Gesundheit

Mutismus bei Schulanfängern: Wenn die Angst zum Problem wird

Mutistische Kinder, die in der Schule nicht sprechen, werden oft als nicht normal schultauglich eingestuft. Die Folge ist häufig die Empfehlung einer Förder- oder Sprachheilschule, obwohl die von Mutismus betroffenen Kinder normale kognitive Leistungen zeigen.

Kind mit Blatt

eute ist Lenas großer Tag: Der erste Schultag. Eltern und Großeltern freuen sich mit ihr auf das große Ereignis. Obwohl Lena bei der Schuleignungsuntersuchung nicht gesprochen hat und auch nicht aktiv mitmachte, haben die Eltern sie in einer Regelschule angemeldet. Die dortigen Pädagogen versicherten den Eltern, dass sie mit Lenas mutistischem Verhalten umgehen können.

Lena geht mit ihren Eltern in das Klassenzimmer, setzt sich auf den ihr zugewiesenen Platz und die Eltern bleiben im Hintergrund. Sofort verändert sich Lenas Gesicht: sie zeigt eine erstarrte Mimik und als die Lehrerin sie anspricht, zieht sie die Schultern hoch und schweigt. So verläuft der erste Schultag und es werden noch viele weitere folgen, in denen Lena nicht spricht.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert in der ICD-10, dem Internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten, Mutismus als eine psycho-soziale Angststörung, die in der Kindheit oder Jugend beginnt. Manche der Kinder sprechen ausschließlich mit ihren Eltern und Geschwistern und mit ausgewählten Personen, aber nicht in fremder Umgebung.

Symptomatik und Entwicklung eines Mutismus

Kinder, die unter selektivem Mutismus leiden, sind in bestimmten Situationen unfähig zu sprechen, obwohl sie sprechen können. Mädchen sind davon häufiger betroffen als Jungen. „Es ist wichtig zu wissen, dass es sich um eine psychische Störung handelt“, betont Irmgard Emmerling, systemische Familientherapeutin und Leiterin des Mutismus-Beratungszentrums in Starnberg. „Eine Schuleingangsuntersuchung durch eine unbekannte Person erzeugt Angst, die es einem mutistischen Kind so gut wie unmöglich macht zu sprechen“, beschreibt Frau Emmerling das kindliche Dilemma.

Obwohl fast alle Menschen Ängstlichkeit und Schüchternheit in sozialen Situationen kennen, nimmt bei Mutisten die Angst ein Ausmaß an, das mit erheblichen Leiden und massiven Beeinträchtigungen verbunden ist. Lena gelingt es nicht, im Schulalltag das Pausenbrot zu essen oder zu trinken. Sie geht in der Schule nicht auf die Toilette und sie „mag“ auch nicht turnen. In diesen s.g. Leistungssituationen z.B. Essen, Trinken, Turnen verweigert Lena die Kooperation und Interaktion mit anderen Personen.

Früherkennung des Mutismus

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. und die WHO raten Eltern, einen Kinder- und Jugendarzt aufzusuchen, wenn ihr Kind länger als vier bis sechs Wochen außerhalb der Familie nicht spricht.

Eltern erkennen häufig die Sprachlosigkeit ihres Kindes nicht, denn im häuslichen Umfeld spricht ihr Kind. Aussagen von Pädagogen: „Ihr Kind spricht nicht mit uns“, empfinden Eltern häufig als irritierend, denn daheim sprachen sie, fast zu viel und zeigen auch keine Hemmungen ihre Wünsche durchzusetzen. So war es auch bei Lena. Im Durchschnitt vergehen bis zu fünf Jahre von den ersten Anzeichen bis zur Diagnose „Mutismus“ (Prof. Dr. Steinhauser, KJPD Zürich). Wertvolle Zeit verstreicht!

Mutismus im Kindergarten und Schule

Wird das Kind im Kindergarten und in den ersten Schuljahren eventuell noch wohlwollend von Klassenkameraden und Pädagogen unterstützt, beginnen in den höheren Schulen die Probleme zuzunehmen. Durch ihr mutistisches Verhalten sind sie bereits in einer besonderen Außenseiterposition, die sich mit dem Beginn der Pubertät noch verschärft. Jugendliche, die an Mutismus leiden, entwickeln häufig Depressionen, Schul- und Sozialängste bis hin zur Schulverweigerung.

Therapie bei Mutismus

Mutismus ist weder eine Kommunikationsstörung noch eine Sprachstörung, sondern eine Angststörung. Aus diesem Grund sollte die Ausrichtung der Therapie auf Psychotherapie liegen. Von einer rein logopädischen oder ergotherapeutischen Behandlung ist abzuraten. Prof. Manfred Döpfner, Leitender Psychologe der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik Köln, weist eindrücklich darauf hin: „Ist in einem Therapiezeitraum von sechs Monaten keine deutliche Verbesserung erreicht worden, sollte die Therapieform gewechselt werden.“
Die Therapie ist dann erfolgreich, wenn das Kind außerhalb der Familie in den vormals angstbessetzten Situationen spricht.

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