Bildung

Fleißig, angepasst, erfolgreich. Und glücklich?

Die Hochleistungsgesellschaft verlangt von den Kids und auch den Eltern daheim immer mehr Leistungsbereitschaft. Unsere Kinder sollen immer höhere Abschlüsse machen und schon im frühen Kindesalter high performen. Welche Folgen hat das und was können wir tun, um die Kids vor Überforderung zu schützen?

Ist mein Kind gut genug? Sind die anderen Kinder besser und müssen wir deshalb noch mehr an ihm und mit ihm arbeiten? Vergeuden wir die Potenziale und Talente, wenn unser Kind diesen oder jenen Kurs auslässt? Wird aus meinem Kind überhaupt einmal etwas Gescheites werden? Getrieben von Fragen wie diesen werden in vielen Elternhäusern schon kleine
Kinder möglichst früh gefördert. Mit einem Ziel: maximal leistungsfähig zu sein. „Wir leben in einer Optimierungskultur, welche Überleistung
zu einem gesellschaftlichen Mandat macht“, schreibt Margrit Stamm in ihrem neuen Buch „Angepasst, strebsam, unglücklich“. Mit den Überleistern meint die renommierte Schweizer Erziehungswissenschaftlerin Kinder, die permanent mehr leisten, als man von ihnen erwarten dürfte. In der Regel seien es durchaus erfolgreiche Kids, die ihre Erfolge jedoch nicht in erster
Linie wegen ihrer herausragenden kognitiven Fähigkeiten bzw. ihrer Intelligenz erzielen, sondern durch viel Fleiß und rege Elternunterstützung. Mit mitunter fatalen Folgen: mangelnde Lernfreude, vermehrte Selbstzweifel, geringe Frustrationstoleranz, psychische Beeinträchtigungen, permanente Überforderung.

Überleister stehen unter Dauerstrom
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Gute Leistungen und Optimierung per se sind für eine erfolgreiche Schullaufbahn der Kinder wichtig und nicht umsonst zentrales Thema vieler Kulturen. Problematisch werde es laut Margrit Stamm, wenn das Leistungsdenken zum Hauptmerkmal von Schule und Elternhaus wird und der damit verbundene Druck daheim Überhand gewinnt. Zu hohe Erwartungen sowie Optimierungszwang können nämlich auf Dauer zu emotionalen Belastungen führen und die Beziehungen innerhalb der Familie gefährden. Der hohe Stresslevel ist hochleistenden Kindern oft auf den ersten Blick gar nicht anzusehen. Wirken sie meistens doch erstaunlich angepasst und enorm fleißig. „Manche dieser Kinder wollen vor allem das Image aufrecht erhalten, dass Schule und Eltern ihnen überstülpen“, weiß Margrit Stamm. Die Wahrheit sei vielmehr: Überleister sind oft am Limit und stehen unter Dauerstrom. „Die Überleisterkultur beeinflusst das gesamte Bildungssystem und trägt generell dazu bei, dass junge Menschen in Wege gedrängt werden, die mit Angst vor Misserfolgen und Nichtgenügen gepflastert sind“, sagt Pädagogikforscherin Stamm. Unverplante Freizeit und Möglichkeiten zur Selbstbestimmung würden dabei einfach beiseite geschubst. Das Selbstvertrauen der Kinder bleibe auf der Strecke.

Woher diese Maximierer-Haltung kommt?
Jedes Kind ist einzigartig. Ja eh. Allerdings Einzigartigkeit im Sinne von Einmaligkeit. Diese Einmaligkeit werde laut Stamm jedoch häufig mit einem „unrealistischen Speziellsein“ verwechselt. Was sie damit meint? In einer Zeit, in der Selbstoptimierung großgeschrieben wird, schier jeder Mensch alle Chancen der Welt zu haben scheint bei gleichzeitigem Wertverlust von Bildungsabschlüssen, scheint es immer schwieriger zu werden, schlichtweg normal zu sein. Durchschnittlichkeit ist out, Speziellsein in. Beim Speziellsein gehe es laut Margrit Stamm darum, Bestnoten zu erzielen, ungeachtet der damit verbundenen Anstrengungen und den psychischen Beeinträchtigungen, die der ständige Performance-Druck hervorrufe. Abzulesen sei dies dann nicht selten daran, dass der Wert des Kindes an seinen Leistungsergebnissen bemessen wird, weshalb schlechte Schul- oder auch Sportleistungen wiederum als Elternversagen gelten. Kaum wer möchte sich am Ende vorwerfen lassen, irgendein Talent übersehen, dem Kind musische oder sportliche Förderung vorenthalten zu haben oder schlichtweg bei den Hausaufgaben zu wenig dahinter gewesen zu sein. Eine gewisse Bildungspanik und teils zwanghafte Kontrollmechanismen seitens der Eltern spiegeln oft nichts anderes als jene Angst wider, dass aus dem Kind nichts Rechtes wird. Gymnasium, Matura und Studium sind – vor allem in bildungsnahen und gut situierten Familien – quasi Pflichtprogramm. Ganz egal, ob die Kinder dafür geeignet sind oder nicht. Bildungsexperten gehen davon aus, dass mindestens 30 Prozent der GymnasiastInnen Überleister sind, also Kinder, die eigentlich nicht dorthin gehören. Bekannt sind Überleister auch in Sport und Musik. Und auch jenseits des Gymnasiums finden sich Kinder, etwa Langsamlerner mit deutlichen Leistungsschwächen, verspielte, verträumte oder schlichtweg kreativ oder handwerklich begabte Kinder, deren Eltern dennoch mit allen Mitteln auf bestimmte, für die Kinder weniger geeignete Schullaufbahnen pochen.

Raus aus der Eskalationsspirale – aber wie?
Selbst bei den Freizeitaktivitäten dominiert oft der Wunsch der Eltern, aus einem normalen ein aussergewöhnliches Kind zu machen. Die Freude am reinen Spiel beim Fußball oder am künstlerischen Vergnügen beim Gitarrespielen ist hingegen zweitrangig. Dabei sind Spielen und Vergnügen gute Stichwörter, wenn es darum ginge, dem allgemeinen Mandat der Überleistung entgegenzusteuern. Die Wissenschaft warnt etwa schon lange davor, dass bei allem Fördern, Üben und Optimieren viel zu wenig Zeit für das freie Spiel bleibt. Reines Spielen passt oft gar nicht mehr in die vollen Terminkalender oder zur Laufbahnplanung der Sprösslinge. Dabei ist laut Bildungsforschern gerade das freie Spiel ein entscheidender Motor in der kindlichen Entwicklung und mit seinem Zustand völliger Konzentration, Ausgeglichenheit, Neugierde und Begeisterung auch von essentiellem Wert für die Schule. „Das freie Spiel umfasst alle Aktivitäten, die von Kindern selbst initiiert werden, intrinsisch motiviert, zweckfrei erfolgen und persönlich gesteuert sind“, betont auch Margrit Stamm. Jeder, der schon einmal ein Kind dabei beobachtet hat, wie es völlig versunken und losgelöst von den alltäglichen Aufgaben am Spielen ist, weiß, was gemeint ist. Überhaupt sollten Eltern und auch Lehrkräfte laut Margrit Stamm wieder verstärkt das authentische Kind und seine Rechte im Auge haben. Jedes Kind habe demnach ein Recht auf Durchschnittlichkeit und darauf, scheitern zu dürfen. Außerdem das Recht auf den heutigen Tag. „Dieses Recht basiert auf der Forderung, dass Bildung und Erziehung die Gegenwart, in der das Kind lebt, ernster nehmen und nicht immer nur die Zukunft im Blick haben“, erklärt Stamm. Kindheit findet schließlich im Hier und Jetzt statt. Aktuelle Lernprozesse seien wichtiger als das vermeintliche Ziel. Genau deshalb sollten Kinder mit Rücksicht auf ihre Individualität so gebildet und gefördert werden, dass sie sich ihrem Potenzial und ihrem Temperament im Hier und Jetzt entsprechend entfalten können. Abseits vom ständigen Diagnostizieren, Bewerten und Bemessen.

So stärken Eltern und Schule Lebenskompetenzen für eine optimale Potenzialentfaltung der Kids

Emotionale Stabilität vermitteln mit der Überzeugung, dass das Leben einen Sinn hat und aus einer Schwäche eine Stärke entwachsen kann – Stichwort Urvertrauen.

Autonomie fördern, indem Kindern Zeit für Problemlösungen gegeben wird, ohne dass Eltern ständig eingreifen.

Selbstvertrauen stärken: Eltern zu sein heißt, loslassen zu können. Den Glauben der Kinder an sich selbst stärken, statt von ihnen einzufordern, immer besser zu werden.

Hartnäckigkeit erarbeiten, um an etwas dran zu bleiben, statt mutlos aufzugeben; wer ständig Misserfolge fürchtet, ist weniger hartnäckig und gibt schneller auf.

Begeisterungsfähigkeit erhalten: Kinder darin ermutigen, was sie wirklich gerne tun. Eltern oder Lehrkräfte wissen nicht immer, was das Beste fürs Kind ist

Selbstwirksamkeit zulassen: Dem Kind vermitteln, dass es Herausforderungen alleine bewältigen kann und nicht an sich zweifeln muss.

Frustrationstoleranz lernen, indem Kinder mit Niederlagen umzugehen wissen.

Keine psychologischen Kontrollstrafen! Auf abwertende Bemerkungen verzichten, ebenso wie auf Liebesentzug als Strafe (Liebesentzug gilt als schärfste Form der Strafe und ist mindestens so schlimm wie Körperstrafe!).

Du bist richtig, wie du bist! Akzeptieren, dass Noten nicht das gleiche sind wie Fähigkeiten.

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