Erziehung

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Die Fähigkeit, in einer Krise zu bestehen, war selten so wichtig wie heute. Das gilt gerade für Familien, die von vornherein krisenanfälliger sind. Was sie brauchen: Resilienz, die Widerstandskraft der Seele.

Mit Krisen kennen wir uns mittlerweile aus, leider viel zu gut. Höchste Zeit, sich der Frage zu widmen: Was braucht es, um nicht unterzugehen, wenn die Welt auf einmal Kopf steht? Die Antwort wird umfangreich ausfallen. Und lässt sich doch mit einem einzigen – sperrigen – Begriff zusammenfassen: ‚Resilienz‘. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, in einer Krise zu bestehen. Psychisch gesund zu bleiben, wenn alles aus den Fugen geraten ist. Gestaltungsspielräume dort aufzuspüren, wo es auf den ersten Blick keine gibt. Einzelne Menschen können sich als resilient erweisen, genauso wie Systeme, eine Gesellschaft zum Beispiel. Oder Familien. Gerade letztere haben Resilienz, die auch ‚Widerstandskraft der Seele‘ genannt wird, in Zeiten wie diesen bitter nötig. Familien, sagt die Familientherapeutin Romy Winter, sind für Krisen nämlich von vornherein anfälliger. Das Eis, auf dem sie stehen, ist gefährlich dünn, weil der Alltag ihnen oft viel – zu viel – abverlangt. Winter diagnostiziert: „Dass die Belastungen von Familien so stark sind, ist sicherlich eine Folge unseres Lebensstils ‚Höher-schneller-weiter‘, der auch vor Familien nicht Halt macht.“

Resilienz ist trainierbar
Aufreibende Bemühungen, Familie und Beruf zu vereinbaren, übervolle Terminkalender, ständige Erreichbarkeit, hohe Scheidungsraten, die negativen Folgen von Digitalisierung und Urbanisierung: „Was die kleine Zelle ‚Familie‘ heute zu tragen hat, ist enorm.“ Kommen dazu große private Krise wie ein Jobverlust, ein schwerkrankes Familienmitglied, finanzielle Sorgen oder globale Krisen wie Corona, Klimawandel oder die aktuelle Teuerung, zehrt das noch einmal mehr an den ohnehin schon leeren Energiereserven vieler Familien. Das dünne Eis droht zu brechen. Was sie tun können, um ihre Resilienz zu stärken, beschreibt Romy Winter in ihrem Buch ‚Krisenfest. Das Resilienzbuch für Familien‘. Sie betont dabei, was man aus der Resilienzforschung weiß: „Resilienz ist trainierbar. Auch wenn es sein kann, dass manche mehr als andere investieren müssen, weil die Voraussetzungen unterschiedlich sind.“

Einen ersten Schritt machen
Ein Merkmal resilienter Familien, so Romy Winter, ist ihre Anpassungsfähigkeit. Wenn Familien sich auf krisenhafte Situationen einstellen und nicht dauerhaft dagegen aufbegehren, ist es wahrscheinlicher, dass sie gut durch sie hindurch kommen. „Weniger resiliente Familien hingegen bleiben im inneren Widerstand.“ Eine schwierige Lebenslage ausgiebig betrauern und über mühselige Umstände jammern: Klar hat das seine Berechtigung. Doch erst mit dem Schritt aus der lähmenden Trauer heraus kann die Krise bewältigt werden. „Wenn ich die Situation akzeptiert habe, kann ich auch anfangen, sie zu gestalten.“ Und Gestaltungsspielraum gibt es in jeder – noch so verfahrenen – Lebenslage. Selbst wenn man zunächst den Eindruck hat, den Umständen völlig ausgeliefert zu sein. „Man glaubt, man kann nicht anders“, sagt Winter, „dabei braucht es oft nur einen ersten Schritt.“ Ein Umzug, weil man am Wohnort todunglücklich ist. Ein Schulwechsel, weil das Kind in einer anderen Schule besser aufgehoben wäre. Berufliche Umorientierung, weil das Arbeitsklima unerträglich geworden ist. Viele Entscheidungen fordern Mut. Und das Vertrauen, dass sich – nach dem ersten Schritt – die Dinge fügen werden.

Ressourcen kennen
Sichere Bindungen und gesunde Beziehungen innerhalb der Familie spielen beim Resilienzaufbau eine wichtige Rolle. Achtsame, friedvolle Kommunikation ebenso. Begegnung auf Augenhöhe mit den eigenen Kindern, und gleichzeitig Eltern, die keine Angst haben, die Führung zu übernehmen. „Außerdem ist es wichtig, dass Familien ihre Ressourcen kennen. Dass sie wissen, wer zu ihrem Netzwerk gehört und was ihnen gut tut. Das kann unterschiedlich sein: Die einen brauchen unbedingt genügend Schlaf, andere eher Zeit für sich oder gesundes Essen.“ Auch Rituale tragen dazu bei, Familien zu stärken. Das kann der samstägliche Filmabend oder das Geburtstagsfrühstück sein. „Rituale geben Halt und Orientierung und ein Gefühl von Verbundenheit.“ Romy Winter empfiehlt darüber hinaus die Vogelperspektive: „Was würde ich mir wünschen, wenn ich in zehn, zwanzig oder vierzig Jahren auf die jetzige Zeit zurückschaue? Dieses Rauszoomen aus dem Alltag hilft, die richtigen Prioritäten zu setzen.“

Tipps für mehr Resilienz in der Familie

Bei sich anfangen. Eltern wünschen sich resiliente Kinder. Gut so! Dennoch sollten sie immer damit anfangen, ihre eigene psychische Widerstandskraft zu stärken. Diese ist die Basis für mehr Resilienz in der ganzen Familie.

Paarbeziehung pflegen. Die Beziehung zwischen den Eltern ist ein wichtiges Fundament für die ganze Familie und sorgt im Idealfall für Stabilität und Wohlbefinden. Sie will gepflegt werden. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass nicht auch getrennte Eltern für ein gutes Familienklima sorgen können.

Akkus laden in der Natur. Die positive Wirkung der Natur kann gar nicht überschätzt werden. Gemeinsame Familienzeit im Wald, am See oder in den Bergen tut immer gut.

Weniger ist – erraten! – mehr. Familienleben ist heute eine High-Speed-Angelegenheit. Weniger Termine, mal nicht erreichbar sein, Ansprüche runterschrauben: All das kann helfen, einen Gang zurückzuschalten und mehr ins Genießen zu kommen.

Akzeptieren, was ist. Umstände sind oft nicht so, wie wir sie gerne hätten. Erst wenn man sie – nach einer berechtigten Phase der Trauer – annimmt, kann man ins Tun kommen. Dann eröffnen sich Gestaltungsspielräume.

‚Krisenfest. Das Resilienzbuch für Familien‘ von Romy Winter. € 18,95

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