Medien

Berlinale 2020: Die Gabe der Beobachtung

Die Kinder- und Jugenddokus der 70. Berlinale zeigen die Lebenswelten von ganz unterschiedlichen Mädchen und Buben aus aller Welt.

Es sind nicht nur zahlreiche spannende Lang- und Kurzspielfilme, die dem Publikum bei der Jubiläumsausgabe des Filmfestivals Berlin an den 11 Tagen der Bärenspiele gezeigt werden. Bei der heurigen Ausgabe des weltgrößten Publikumsfestivals drehen sich auch zahlreiche Dokumentarfilme aus aller Welt um die Lebenswelten von Kindern und Teenagern. Sie alle ermöglichen einen authentischen Blick auf jugendliche Lebenswelten – oder geben Erwachsenen einen Eindruck davon, wie Kinder die Welt wahrnehmen.

Der kindliche Blick

Eine der jüngsten Protagonistinnen, denen die Zuschauer auf der Leinwand folgen können, ist die dreijährige Zhana aus Bulgarien. In „Ochi mi Sini, Rokljata Sharena“ („Blau meine Augen, bunt das Kleid“) begleitet Regisseurin Polina Gumiela das aufgeweckte Mädchen einige Sommertage lang. Aufgeweckt und voller Lebensfreude erkundet Zhana ihre Umgebung und erlebt dabei viele Abenteuer: sie springt durch Pfützen, schaut den älteren Kindern bei deren Spielen zu, trifft auf Hunde und Katzen, die sie besonders faszinieren. In Zhanas Heimat, einer kleinen, friedlichen Wohnsiedlung, wirkt es, als ob die Zeit stehen geblieben scheint. Auf schlichte und zugleich auch poetische Weise zeigt der Film wie kleine Kinder die Welt wahrnehmen und dabei Details sehen, die uns Erwachsenen oftmals verborgen bleiben.

In „Ochi mi Sini, Rokljata Sharena“ erkundet Zhana ihre Umwelt.

Wenn die Heimat zerstört wird

Weit ernster geht es im Alltag von Perro aus Nicaragu zu, der im Mittelpunkt der deutschen Doku „Perro“ steht. Perros Heimat steht vor einer großen Veränderung, denn quer durch das Gebiet der indigenen Bevölkerung soll der knapp 300 Kilometer lange El Gran Canal gebaut werden, der den Atlantik mit dem Pazifik verbinden wird. Für mehr als 120.000 Menschen aus der Region im Süden Nicaraguas bedeutet dies eine Katastrophe: Sie müssen nämlich zwangsumgesiedelt werden und dem Kanal weichen. Auch Perro, seine Großmutter und seine ganze Dorfgemeinde sind davon bedroht, wenngleich sie es lange nicht wahrhaben möchten. Perro zieht also weiterhin mit seinen Kumpels durch den Dschungel, um zu fischen, Spaß zu haben und kümmert sich um die Tiere seiner kleinen Farm – bis er schließlich doch wegziehen muss und bei seiner Tante in der Stadt unterkommt. In eindringlichen und berührenden Bildern zeigt Regisseurin Lin Sternal welche massiven Auswirkungen der Verlust der Heimat und der gewohnten Umgebung für den Buben haben.

"Perros" thematisiert den Verlust von Heimat.

Im Kriegsalltag gefangen

Was es bedeutet, in einem Dorf zu leben in dem Krieg herrscht, zeigt der bewegende und beklemmende Dokumentarfilm „The Earth is Blue as an Orange“ aus der Ukraine. Vier Geschwister leben gemeinsam mit ihrer Mutter, der Katze und einer Schildkröte im ukrainischen Dorf Donbas, wo seit bereits fünf Jahren kein Friede einkehrt. Immer wieder fallen Bomben, es sind Schüsse zu hören und die Angst ist ständiger Begleiter. Um der Angst ein wenig entgegen zu wirken, dreht Myroslava, eines der Mädchen, einen Film, begleitet von der Kamera von Regisseurin Irina Tsylk, die ihrerseits die Arbeit Myroslavas dokumentarisch festhält. Myroslava möchte später einmal Kamerafrau werden – und sie möchte mit ihrer Familiendoku gegen das „schwarze Loch“ des Krieges ankämpfen, wie sie sagt. „The Earth is Blue as an Orange“ ist ein packender Film über die Sehnsucht nach Frieden und die Macht des Kinos geworden.

In „The Earth is Blue as an Orange“ gehört Krieg zum Alltag.

Ein kleiner Schmetterling

Auch „Petite fille“ ist eine der vielen herausragenden Dokumentarfilme, die 2020 in Berlin zu sehen sind. Gezeigt in der Panorama Schiene des Festivals begleitet der französische Film von Sébastien Lifshitz die kleine Sasha. Sasha ist ein ganz besonderes Kind, zumindest denken das viele Erwachsene, denn Sasha findet sich selbst ganz normal. Wenn Sasha einmal groß ist, sagt sie immer wieder, möchte sie ein Mädchen sein – denn biologisch gesehen ist Sasha ein Junger. Im Film sind nicht nur Interviews mit Sashas Eltern zu sehen, die ihren Sohn längst als Mädchen akzeptiert haben – der Regisseur begleitet Sasha auch in ihrem Alltag: filmt sie beim Ballettunterricht, beim Spielen, beim Besuch einer Therapeutin für Geschlechteridentitäten. Sehr persönlich, dabei aber immer höchst respektvoll, zeigt der Film mit wie viel Ablehnung und welchen Problemen Sasha und ihre Eltern zu kämpfen haben. Dabei wäre für Sasha alles eigentlich sehr klar: Sie möchte einfach so sein und so leben wie sie ist.

"Petite fille" begleitet das Transgender-Mädchen Sasha.

Forum

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Insgesamt 0 Beiträge

Wir setzen Cookies auf dieser Website ein, um Zugriffe darauf zu analysieren, Ihre bevorzugten Einstellungen zu speichern und Ihre Nutzererfahrung zu optimieren. weitere Informationen

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close