Bildung

Reif für die Schule?

Im Jänner finden alljährlich die Schuleinschreibungen statt und viele Eltern erfahren, ob ihr Kind schulreif ist oder nicht. Was versteht man eigentlich unter Schulreife? Wie bereitet man Kinder auf die Schuleinschreibungen und die Schule vor? Und für welche Kinder eignet sich die Vorschule?

Ob ein Kind im September in die erste Klasse oder in die Vorschule kommt, wird bei der Schuleinschreibung entschieden, die üblicherweise ab Jänner in der jeweiligen Volksschule stattfindet. Das schulpflichtige Kind ist gesetzlich dazu verpflichtet, sich bei der Schulleitung vorzustellen und eine Art Aufnahmetest zu absolvieren. Auch wenn inzwischen vielfach der Begriff Schulfähigkeit statt Schulreife verwendet wird – es geht stets um die Frage: „Hat ein Kind die erforderliche Reife für den Schuleintritt erreicht oder braucht das Kind in seiner Kompetenzentfaltung noch mehr Zeit?“ Manche Schulen haben für sich ein Konzept entwickelt, wo man im Rahmen eines Spielnachmittages genauer auf die Kinder schaut, um mögliche Kompetenzen zu entdecken. In vielen Schulen stellen die Kinder ihre Portfolio-Mappe vor, die sie im Kindergarten führen, woraus sich Stärken der Kinder ablesen lassen. Andere ermitteln im Rahmen standardisierter Testverfahren, ob ein Kind schulreif ist oder nicht. Schulreif oder schulfähig heißt jedenfalls, dass ein Kind die kognitive, körperliche, emotionale und sprachliche Reife besitzt, um dem Unterricht in der Schule zu folgen, ohne dass es überfordert ist. Zu den kognitiven Fähigkeiten zählen zum Beispiel ein bestimmtes Mengen-, Zahlen- sowie Lauteverständnis und gewisse Aufmerksamkeitsfähigkeit.
Bei der körperlichen Reife unterscheidet man zwischen grob- und fein- motorischen Kompetenzen – Bewegungsfertigkeiten allgemein sowie Strich- oder Stiftführung. Als sozial reif gilt ein Kind dann, wenn es fähig ist, etwa mit einer neuen Gruppe in Kontakt zu treten oder Konflikte verbal zu lösen. Die Sprachkompetenz zielt auf das Sprachverständnis und
die Ausdrucksfähigkeit ab. Im Rahmen der Schülereinschreibung werden die Kinder auch hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisse überprüft. Reichen diese Kenntnisse nicht aus, um dem Unterricht in der Unterrichtssprache Deutsch zu folgen, werden die Kinder als außerordentliche SchülerInnen aufgenommen und erhalten gezielte Sprachförderung durch qualifizierte Pädagoginnen.

An vielen Schulen dürfen die Kinder bei der Einschreibung ihre Portfolio-Mappe aus dem Kindergarten vorstellen, woraus sich Stärken des Kindes ablesen lassen.

Vorschule: kein Stigma, sondern eine Zeit des Reifens
Wird ein Kind von der Schulleitung als nicht schulreif eingestuft, geht es nicht zurück in den Kindergarten, sondern in die Vorschule. Vorschulklassen sind in den Volksschulen entweder separat geführt oder integrativ in der ersten Klasse. In Zweifelsfällen findet eine ausführliche Beratung mit den Eltern statt, damit möglichst eine gemeinsame Entscheidung zum Wohle des Kindes getroffen werden kann. Kinder, die nicht eindeutig schulreif sind, werden oft ganz normal in die erste Klasse eingeschult. Nach einem Beobachtungszeitraum von einigen Wochen wird eine Entscheidung getroffen, ob das Kind nach dem Vorschullehrplan oder dem Lehrplan der ersten Klasse unterrichtet wird. Dieser Beobachtungszeitraum kann fallweise auch länger dauern. Für manche Eltern bedeutet Vorschule eine gewisse Stigmatisierung. Dabei täten Eltern laut EntwicklungspädagogInnen gut daran, die Vorschule als eine Art Geschenk zu betrachten, nämlich dem Kind noch ein „ Jahr des Reifens“ zu ermöglichen. Schließlich entwickeln sich alle Kinder unterschiedlich. Nicht alle können die erforderlichen Fertigkeiten zum festge- setzten Zeitpunkt.

Schulfähigkeit: Defizite bereits im Kindergarten erkennen
„Erfahrungsgemäß ist die Mehrzahl der Kinder im letzten Kindergartenjahr in ihrer Entwicklung am besten Weg“, weiß Alexandra Fischer, Geschäftsführerin bei den Wiener Kinderfreunden. Außerdem sei das letzte Jahr im Kindergarten vor der Schule nicht umsonst verpflichtend. „KindergartenpädagogInnen beobachten die Kinder im Alltag genau und ermitteln mit Hilfe von Ziel- und Kompetenzchecks, wo ein Kind etwa mit fünf oder sechs Jahren in seiner Entwicklung steht. Wobei tatsächliche Entwicklungsverzögerungen bereits vor dem letzten Kindergartenjahr in der Regel gut erkannt werden“, sagt Fischer. Darauf könne bestmöglich reagiert werden, zum Beispiel durch spielerische Anregungen für weniger ausgeprägte Fertigkeiten, um das Kind gezielt in diesem Entwicklungsschritt zu unter- stützen. Dabei sei auch die Zusammenarbeit mit den Eltern essentiell. „In den jährlichen, verpflichtenden Entwicklungsgesprächen wird den Eltern von den Stärken und Potenzialen ihrer Kinder berichtet. Wir weisen auf die Lernfelder des Kindes hin und laden die Eltern ein, sich immer wieder mit den Pädagog:innen auszutauschen, um gemeinsam für das Kind pädagogische Möglichkeiten ebenso für zu Hause zu schaffen, damit diese Entwicklungs- schritte spielerisch gelingen“, sagt Fischer. Wichtig dabei sei, den Kindern immer ausreichend Zeit für ihre ganz individuelle Reifung zu geben. Der Zeitpunkt der Einschreibungen im Jänner sei laut Alexandra Fischer zwar grundsätzlich etwas früh angesetzt, weil die Kinder in diesem Alter bis zum Ende des Sommers meist „gewaltige Entwicklungssprünge“ machen. „Andersherum werden im Jänner festgestellte, massive Defizite bis Herbst eher schwer aufgeholt. Solche Lern- bzw. Entwicklungsverzögerungen fallen zu diesem Zeitpunkt nicht das erste Mal auf – die Eltern sind darüber also bereits in Kenntnis gesetzt“, meint Fischer. Besonders im Hinblick auf die mehrsprachliche Entwicklung würden Kinder ausreichend Zeit benötigen, ihre Erstsprache gut auszubilden, damit sie auch die Bildungssprache Deutsch gut lernen können. Reichen die im Rahmen der Schülereinschreibung überprüften Deutschkenntnisse der Kinder nicht aus, um dem Unterricht zu folgen, werden die Kinder als außerordentliche SchülerInnen aufgenommen und erhalten gezielte Sprachförderung durch qualifizierte Pädagoginnen.

Im Kindergarten werden Enwicklungsverzögerungen in der Regel bereits vor dem letzten Kindergartenjahr gut erkannt und es kann gut darauf reagiert werden.

Schuleintritt: Hilfe, was muss mein Kind alles können?
„Mit der Schule beginnt nicht der Ernst des Lebens. Die Kinder sollen Lust auf die Schule haben“, betont Lukas Leithner von der schulpsychologischen Beratungsstelle Wien. Insofern rät der Bildungsberater vom panischen Vorpauken von Buchstaben, Zahlen oder fremdsprachigem Vokabular ab – auch wenn zahlreiche Eltern-Foren und Ratgeber behaupten, die Kinder müssten am besten schon lückenlos das ABC oder die Zahlen bis hundert aufsagen. „Es muss vorab kein Wissen für die Schule antrainiert werden. Kinder wollen von sich aus alles wissen, daher empfehle ich, mit den Kindern gemeinsam zu forschen, neugierig zu sein und Fragen zu beantworten. Vorlesen, Gesellschaftsspiele, Backen, Gemüse und Obst ernten, Theater spielen – all das macht Freude und Kinder erwerben jene Vorläuferkompetenzen, die für jeden weiteren Kompetenzerwerb wichtig sind“, versichert Alexandra Fischer.

Von simulierten Testsituationen rät die Pädagogin ab. Sinnvolles Fördern könne hingegen so ausschauen: Rituale wie Abläufe von Waschen, Zähne putzen, Pyjama anziehen oder Geschichte erzählen, verlässlich einhalten. Die Kinder klare Strukturen erleben lassen, Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Kinder stärken, indem man sie im Alltag Aufgaben übernehmen lässt. Zum Beispiel beim Einkaufen helfen, Müll trennen, selbstständiges An- und Ausziehen oder Schulweg üben. Was gerne übersehen wird, aber essentiell für die künftige Klassengemeinschaft sei: Das Vorleben von sozialen Umgangsformen wie Rücksichtnahme oder Mitgefühl sowie der konstruktive Umgang mit negativen Gefühlen wie Frust oder Wut, indem Eltern etwa mit den Kindern darüber reden. „Viel mit den Kindern reden ist generell wichtig, und die Kinder reden lassen, sich Zeit nehmen und gut zuhören“, empfiehlt Fischer.
Wichtig sei es ebenfalls, positiv über die Schule zu sprechen, um eine positive Einstellung gegenüber der Institution Schule zu bekommen. Faustregel für besorgte Eltern: eigene (Schul)Ängste, (negative) Erfahrungen und Vorurteile hintenanstellen. Letztendlich sei ein stabiles Selbstvertrauen das Fundament für alles, was mit der Schule und später im Leben kommt.Daher noch ein wichtiger Merksatz für alle Eltern: Kinder sollen das Gefühl haben – ich bin OK, wie ich bin, auch wenn ich was nicht gleich schaffe.

Reif oder nicht reif

+ Bei der Einschreibung im Jänner werden alle Formalia erledigt, das Kind stellt sich persönlich in der Schule vor und es erfolgt die Schulreifefeststellung mittels Aufnahmegesprächs.

+ Bei mangelnder Schulreife kommt das Kind in die Vorschule – entweder in eine eigene Vorschulklasse oder integriert in die erste Klasse.

+ Frühzeitige Einschulung: Eltern haben die Möglichkeit, ihr Kind vor dem 6. Lebensjahr einschulen zu lassen. Die notwendigen Schritte dazu können bei der Schulleitung erfragt werden. Eltern sollten in diesen Fällen besonders die soziale Reife des Kinder im Auge haben, um hier eine Überforderung zu vermeiden.

+ Flexible Schuleingangsphasen ermöglichen in den ersten drei Schuljahren einen Wechsel der Schulstufe, um Unter- oder Überforderung zu vermeiden. Somit können etwaige Rückstände zum Beispiel auch bei Sommerkindern, die kurz vor dem 1. September sechs werden, kompensiert werden. Je nach Entwicklungsstufe des Kindes kann es runter oder rauf gestuft werden.

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