Medien

Berlinale 2020: Vom schönen Schein

"Favolacce", der italienische Wettbewerbsbeitrag der 70. Berlinale, wirft einen tiefschwarzen Blick auf eine Vorort-Scheinwelt. Hauptprotagonisten der packenden Erzählung sind die Kinder und Jugendlichen der Familien.

Kinder und Jugendliche spielen im heurigen Wettbewerb der Filmfestspiele von Berlin eine untergeordnete Rolle. Der italienische Beitrag „Favolacce“ („Bad Tales“) macht jedoch eine Ausnahme – und lässt Kinder die entscheidende Wende in dem packenden Gesellschaftsdrama herbeiführen. Es ist ein drückend heißer Sommer in der Reihenhaussiedlung am Rande Roms: die Luft flirrt, die Sonne strahlt vom Himmel und die Emotionen kochen hoch. Nach außen hin wirken die Häuschen vor den Toren der italienischen Metropole zwar schick, doch hinter den dicken Mauern brodelt es gewaltig. Denn die Familien, die hier leben, haben ihren Platz in der italienischen Gesellschaft nicht gefunden – sie wirken seltsam verloren, in der Siedlung herrscht eine permanente Stimmung der Beklommenheit und der Aggression, die schon demnächst, das spürt man von der ersten Filmminute an, eskalieren wird. Frustriert müssen die Bewohner feststellen, dass sich ihr Traum von einem Leben in der besseren Gesellschaft nicht erfüllt hat und sie immer noch nicht der bürgerlichen Mittelschicht angehören. Die Kinder der Familien schließlich sind es, die den Kollaps der Gemeinschaft endgültig herbeiführen.

Enttäuscht vom Leben

Den beiden Regisseuren Fabio und Damiano D’Innocenzo ist mit „Favolacce“ ein packendes Drama gelungen, das, gleichsam einem düsteren Märchen, von Frauen und Männern erzählt, die den schönen Schein nach außen hin wahren – in ihrem Inneren aber zutiefst unglücklich, ohne Perspektiven und enttäuscht vom Leben sind. Dabei trägt der mitreißende und dicht erzählte Film auch autobiographische Züge in sich, sind die Brüder D’Innocenzo doch in einem römischen Vorort aufgewachsen. Die Kinder und Jugendlichen spielen in dem tiefschwarzen Drama aus Italien dabei einen entscheidenden Part, denn sie sind es, die an der Oberfläche kratzen und tiefe Risse zum Vorschein kommen lassen. Herausragend: die jungen Darstellerinnen und Darsteller des Films, die allesamt eine beachtenswerte schauspielerische Leistung abliefern. „In unserem Film“, so die Regisseure bei der Pressekonferenz im Berlinale Pressezentrum des Hyatt Hotels, „geht es nicht unbedingt um die Peripherie Roms. Es geht um eine ganz universelle Geschichte, die überall anders auch spielen könnte. Es geht auch darum, wie wir als Kinder die Welt gesehen und sie wahrgenommen haben. Es ist aber kein Film in dem es um die Rache einer Generation an der Vorgänger-Generation geht. Im Gegenteil, denn die Kinder im Film sind unschuldige Wesen. Sie haben eine verhaltene Wut bei der es keine Hintergedanken gibt. Sie möchten nur aus diesem Leben, das ihre Eltern haben, ausbrechen und es nicht selber durchmachen müssen.“

Ein schwangeres Teenagermädchen ist im biederen Vorort ein Skandal.

Ein Zustand der Sprachlosigkeit

Den beiden jungen italienischen Filmemachern, die mit ihrem zweiten Spielfilm als Nachwuchshoffnungen des italienischen Kinos gelten, war wichtig zu zeigen, dass die Kinder noch nicht die Sprachlosigkeit der Eltern, die sich nichts mehr zu sagen haben, übernommen haben. Denn die Erwachsenen in „Favolacce“ sind nicht gerade Vorbilder: die Väter sind frauenfeindlich und gewalttätig, die Mütter wiederum desinteressiert und sprachlos. Woher kommt diese Härte und Brutalität? „Es ist einfach nur eine Beobachtung. Es ist das, was wir sehen, wenn wir auf der Straße unterwegs sind. Regisseure und Autoren versuchen immer das zu erzählen, was sie sehen – und das Ergebnis dessen, was wir wahrgenommen haben, ist dieser Film. Eine Kälte, ein Mangel an Sensibilität den Nächsten gegenüber“, so die Filmemacher. Für die harten und erbarmungslosen, teils an die Grenze des unerträglichen gehenden, Szenen des Films wurden die jungen Schauspieler speziell geschult. Die Regisseure betonen wie talentiert und professionell die Kinder mit der Thematik umgegangen sind. „Die Kinder müssen in dem Film ganz komplexe Dinge tun und es war uns wichtig, ihre Gesichter und ihre Augen dabei zu zeigen. Sie sind unheimlich stark und das zentrale Element des Films.“

 

Die Kinder wünschen sich ein Leben jenseits der Reihenhäuser.

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