Erziehung

„Trösten heißt Gefühle zu begleiten“

Die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Gundula Göbel erzählt, wie Trost spenden gut gelingen kann und warum Kinder durch angemessenes Trösten niemals verweichlicht oder verwöhnt werden.

In welchen Fällen brauchen Kinder denn unbedingt Trost?
Gundula Göbel: Immer dann, wenn sie sich nicht wohl fühlen, wenn sie aufgewühlt sind, wenn sie nicht schlafen können, wenn sie beschämt oder entwertet werden. Freilich dann, wenn sie weinen oder Schmerzen haben. Kinder brauchen auch bei Stress Trost, denn je kleiner sie sind, umso weniger können sie ihre Gefühle selbst regulieren.

Inwiefern unterscheidet man beim Trösten denn nach Altersphasen? Was brauchen etwa Babys im Unterschied zu Kleinkindern?
Göbel: Kleinkinder brauchen etwa keine gut gemeinten Erklärungen, warum etwas so oder so ist – das kann ihre unreife Hirnstruktur gar nicht aufnehmen. Sie brauchen also Trost von einer vertrauten Bezugsperson, damit sie ihre Gefühle ausdrücken können. Eine nahestehende Person also, die diese Gefühle angemessen begleitet. Säuglinge sind von der Koregulation ihrer Bindungsperson abhängig. Schreit das Baby, braucht es unbedingt körperliche Nähe als Trost, sei es durch Berührung, sei es durch Wiegen oder Worte. Lässt man schreiende Babys alleine, gerät der Säugling in eine extreme Angstsituation, in der große Mengen an Stresshormonen freigesetzt werden. Die Babys hören zwar irgendwann mit dem Schreien auf, und jeder glaubt, alles ist gut. Dabei ist das Aufhören ein Aufgeben – nichts anderes also als ein Akt der Verzweiflung. Mit seinem Kummer alleine gelassen zu werden, ist eine äußerst schmerzliche Erfahrung, die Kinder mit ins Leben nehmen. Denn so, wie wir getröstet werden, gehen wir durchs Leben. Im Übrigen schreit oder weint kein Kind, weil es uns nerven will, sondern weil es signalisiert, dass Bedürfnisse gestillt werden wollen.

Manche Eltern haben Angst, sie könnten ihre Kinder durchs Trösten zu sehr verwöhnen.
Göbel: Ja, ich kenne diese Befürchtung, Kinder würden aufgrund von zu viel Trost allzu wehleidig werden. Das ist aber gar nicht möglich, wenn mitfühlend getröstet wird. Wehleidigkeit gibt es eher bei Kindern, die von Erwachsenen „getröstet“ wurden, die in der Situation emotional nicht beim Kind sind oder weil sie die Gefühle ihrer Kinder als ihre eigenen erleben.

Beim Trösten geht es ums Ermutigen, Zuhören und weniger um Lösungen.

Gundula Göbel, Buchautorin und Kinderpsychotherapeutin

Zitatzeichen

Was sagt diese Sorge vor „Verweichlichung“ über unsere Gesellschaft, in der Schwäche scheinbar keinen Platz hat?
Göbel: Das hat viel mit früheren Erziehungspraktiken und Leistungswahn zu tun, die teilweise aus Kriegs- bzw. Nazizeiten herrühren. So war eine gute Bindung früher etwa gar nicht gewünscht. Man glaubte, Kinder vom ersten Lebenstag an dazu zu erziehen, auf die „Härte des Lebens“ vorzubereiten. Diese Kinder funktionierten tatsächlich, jedoch mit sehr viel Angst im Körper. Und mit viel Kompensieren: Die einen können das besser, andere brechen früher oder später zusammen. Dramatisch ist natürlich eine Flucht in Alkohol oder Drogen.

Warum ist es nicht gut, Kinder mit Zucker oder anderen Ablenkungen zu vertrösten?
Göbel: Nun, es geht hier nicht darum, nicht mal etwas Süßes zu geben oder die Kinder den einen oder anderen Film schauen zu lassen. Falscher oder oberflächlicher Trost resultiert aus einer Grundhaltung heraus, dass die Emotionen der Kinder nicht wahrgenommen werden. Dabei heißt Trösten ja gerade, die Bedürfnisse des anderen wichtig zu nehmen. Gefühle zu begleiten und nicht gleich zu Kompensieren mit Ablenkungen oder Geschenken etwa. Wir haben es oft leider selber nicht anders gelernt und glauben bei starken Gefühlen oft, sofort ins Handeln kommen zu müssen. Dabei geht es zunächst einmal um Ermutigung, ums Zuhören, weniger um Lösungen.

Warum wird Trost denn gerne mit Problemlösung verwechselt?
Göbel: Handlungen bedeuten, das Äußere zu verändern. Handeln liegt also immer im Außen. Während Trösten immer im Inneren ist. Deshalb ist zum Beispiel Weinen so gut, weil die Gefühle nach außen treten können. Trösten heißt eben, starke Gefühle zu begleiten, diese zu spiegeln, also etwa in Worte zu fassen, ohne Bewertungen abzugeben.

Wie kann Trost Erwachsenen denn gut gelingen?
Göbel: Wichtig ist zunächst, dass wir gut bei uns ankommen, vor allem in Situationen, bei denen auch unser Stresssystem aktiviert ist, nicht nur das der Kinder. Als Bezugspersonen sollten wir ohnedies immer Selbstfürsorge betreiben, also achtsam unsere Beziehungen pflegen und darauf schauen, dass unsere eigenen Bedürfnisse nicht untergehen. Nur so können wir gute „Trost-Tankstellen“ für unserer Kinder sein. Trostspender können aber auch Kuscheltiere sein oder Kleidungsstücke von Bezugspersonen. Tröstend können auch bestimmte Rituale zuhause sein, Berührungen, Abschiedsrituale oder Verlässlichkeit an sich. Bei Jugendlichen, die oft weniger Körperkontakt mögen, tröstende Blicke oder eine bestimmte Musik.

Wie gehen wir mit sehr schmerzlichen Situationen wie Trennungen oder Tod um?
Göbel: Am besten ehrlich sein und alle offenen Fragen beantworten. Bei Trennungen also sagen, was Sache ist. Im Todesfall die Kinder unbedingt in die Trauer miteinbeziehen, kindgerecht den Tod erklären, Phasen der Trauer gemeinsam erleben, gemeinsamweinen dürfen oder Zeremonien mitgestalten.

Welche Folge kann es haben, wenn Kinder nicht angemessen getröstet werden?
Göbel: Wer als Kind bereits Trost erfahren hat, hat Selbstregulation gelernt. Also die Fähigkeit, sich selber zu beruhigen und Traurigkeit zu überwinden

Trost: Wie Kinder lernen Traurigkeit zu überwinden. Beltz Verlag, Preis: 12,95 Euro

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