Bildung

Zeugnispanik!

Mit dem Semesterende ist es wieder soweit: der Run auf die Gymnasien ist eröffnet und der Druck in der Volksschule steigt. Wohin geht es ab Herbst und sind lauter Einser wirklich ein Garant für die Gymnasiumreife?

 

Anfang Februar laufen in der Regel die Anmeldungen für Mittelschulen und Gymnasien und viele Eltern und Kinder stehen nun vor der Frage, wie es nach der Volksschule weitergeht. Für viele Familien ist das Warten auf das Semester-Zeugnis in der vierten Klasse ein wahrer Nervenkitzel. Ins Gymnasium werden schließlich nur jene Kinder aufgenommen, die im Zeugnis in Mathe, Deutsch und Lesen keine schlechtere Note als einen Zweier haben.

 

AHS oder Mittelschule?

Knapp 124.000 Schüler:innen besuchten im Vorjahr laut Statistik Austria die AHS-Unterstufe, womit ein neuerlicher Höchststand erreicht wurde. Im Zehnjahresvergleich ist damit ein Plus von 10,7 Prozent zu verzeichnen. An den Mittelschulen gehen die Zahlen hingegen tendenziell zurück: Im Vorjahr waren es knapp 206.000 Schüler:innen – ein Minus von 5,4 Prozent im Vergleich zu 2011/12, einschließlich der damals noch als Hauptschulen bezeichneten Mittelschulen. Vor allem in den Ballungszentren und im urbanen Raum wollen viele Kinder lieber ins Gymnasium als in die Mittelschule. Beziehungsweise wollen das vor allem die Eltern. Die hauptsächlichen Gründe dafür sind ein offenes Geheimnis: Viele Mittelschulen im städtischen Umfeld haben den Ruf einer „Restschule“. Die meisten Eltern fürchten, dass ihr Kind in der Mittelschule – mit vermehrt Klassen mit höherem Migrationsanteil – auf der Strecke bleibe. Für viele Väter und Mütter kommt daher einzig und allein das Gymnasium als weiterführende Schule in Frage – wenn’s sein muss, auf Biegen und Brechen. Denn mit der Zahl der Bewerber:innen steigt freilich vielerorts auch der Druck auf die Noten. Vorgezogen werden an vielen Gymnasien bekanntlich nicht nur Schüler:innen mit Geschwistern, die bereits an der Schule sind, sondern auch solche, die einen kurzen Schulweg haben. Und schließlich jene mit lauter Einsern. Dass bei den Wohnadressen immer wieder geschummelt wird, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass die Erwartungshaltung hinsichtlich der guten Noten gerade in bildungsorientierten Familien besonders hoch ist. Für viele Kinder hat das zur Folge, dass die Eltern ihre Anstrengungen hinsichtlich des Übens oft schon ab der dritten Klasse Volksschule intensivieren. Jede freie Minute wird dazu genutzt, um den Lernstoff aufzuarbeiten, zu erklären, zu wiederholen oder abzufragen. Nachhilfestunden bereits in der Volksschule sind dabei keine Seltenheit. Dass Schulen und Lehrer:innen wegen der Noten gehörig unter Druck geraten und deshalb mitunter besser beurteilen, soll immer wieder mal vorkommen.

 

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AHS-reif mit lauter Einsern?

Nicht umsonst kocht regelmäßig zum Semesterschluss nicht nur die Debatte hoch, inwiefern die Trennung der Kinder bereits nach vier Jahren sinnvoll erscheint (die allermeisten europäischen Länder haben eine Gesamtschule bis zum Ende der Unterstufe). Es wird mitunter auch darüber heftig debattiert, wie aussagekräftig das Volksschul-Zeugnis hinsichtlich des Sprungs auf das Gymnasium überhaupt ist und was die Noten von Neunjährigen tatsächlich über die AHS-Reife aussagen. Doris Zimmermann hat viele Jahre in Gymnasien in Wien und Wien Umgebung unterrichtet und schildert ihre Erfahrung dazu: „Die Noten sagten häufig nur wenig über die Fähigkeiten der Volksschulabgänger:innen aus. Vielmehr zeigten sie, welchen Druck die frühe Selektion auf die Eltern ausübt, die diesen an die Kinder weitergeben“. Man dürfe nicht außer acht lassen, dass sich die sogenannte Bildungsschicht grundsätzlich leichter damit tue, ihre Kinder zu fördern. Und das beginne schon in der Volksschule, wo teils schon viel Mitarbeit von daheim gefordert werde. „Viele Kinder aus bildungsaffinen Familien haben Teilzeit-Angestellte Elternteile, fast immer die Mütter, die zuhause Nachmittag für Nachmittag den Stoff für die Kinder aufbereiten und mit ihnen lernen“, weiß Zimmermann. Das seien dann vielfach die Einserkandidat:innen. Allerdings gäbe es unter den AHS-Anfänger:innen trotz der Einser vom Können her oft große Unterschiede. „Ich habe es immer wieder erlebt, dass Schüler:innen im Gymnasium gelandet sind, die besser in der Mittelschule aufgehoben gewesen wären und ganz sicher gab es immer wieder Kinder in der Mittelschule, die das Zeug für die AHS gehabt hätten“, sagt die ehemalige Lehrerin. Dass der Bildungsabschluss der Eltern die Schulwahl häufig beeinflusst und Bildungschancen in Österreich immer noch weitestgehend weiter vererbt werden, kann Zimmermann bestätigen: „Mein Eindruck war schon, dass in der Regel das Kind aus der Akademikerfamilie in die AHS geht und jenes von eingewanderten Arbeiter:innen in die Mittelschule“.

 

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Welche Schule passt für mein Kind?

Generell ist die Vorraussetzung für eine AHS, dass die Kinder im Jahreszeugnis der 4. Schulstufe der Volksschule in Deutsch, Lesen und Mathematik keine schlechtere Note als „Gut“ haben. So sieht es die Gesetzgebung vor. Bei einem „Befriedigend“ in einem oder mehreren Pflichtgegenständen kann die Schulkonferenz der Volksschule trotzdem die Eignung fürs Gymnasium aussprechen, wenn auf Grund der sonstigen Leistungen zu erwarten ist, dass Schüler:innen den Anforderungen entsprechen werden. Welche Eigenschaften ein Kind grundsätzlich braucht, um im Gymnasium zu bestehen, sei laut Expert:innen gar nicht so leicht zu beantworten. Weil es – gerade auch rückblickend betrachtet – ganz unter schiedliche Schüler:innen gäbe, die auf ihre eigene Art die AHS am Ende gut absolvieren. Doris Zimmermann dazu: „Meiner Erfahrung nach geht es jenen Kindern im Gymnasium besonders gut, die Neugier und Offenheit für möglichst viele verschiedene Bereiche mitbringen und bereit sind, Inhalte auch tiefergehend zu erarbeiten oder länger an einer Sache herum zu tüfteln, um zu einer Lösung zu kommen“. Freilich würden auch Konzentrationsfähigkeit und eine schnelle Auffassungsgabe dazu gehören ebenso wie Leistungsbereitschaft. Dass die Enttäuschung über schlechtere Noten gerade in leistungsorientierten Familien oft sehr groß ist, sei durchaus verständlich. Doch was die Schul- wahl betrifft sollte unbedingt Rücksicht auf das individuelle Leistungspotential des Kindes genommen werden. „Wenn das Kind ständig das Gefühl hat, um seinen Platz kämpfen zu müssen und seine Noten trotz großer Anstrengungen und vieler Hilfe nur knapp halten kann bzw. die Leistungs- ziele verfehlt, ist die AHS wahrscheinlich weniger geeignet“, meint Zimmermann. Statt Notendruck bräuchten Kinder laut Expert:innen vor allem das Vertrauen der Eltern, dass das Kind schon seinen Weg machen wird. Kritik und Beschämung seien jedenfalls fehl am Platz. Genauso wie das leidige Vergleichen mit den Mitschüler:innen. Eltern sollten den Fokus auf das eigene Kind legen und überlegen, wie es um die kognitiven Fähigkeiten wie Konzentrationsfähigkeit oder Gedächtnisleistung tatsächlich steht. Daraus könne man ableiten, was für das Kind zumutbar ist, wie es gefördert werden kann ohne es zu überfordern. Expert:innen empfehlen dabei: weg vom Leistungsdrill und Kontrollzwang, hin zur Anleitung zu eigenverantwortlichem Handeln. Dazu zähle zum Beispiel auch, das die Kinder sich das Lernen frühzeitig selber einteilen, um nicht erst einen Tag vor dem Test mit dem Büffeln anzufangen. Die Motivation zur Eigeninitiative nehme nicht nur Druck raus, sie fördere auch nachweislich die Freude und Neugierde am Lernen. Und das brauchen Kinder nach der Volksschule im Hinblick auf die vielen Lern-Jahre, die unabhängig vom Schultypus noch vor ihnen liegen, wohl am allermeisten.

 

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Tipps für Eltern: So motivieren Sie Ihre Kinder und entwickeln einen bestärkenden Umgang mit Schulnoten

Vorsicht vor Kritik und Vergleichen: 

Beschämung und Herabwürdigung sind fehl am Platz. Genauso der Vergleich mit Mitschüler:innen.

Eigenverantwortliches Handeln versus Kontrollzwang: 

Kinder sind erwiesenermaßen motivierter, wenn sie Zeitpläne fürs Üben und Lernen selber strukturieren.

Fokus auf das eigene Kind:

Das breite Spektrum an Leistungsfähigkeiten des eigenen Kindes unter die Lupe nehmen. Jemand, der nicht gut in Mathe ist, punktet vielleicht mit handwerklichen Begabungen und ist möglicherweise in einer Lehre gut aufgehoben.

Kinder stärken:

Mit verpatzten Schularbeiten verbaut man sich noch lange keinen Bildungsweg. In den Kindern nicht nur ständig das Schulkind sehen, dessen Noten von Bedeutung sind. Umso wichtiger sind Unternehmungen und Gespräche, bei denen Schule kein Thema ist.

Alternativen überlegen:

Eltern sollten ihre Erwartungen zurückschrauben und die eigene Bildungskarriere nicht auf die Kinder projizieren. Eltern und Kinder, die sich zuhause stundenlang mit Lernen quälen, sollten eine Schule in Betracht ziehen, von der ein leistungsschwächeres Kind stärker profitiert. Schauen, welche Schule mit ihren Schwerpunkten zum Kind und seinen Interessen und Stärken, aber auch Schwächen passen würde. Eine gut geführte Mittelschule ist noch lange keine Einbahnstraße.

Schluss mit Notendrill:

Eine Note mag zwar den aktuellen Leistungsstand des Kindes abbilden. Bildungsforscher sind sich jedoch einig: Über die Anstrengungen oder Mühen, die das Kind in der Schule an den Tag legt oder auch über die individuelle Entwicklung, die das Kind gemacht hat, sagt sie nichts aus.

Vertrauen in die Lehrkräfte:

Nach vier gemeinsamen Jahren kennen Volksschullehrer:innen die Kinder und ihre Leistungsfähigkeit wie kaum jemand sonst. Die Schule hat kein Interesse daran, dem Kind „etwas zu verbauen“.

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