusehens für schulische Belange verantwortlich. Sei es, dass die Hausaufgaben vollständig zu erledigen sind, sei es, dass für Prüfungen gelernt werden muss. Sei es, dass die Wochenendbeschäftigung vieler Eltern darin besteht, mit dem Nachwuchs (meist widerwillig auf beiden Seiten) zu büffeln, damit die Noten besser werden oder weil das positive Abschlusszeugnis gefährdet ist. Psychiater und Bildungsexperten bestätigen: Das Thema Schule und insbesondere die Hausaufgaben als fester Bestandteil von Schulkultur haben das Leben vieler Eltern und Kinder seit Jahren fest im Griff und somit auch einen großen Einfluss auf die Lebensqualität von Familien. Der Familienberater und Ex-Lehrer Andreas Reinke weiß zu erzählen: „Tagtäglich bemühen sich unzählige pflichtbewusste Eltern auf Kosten von Geduld, Zeit, Beziehungsqualität, oftmals auch weit über die Grenzen gesunder Belastbarkeit hinaus um möglichst vollständige und „richtige“ Hausaufgaben“. Daheim gäbe es demnach oft kein anderes Gesprächsthema mehr. Wenig verwunderlich, dass auch viele interfamiliäre Konflikte um nichts anderes kreisen.

Hausaufgaben – DIY (Do It Yourself) oder Aufgabe der Eltern?

Es gibt sie natürlich: Jene Kinder, die gerne Hausaufgaben erledigen und dabei auch kaum Unterstützung brauchen. Genauso wie es laut Andreas Reinke auch jene Eltern gäbe, die auch spätabends noch bereitwillig mit den Sprösslingen Vokabeln oder sonstwas pauken. Auf der anderen Seite steht eine Vielzahl an Familien, für die das Üben und Lernen daheim immer mehr zur Belastung wird. Mit vielen Feierabenden und Wochenenden, die ständig für Schulthemen drauf gehen. Nicht umsonst atmen vor allem die Mütter oft auf, sobald Ferientage bevorstehen. Job und schulfreie Zeit bestmöglich zu koordinieren, bedeutet für viele Familien zwar auch Stress in den Ferien. Kein Vergleich aber zum nervenaufreibenden „Hilfslehrer-Job“ gewöhnlicher Schultage, an denen es oft ganze Nachmittage und Abende lang um kaum etwas anderes geht als ums Kontrollieren, Lernmotivieren und Assistieren. Damit der Dauerbrenner Hausaufgaben erst gar nicht zum Familien-Flächenbrand wird, empfielt Andreas Reinke Eltern mehr Distanz zur Schule einzunehmen. „Wir haben als Familie festgestellt, dass das Thema Hausaufgaben einen großen Einfluss auf unser familiäres Miteinander nimmt. Und das wollen wir nicht. Die Verantwortung für die Hausaufgaben tragen Sie. Die Hausaufgaben liegen ab sofort nicht mehr in unserem Verantwortungsbereich. Wir unterstützen unser Kind gerne und wir sind im Gespräch“. So oder ähnlich könnten Eltern der Schule klar kommunizieren, dass Eltern sich allen voran für das Wohlergehen aller Familienmitglieder verantwortlich sehen, Lehrer hingegen dafür, was in der Schule passiert und aufgetragen wird. Eine solche Positionierung erfordere laut Reinke durchaus Mut und Widerstandsfähigkeit, um dem möglichen Gegenwind seitens der Schule, aber auch seitens anderer Familien standzuhalten. Eltern würden mehr Ressourcen gewinnen und könnten sich wieder mehr um das kümmern, wofür sie in der Familie in erster Linie zuständig sind: „Aufgabe der Mütter und Väter ist und bleibt es, ermutigende, tröstende und fürsorgende Eltern zu sein. Und dazu zählt nicht, dass man Hilfslehrer spielt“.

Hausaufgaben – warum müssen wir so viel?

Für Hausaufgaben gibt es einige gute Gründe: neben der Vertiefung des Stoffes zählt für die meisten Befürworter vor allem auch der erzieherische Wert hin zu selbständigem Arbeiten. Das Kind soll lernen, Pflichten pünktlich, zuverlässig und ordentlich zu erledigen, sich seine Freizeit einzuteilen und einen eigenen Arbeitsrhythmus zu finden. Klingt gut, schaut in der Realität aber vielfach ganz anders aus. „Nach meiner Einschät- zung ist die Geschichte der Hausaufgaben eine einzige Leidensgeschichte. Zu viel Müssen. Zu viel Gehorsam. Zu viel Schule“, meint Andreas Reinke. Warum an Hausaufgaben & Co festgehalten wird? „Weil es ein Druckmittel ist. Klassische Hausaufgaben führen allen Beteiligten jeden Tag vor Augen, wer das Sagen hat“, meint Reinke. Ein zentrales Element der Disziplinierung also. Denn gerade weil Hausaufgaben in der Regel mit Druck, Angst und Stress verbunden seien, ginge es oft nur mehr um eine Art „Druck-Training“ – und zwar vielmehr als um konkrete Lerninhalte. Remo Largo schlägt mit seinen Aussagen über die Sinnhaftigkeit der Hausaufgaben in eine ähnliche Kerbe: „Die Verantwortung wird von der Schule immer mehr an die Familie delegiert, zum Beispiel bei der Vorbereitung für die Schule. Es gibt meines Erachtens kein einziges gutes Argument für Hausaufgaben in den ersten sechs Schuljahren“, sagt der im vergangenen Jahr verstorbene, renommierte Erziehungswissenschaftler und beruft sich dabei auf die moderne Pädagogikforschung. Tatsächlich haben Bildungsstudien ergeben, dass der fachliche Lerneffekt von Hausaufgaben verschwindend gering ist. So wurde empirisch mehrfach nachgewiesen, dass Hausauf- gaben (und im Übrigen auch Noten) den Lernerfolg insgesamt keinesfalls verbessern.

Lernen mit Freude und ohne Angst

Wie man mit Hausaufgaben umgehen könnte? Sie sollten laut Fachleuten jedenfalls Kindersache sein. Denn es liegt auf der Hand, dass die Selbständigkeit der Kinder auf der Strecke bleibt, wenn Hausaufga- ben & Co nur mit erheblichem Mehraufwand seitens der Eltern gelingen. Das bedeutet für Eltern: Nicht daneben sitzen, nicht vorsagen oder verbessern, Fehler ertragen – auch wenn es schwerfällt! Unnötige Tipps und Kontrollfragen sind fehl am Platz und verunsichern die Kids. Feedback sollte den Lehrern überlassen sein. Kinder, die ihre Hausaufgaben alleine machen (dürfen!), bekommen mehr Selbstbewusstsein und Lernmotivation. Schließlich bleibt selbst erarbeitetes Wissen auch besser im Gedächtnis. Eltern dürfen sich den Stoff erklären lassen (das interessiert mich, was du lernst) und beim Lesetraining oder dem Üben von Einmaleins oder Vokabeln assistieren. Für Kinder, die mit dem Pensum der Hausaufgaben regelmäßig überfordert sind, können Zeitlimits und individuelle Anpassungen in Absprache mit der Schule hilfreich sein. Dafür braucht es laut Andreas Reinke großes Vertrauen und alle Beteiligten müssten sich gegenseitig mehr zumuten. Nach dem Motto: die Kinder machen ihr Ding schon, die Lehrer auch. „Vertrauen zu haben, ist übrigens dann am wichtigsten, wenn die Kinder gerade nicht so einen tollen Lauf haben“, weiß Reinke. Und was auch immer hilft, sei Humor und mehr Leichtigkeit. „Weniger Druck daheim und zeitraubende Streitereien rund um Hausübungen & Co bedeuten nämlich auch, dass das Zuhause wieder mehr Ort des Rückzugs für alle sein kann“, sagt der Schulexperte. Beziehungen zwischen Eltern und Kindern seien schließlich Liebesbeziehungen. „Da haben Manipulation, Druckmittel und Strafen nichts zu suchen“.

Forum

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Insgesamt 0 Beiträge

Wir setzen Cookies auf dieser Website ein, um Zugriffe darauf zu analysieren, Ihre bevorzugten Einstellungen zu speichern und Ihre Nutzererfahrung zu optimieren. weitere Informationen

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close