Bildung

Legasthenie: „Kein Kind macht absichtlich Fehler“

Sie sind weder krank noch dumm oder faul, sie brauchen auch keinen „Sonderstatus“ in der Klasse, sondern Lernmaterial und Unterrichtsformen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Legasthenie-Expertin und Trainerin Doris Lackner im Interview.

Gibt es einen oder mehrere offizielle Gründe, warum Legasthenie auftritt?
Nein, die Ursachen einer Legasthenie sind bis heute nicht restlos geklärt. Sie kann auch genetisch und neurologisch bedingt sein. Weiters gelten Störungen der auditiven und visuellen Wahrnehmung, der Sprachentwicklung und der phonologischen Informationsverarbeitung als mögliche Ursachen einer Legasthenie. Bei ungefähr 50 Prozent der Kinder mit einer Sprachentwicklungsverzögerung tritt später eine Legasthenie auf, bei etwa zwei Drittel der Kinder, die später eine Lese-Rechtschreibstörung entwickeln, zeigen sich bereits im Vorschulalter Schwächen in der phonologischen Bewusstheit. Aber das Wichtigste für Eltern und für die Kinder ist die Erkenntnis: Niemand hat etwas falsch gemacht, niemand ist „schuld“ daran.
„Jetzt konzentriere dich doch endlich …“ Das wird den Kindern oft eingetrichtert – der falsche Motivationsansatz?
Ja, denn: Legasthene Kinder konzentrieren sich. Sie müssen sogar auf einem sehr hohen Konzentrationsniveau arbeiten, um ihre Teilleistungsschwächen auszugleichen. Aber dieses hohe Niveau halten sie nur für eine kurze Zeit durch, dann bricht die Konzentration zusammen. Daher kann es sein, dass zu Beginn eines Aufsatzes, der Ansage noch sehr wenige Fehler sind, die dann gegen Ende immer mehr werden. Und es kommt immer wieder vor, dass Kinder zu Hause alles können, es dann aber in der Schule nicht umsetzen können. Das ist aber nicht verwunderlich: Zu Hause herrschen andere Bedingungen. Daher sollte man sich hier in erste Linie darüber freuen, dass das Kind sehr wohl das Gelernte beherrscht. Um es dann auch in der Schule umsetzen zu können, gilt es, die Aufmerksamkeit besser zu fokussieren und mit Stresssituationen besser umgehen zu lernen, denn die führen leicht zu Blockaden, und dann geht gar nichts mehr – das typische „Blackout“ bei Prüfungen entsteht. Übungen zur Stressreduktion und zur Verbesserung der Zusammenarbeit beider Gehirnhälften können hier helfen. Beispielsweise Mentaltraining, Yoga oder die sogenannten Brain-Gym-Übungen, die ich auch einsetze.

Welche Aktivitäten sind im Alltag fördernd und gleichzeitig auch motivierend für das Kind?
Eltern sollten aus meiner Sicht vor allem die Vorläuferfähigkeiten spielerisch mit den Kindern trainieren. Im gemeinsamen Spielen und Tun steckt die beste Förderung. Etwa ein Memory, bei dem gleichzeitig schwierige Wörter geübt werden, ein gemeinsamer Waldausflug, der die Basissinne simuliert (Gleichgewichtssinn, taktil-kinästhetische Wahrnehmung), aber auch gemeinsam einen Kuchen backen. Da steckt viel drinnen: das Rezept lesen (Leseübung), die Einkaufsliste schreiben (Rechtschreibübung), einkaufen gehen (planvolles Handeln), den Einkauf bezahlen (Rechenaufgabe), die Zutaten abwiegen (Umgang mit Mengen und Größen), den Teig kneten (Motorik) und den Tisch decken (Eins-zu-eins-Zuordnung).

Wie kann man sein Kind auch seelisch stärken und ermutigen?
Ganz wichtig ist, dass sich die Kinder verstanden fühlen. Sie sind weder dumm noch faul, das heißt, sie müssen in ihrem Selbstwert und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Auch hier helfen Übungen aus dem Mentaltraining oder Yoga. Eine ganz einfache Übung wäre zum Beispiel der „Berg“: ein fester Stand, verbunden mit der Vorstellung, fest in der Erde verwurzelt zu sein, und dazu eine Affirmation wie z. B.: „Fest und stabil stehe ich da, nichts kann mich umwerfen.“ Oder der „Baum“ als wunderbare Gleichgewichtsübung: „Stehe still im Gleichgewicht, zähl bis zehn und rühre mich nicht.“ Auf keinen Fall dürfen die Kinder auf ihre schulischen Leistungen reduziert werden und natürlich sind Vergleiche mit den Geschwistern kontraproduktiv.

Welche Tipps geben Sie Eltern zu Beginn, wenn sie zu Ihnen in die Praxis kommen?
Ich versuche zu beruhigen und zu vermitteln, dass es wichtig ist, zu akzeptieren, dass das Kind vielleicht eine geringere Konzentrationsspanne hat, mehr Pausen oder andere Hilfsmittel benötigt, die ihm helfen, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Außerdem ist der emotionale Ausgleich sehr wichtig – das Kind braucht genügend Zeit für freies Spiel und andere Hobbys. Und natürlich sind Fördertraining, Bewegung, Zeit in der Natur und der regelmäßige Kontakt zum Lehrer sinnvoll.

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