Gesundheit

Eine Spritze gegen das Jucken

Jedes vierte Baby und Kleinkind und jeder 12. Jugendliche leidet unter Neurodermitis. Die chronische Hauterkrankung ist für sie sehr belastend. Eine neue Antikörpertherapie verhindert das Entstehen der schmerzhaften Entzündungen.

„Am Abend juckt es immer ganz stark. Da kann ich oft nicht einschlafen. Besser wird es erst, wenn mich Mama oder Papa eincremen.“ Der kleine Aron ist sieben Jahre als und leidet unter Neurodermitis. Oft kratzt er die juckenden Hautstellen so lange, bis sie bluten. Linderung bringt ihm das aber nicht, denn die verletzte Haut juckt dann nur noch stärker.

Die chronische Erkrankung stellt Aron und seine Familie vor große Herausforderungen. Denn Dinge, die normalerweise bei Kindern keine Probleme verursachen, können bei Aron heftige Reaktionen hervorrufen. Dazu zählt etwa die Wahl der Kleidung. „Wolle und die meisten Kunstfasern gehen gar nicht“, sagt Arons Mama Bettina. „Aron benötigt weiche Materialien, die auf der Haut nicht scheuern und keine rauhen Nähte haben.“ Die Kleidungsstücke müssen auch exakt sitzen. Sind sie zu groß, scheuern sie auf der Haut, zu enge Sachen lösen sofort Juckreiz aus. Bettina: „Als Aron noch klein war, habe ich ihm die passende Kleidung selbst genäht. Doch seit er in die Volksschule geht, will er natürlich auch die coolen Shirts und Jacken, die seine Klassenkameraden tragen. Die sind natürlich in den Stoffen, die er verträgt, nicht leicht zu finden.“ Ganz abgesehen davon, dass es sie auch kaum beim Diskonter gibt.

Unterschätzte Volkskrankheit

Neurodermitis ist die häufigste chronische Erkrankung überhaupt. Jedes 4. Baby oder Kleinkind ist davon betroffen, später leidet jeder 12. Jugendliche darunter. Peter Voitl, Kinderarzt in Wien: „Neurodermitis ist eine häufige Erkrankung. Der starke Juckreiz wird durch Entzündungen der Haut hervorgerufen. Bei Babys und Kleinkindern hilft nur regelmäßiges Eincremen mit passenden Pflegeprodukten.“ Das bedeutet für Eltern die dauerhafte Umsetzung eines umfangreichen täglichen Pflegerituals, denn bei jedem 3. der betroffenen Kinder nimmt die Erkrankung einen mittelschweren bis schweren Verlauf. Voitl: „Eltern erkennen bald, welche Auslöser für Krankheitsschübe sorgen. Die sollten so gut es geht vermieden werden.“ Kleine Kunstgriffe wie kurzgehaltene Fingernägel oder reizarme Kleidung und Bettwäsche sorgen hier für Erleichterung.

Der Juck-Kratz-Kreislauf: Trügerische Linderung. Das Kratzen der juckenden Haut verschafft nur für einen kurzen Moment Linderung. Langfristig fügt man der Haut nur noch mehr Verletzungen zu, die in der Folge zu weiteren Juckattacken führen.

Zwar sind die jeweiligen Auslöser für akute Neurodermitisschübe von Kind zu Kind unterschiedlich, aber es gibt Faktoren, die eine Verschlechterung provozieren können. Dazu gehören Reise von Außen, wie Hitze, Kälte, Pflegeprodukte mit Duft- und Konservierungsstoffen oder eine Haustierallergie. Von Innen kann die Haut durch bestimmte Nahrungsmittel gereizt werden, etwa den Genuss von zuviel Fruchtsäure. Sehr oft leiden an Neurodermitis Erkrankte auch an Nahrungsmittelallergien, allergischem Asthma oder allergischem Schnupfen.

Neurodermitis ist vererbbar

Die Krankheit trifft Kinder nicht zufällig. Sie ist vererbbar. Leidet ein Elternteil darunter, liegt das Erkrankungsrisiko für das Kind bei 20 bis 40 Prozent, leiden Mutter und Vater darunter, steigt es auf 60 bis 80 Prozent. In Arons Familie leidet auch Vater Georg unter Neurodermitis. Arons ältere Schwester Sophie hatte Glück, sie ist von der Krankheit nicht betroffen.

Auch die Psyche leidet

Der ständige Juckreiz sorgt bei Kindern für Schlafmangel. Das führt in Folge zu Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und steigenden Fehltagen in der Schule. Dazu kommt eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung. Wegen der für die Umwelt sichtbaren Hautveränderungen kann es sein, dass betroffene Kinder gehänselt oder gar gemobbt werden und sich daher immer mehr zurückziehen. Darunter leiden dann oft die sozialen Kontakte der ganzen Familie. Bettina: „Aron spielt am liebsten alleine in seinem Zimmer. Wenn seine Haut besonders stark gerötet ist, will er gar nicht in die Schule gehen, weil ihn die anderen Kinder deswegen aufziehen.“

Neue Behandlungsmethoden

Helfen bei leichter und mittelschwerer Neurodermitis, von der die Mehrheit der jungen Patienten betroffen ist, noch äußerlich aufgetragene Heilmittel, bedarf es bei schwerem Krankheitsverlauf systemischer Therapien. Neben dem seit längerer Zeit eingesetzten Mitteln Kortison und Immunsuppressiva wie Ciclosporin gibt es mit Biologika seit November 2020 eine neue Methode, die in der Lage ist, gezielt in die Entzündungsprozesse bei Neurodermitis einzugreifen und so nicht nur die Symptome zu lindern, sondern direkt die Ursache der Erkrankung einzudämmen. Dabei blockiert ein sogenannter monoklonaler Antikörper, ein künstlich hergestellter Eiweißkörper, jene Rezeptoren, die in der Haut der Patienten jene Entzündungsreaktion hervorrufen, die zu dem oft unerträglichen Juckreiz führt. Die Entzündung findet also erst gar nicht statt.

Bei Neurodermitis ist die Funktion der Hautbarriere beeinträchtigt. Fremdstoffe können eindringen und Entzündungen hervorrufen. Zudem ist das Immunsystem überaktiv und bestimmte Immunzellen produzieren vermehrt Entzündungsbotenstoffe (z.B. IL-4 und IL-13), die an ihre Rezeptoren auf unterschiedlichen Zellen der Haut binden und Entzündungsreaktionen auslösen. Monoklonale Antikörper verhindern, dass die Botenstoffe an den Rezeptoren andocken können und unterbinden so die Entzündung.

Regelmäßige Injektionen

Anstelle des täglichen Eincremens gibt es künftig für Kindern ab 6 Jahren regelmäßige Injektionen, bei denen die Antikörper in den Körper der jungen Patienten gespritzt wird. Diese gehen dann selbständig auf die Suche nach den Rezeptoren, welche die Entzündung auslösen und machen sie funktionslos. Das bedeutet eine große Erleichterung von alle Betroffenen und deren Eltern. Einerseits entfallen die oft starken Nebenwirkungen, die beim Einsatz von Kortison auftreten, andererseits entspannt sich der Alltag, da die Hautpflege einfacher gestaltet werden kann. Bei Kindern unter einem Körpergewicht von 60 Kilogramm ist alle vier Wochen eine Injektion mit Antikörpern nowendig, bei Kindern und Jugendlichen über 60 Kilogramm muss diese alle zwei Wochen erfolgen. Die Injektion werden durch die Eltern verabreicht. Die Fertigspritzen müssen für die Kinder unzugänglich im Eiskasten aufbewahrt werden. Eltern sollten ihre Kinder darüber informieren, dass an der Injektionsstelle Rötungen und Jucken auftreten kann und darauf achten, ob Nebenwirkungen auftreten. Aron freut sich jedenfalls schon auf die neue Therapie. „Eine Spritze pro Monat ist gar nicht schlimm. Ich freu mich schon, wenn meine Haut nicht mehr ständig juckt“. Eines ist klar: Aron will das Juckmonster so schnell wie möglich besiegen.

 

„Eltern erkennen bald, welche Auslöser Krankheitsschübe verursachen.“
DDr. Peter Voitl
Kinderarzt in Wien,
www.kinderarzt.at

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