Erziehung

Stopp dem Alltags-Rassismus

Wie funktioniert antirassistische Erziehung? Wie erklären wir Kindern, was Diskriminierung überhaupt ist, was zu tun ist, wenn man selbst betroffen ist und wie wir rassistischem Verhalten entgegenwirken?

Wer in den 1960er oder 1970er Jahren aufgewachsen ist, hat wahrscheinlich noch in Erinnerung, dass Pippi Langstrumpfs Papa als „Negerkönig“ durch die Südseemeere schiffte, oder dass die damals gar nicht so häufig erhältlichen dunkelhäutigen Spielpuppen von vielen Mädchen liebevoll als „Negerbaby“ geherzt wurden. Hinsichtlich der politischen Korrektheit in der Kinderliteratur oder Filmen aus der Eltern- sowie Großeltern-Generation und darüber, was nachträglich geändert werden soll, sind sich Expert*innen nicht immer einig. Dafür ist es längst gesellschaftlicher Konsens, dass etwa das N-Wort aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verbannt wurde, zumal die Verwendung des Begriffs heutzutage eindeutig als rassistisch diskriminierend eingestuft wird und auch die Rechtssprechung von dessen diffamierenden Charakter ausgeht. Einmal abgesehen davon, dass man „Neger“ heutzutage einfach nicht mehr zu sagen hat, und dies auch den Kindern unmissverständlich vermittelt werden muss, ist Alltags-Rassismus allgegenwärtig und wird viel zu oft einfach so hingenommen. Bei genauerem Hinschauen versteckt sich Rassismus nämlich in unserem Sprachgebrauch, in Spielen, Abläufen, Regeln, in stereotypen Bildern von Menschen sowie in unhinterfragten Normvorstellungen. So werden etwa Ländern in kindlichen Weltkarten immer noch bestimmte stereotype Einwohner*innen zugeordnet: der Bub im Bastrock aus Namibia, die Ballettänzerin aus Russland oder der adrette Schuljunge aus Deutschland. Oder ein Kind mit dunkler Hautfarbe wird automatisch in Afrika verortet, obwohl es in Wien geboren wurde. Vielerorts fehlt es bereits im Kindergarten, im schulischen wie privaten Alltag an Sensibilität für Vielfalt sowie differenzierten Sichtweisen. Wie Eltern da entgegensteuern können? Dazu muss man zunächst einmal wissen, wie sich Rassismus definiert und woher er kommt.

Kinder speichern abfällige Kommentare

Rassismus widerspricht der allgemeinen Menschenwürde mit dem Anspruch aller Menschen, als Gleiche geachtet zu werden. Und zwar mit einer jahrhundertelangen Praxis, die Menschen auf Grund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder Religion kategorisiert. Einer Praxis, die in ihren Strukturen so verfestigt und von Vorurteilen und Benachteiligungen geprägt ist, dass eigene Privilegien dadurch gerechtfertigt werden, indem andere benachteiligt, ausgegrenzt und schlechter behandelt werden. Rassismus zeigt verschiedene Erscheinungsformen und wertet Menschen ab: ob Personen mit Migrationsgeschichte, mit Behinderungen, geflüchtete Menschen ebenso wie schwarze Menschen, Jüd*innen oder Muslim*innen. „Kinder haben wache Augen und speichern ab, wie Menschen in Kinderbüchern, Filmen und der Werbung dargestellt werden und welche Kommentare die Erwachsenen hierzu machen“, weiß Nkechi Madubuko. Die Soziologin und Buchautorin befasst sich mit Diversitätssensibilität und Rassimuserfahrungen im Kontext von Erziehung. In ihrem Ratgeber „Erziehung zur Vielfalt: Wie Kinder einen wertschätzenden Umgang mit Unter- schieden lernen“ liefert sie praktische Beispiele, wie Kinder vielfaltsensibel und antirassistisch erzogen werden können. Gerade Kinder erleben Vielfalt schon von Beginn an in ihrem Kindergarten- und Schulalltag durch den Kontakt mit anderen Kindern, die anders aussehen als sie selbst, in anderen Familienmodellen leben oder anderen Religionen angehören. „Bereits ab dem Alter von drei Monaten erkennen Kinder phänotypische Unterschiede, also unterscheiden sie zum Beispiel bereits Hautfarben“, sagt Madubuko. Diese Wahrnehmung der Unterschiede beinhalte weder eine positive noch negative Bewertung. „Die Bedeutungen, die an verschiedene Merkmale gebunden werden, entwickeln sich hauptsächlich im Kindergartenalter. Ab zwei Jahren erlernen Kinder, was es etwa bedeutet, ein Bub oder ein Mädchen zu sein“, so die Diversitäts-Expertin. Bei Dreijährigen würden sich dann in der Regel schon erste Vorurteile als Unbehagen gegenüber anderer Herkünfte oder Beeinträchtigungen zeigen. Etwa ab vier Jahren entwickeln Kinder auch das Bewusstsein dafür, was geschlechtsspezifisch als angemessen oder unangemessen betrachtet wird. Ein Fünfjähriger etwa merke schnell, welches Verhalten von ihm erwartet wird: dass er eher auf Bäume zu klettern als ein rosa Leiberl zu tragen hat.

Eigene Positionen kritisch hinterfragen

Während Babys und Kleinkinder die Unterschiede, die sie zum Beispiel bezüglich Hautfarbe oder religiösen Erkennungsmerkmalen wahrnehmen, meist völlig wertfrei beschreiben, können bei größeren Kindern bereits rassistische Vorurteile auftreten. Gerade weil es laut Nkechi Madubuko Teil des kindlichen Sozialisationsprozesses sei, sich in der Gesellschaft zu verorten und zu verstehen, was üblich ist, welche Kommentare gewissen Menschen gegenüber gemacht werden, sollten Erwachsene ihren Blick besonders auch auf ihre unbewussten, unreflektierten Haltungen und Einstellungen schärfen. Der erste Schritt in einer antirassistischen Erziehung ist laut Expert*innen daher immer das Gewahr-Werden eigener Positionen und die Auseinandersetzung damit. „Vorurteile lernen Kinder über das Verhalten der Eltern, der nächsten Verwandtschaft, der Freunde und Erziehungskräften und über das Lehrpersonal“, so Nkechi Madubuko. Eltern müssten sich demnach immer im Klaren sein, dass ihre Kommentare über andere Menschen von ihren Kindern gehört, gemerkt und leider auch übernommen werden. Neben dem, dass Standard-Vorurteile hinterfragt werden müssten, sei es hilfreich, immer wieder auch die Betroffenenperspektive einzunehmen. Also wie ist es eigentlich, wenn man in Armut lebt? Oder wenn man diese oder jene Hautfarbe besitzt? Wie fühlt es sich an, wenn man von anderen ausgegrenzt wird? „Kinder, die selbst ausgrenzen oder Ausgrenzung erfahren, brauchen unbedingt eine Rückmeldung und sachliche Gespräche seitens der Erwachsenen“, sagt Madubuko. Eltern von „auslösenden Kindern“ sollten übrigens ebenso direkt angesprochen werden, was zwar mitunter unangenehm sein kann, doch erwiesenermaßen mit guten Aussichten auf Veränderung.

Vielfalt wertschätzen statt ausgrenzen

Bezüglich eines konkreten Vorbereitens von Kindern auf Diskriminierungserfahrungen ist Nkechi Madubuko skeptisch: „Von vornherein zu vermitteln, dass man ausgegrenzt werden könnte, halte ich für keine gute Botschaft. Schließlich wollen wir den Kindern ja nicht vermitteln, dass sie in einer Welt leben, die einem feindlich gesinnt ist.“ Vielmehr sollten Erwachsene stets bereit sein, zu differenzieren. „Nur durch den Kontakt mit Menschen, die eine andere Kombination an Merkmalen haben, kann man auch deren Realität erleben und als unglaublich bereichernd wahrnehmen.“ Dass Menschen heutzutage empfänglicher werden für eigene sowie fremde Gefühle und immer mehr lernen, sich in fremde Schicksale hineinzuversetzen und sich mit anderen zu solidarisieren, sind zweifelsohne unverzichtbare Errungenschaften von gleichberechtigten Gesellschaften. In Bezug auf Erziehung müsse man sich laut Nkechi Madubuko darüber im Klaren sein, dass bei Kindern ständig Bewertungsprozesse stattfinden. Allein aufgrund der Tatsache, dass Kinder zum Beispiel zur Mehrheitsgesellschaft gehören, würden Kinder laut der Diversitäts-Expertin ein Gefühl der Macht erfahren. Für diese Situationen empfiehlt Madubuko: „Kinder sollten nicht glauben dürfen, dass sie etwas Besseres sind und sie sollten kein überzogenes Selbstbild für sich beanspruchen.“ Was es dafür braucht? Einmal mehr die Vorbildfunktion empathischer Eltern und Bezugspersonen, die sich solidarisch verhalten und Zivilcourage zeigen.

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