Erziehung

„Wie lange dauern fünf Minuten?“

Erwachsene gehen häufig davon aus, dass Kinder ähnlich instinktiv mit Zeit umgehen wie sie selbst. Dabei entwickeln Kinder erst mit zunehmendem Alter ein sicheres Gefühl für Zeit.

Drei bis fünf Minuten. So lange braucht ein Erwachsener durchschnittlich, um diesen Text zu lesen. Das ist ungefähr so lange, bis eine U-Bahn in die übernächste Station einfährt. ‚Geht sich die Lektüre aus, bis ich aus der U-Bahn aussteigen muss?‘ Ein Erwachsener kann das in der Regel gut einschätzen. Er hat es im Gefühl, wie lange drei bis fünf Minuten sind. „In der Lebenswelt von Erwachsenen ist der Umgang mit Zeit alltäglich und selbstverständlich“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin und Elternberaterin Iris van den Hoeven. Viele würden annehmen, dass Kinder ähnlich instinktiv wie sie selbst mit Zeit umgehen. Dass kleine Kinder weder ein angeborenes noch ein bereits eingeübtes Gefühl für das uhrzeitliche Konzept der Erwachsenen haben, sei ihnen nicht bewusst. „Ein sicheres Gefühl für Zeit und ihre Begrifflichkeiten wie ‚heute‘, ‚morgen‘ oder ‚in fünf Minuten‘ ist Kindern recht lange nicht verfügbar.“

Im Hier und Jetzt
Das Gehirn kleiner Kinder ist noch nicht ausgereift genug, um durch zeitliche Dimensionen zu switchen. Das hat einen guten Grund: „Kleine Kinder lernen beinahe ununterbrochen, ihr Gehirn nutzt wie ein Schwamm seine Ressourcen für alle Erfahrungen im Hier und Jetzt“, sagt van den Hoeven. Logisch: Wer ganz in der Gegenwart präsent sein muss, um Bausteine zu stapeln, ein Bild zu malen oder ein Ei aufzuschlagen, kümmert sich weder ums Gestern noch ums Morgen. Erst ab einem Alter von vier bis fünf Jahren nimmt ein Kind Zusammenhänge zwischen seinem ‚Gegenwarts-Ich‘ und ‚Zukunfts-Ich‘ wahr, werden Zeiträume vorstellbar, Handlungen planbar. Ab jetzt kann ein Kind womöglich schon bewusst auf ‚später‘ warten. Erwachsene, die darum wissen, dass sich das Zeitgefühl mit den Lebensjahren erst entwickelt, erwarten von ihrem Kind nichts, was ihm gar nicht möglich ist. Sie können aber dazu beitragen, das zeitliche Verständnis ihres Kindes zu fördern.

Worthülsen mit Bedeutung füllen
„Erwachsene können ganz bewusst die alltäglichen Zeit-Erfahrungen, in denen Zeitbegriffe wie ‚schnell‘, ‚in zehn Minuten‘ oder ‚später/nach- her‘ vorkommen, eindrücklich und zuverlässig gestalten. Diese Begriffe sind nämlich erst einmal nur hohle Worthülsen, die nach und nach mit Bedeutung gefüllt werden müssen“, sagt Iris van den Hoeven. Wie kann das aussehen? Wenn Papa ankündigt, dass er in fünf Minuten Zeit für die Gute-Nacht-Geschichte hat, sollten es auch tatsächlich fünf Minuten sein. Um zu veranschaulichen, wie lange eine Zeitspanne dauert, können visuelle Timer wie eine Sand- oder Eieruhr hilfreich sein, ein Lied oder die Anzahl von Nächten, die ich noch schlafen muss, bis endlich der Geburtstag da ist. Noch ein Tipp von Iris van den Hoeven: „Gut begleiten können wir auch über handlungsbegleitendes Sprechen, zum Beispiel indem wir sagen ‚Jetzt waren wir einkaufen, später besuchen wir Oma.“

Wie spät ist es?
Ab dem Vorschulalter interessieren sich viele Kinder für die Uhrzeit. Voraussetzung zum Uhr-Lesen-Lernen ist es, die Zahlen bis 12 zu kennen. Anhand einer analogen Uhr erklären Erwachsene am besten zuerst die Bedeutung der Zeiger. Das Kind lernt die vollen Stunden, danach, dass jede Stunde in halbe Stunden und Viertelstunden eingeteilt werden kann. Hat das Kind dieses Prinzip verstanden, ist bereits viel geschafft! Dann kommen die Minuten ins Spiel, irgendwann auch die Sekunden. Dass ein Tag eigentlich 24 Stunden hat und ein Uhr Nachmittag auch 13 Uhr heißt, müssen Kinder erst einmal nicht so genau wissen. Die große Herausforderung für Erwachsene: sich darauf einigen, ob es Viertel nach drei oder viertel vier heißt. Das kann kompliziert werden.

Weitere Infos zum Thema Erziehung finden Sie auf www.familiii.at/erziehung

„Kleine Kinder lernen beinahe ununterbrochen, ihr Gehirn nutzt wie ein Schwamm seine Ressourcen für alle Erfahrungen im Hier und Jetzt“ Iris van den Hoeven, Erziehungswissenschaftlerin und Elternberaterin. www.blickpunkt-erziehung.at

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